Aber auch ernstere Tageszeitungen waren sich ihrer Sache sicher. Auf NZZ-Online konnte man unter dem Titel „Schlicht abscheulich und widerwärtig“ lesen, dass die EU-Aussenministerin Catherine Asthon „die Anschuldigung, die USA selbst seien in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt“ empörend und inakzeptabel fand.
Und im "Tages-Anzeiger" hiess es: „Er (Ahmadinejad) behauptete, die USA hätten die Anschläge von 2001 selbst inszeniert und verlangte eine UNO-Kommission, um 9/11 aufzuklären“,
Hat Ahmadinejad das behauptet? Er hat es nicht behauptet.
In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung sagte Ahmadinejad am vergangenen 23. September, es gebe drei verschiedene Thesen (viewpoints) in Bezug auf die Verantwortlichen der Anschläge.
Er sagte mit keinem Wort, welche der drei Thesen er für richtig hält. Und er sagt mit keinem Wort, dass eine der drei Thesen zutrifft oder die Wahrheit ist.
Wörtlich heisst es in der offiziellen UN-Übersetzung der Rede:
„In identifying those responsible for the attacks, there were three viewpoints. 1. That a very powerfull and complex terrorist group, able to successfully cross all layers of the American intelligence and security, carried out the attack. (…) 2. That some segments within the U.S. government orchestrated the attack to renverse the declining American economy and its grips in the Midle east in order to save the Zionist regime. (…) 3. It was carried out by a terrorist group but the American government supported and took advantage of the situation. (…)
Er fügt an, die erste Theorie werde von der amerikanischen Regierung vertreten, die zweite scheine vielen Leuten und einer Mehrheit der Amerikaner plausibel, die dritte These habe weniger Anhänger.
Er spricht dann von verschiedenen ungeklärten Sachverhalten bei der Beweisaufnahme zu 9/11 und stellt eine Reihe rhetorischer Fragen. Zum Beispiel die Frage, ob es nicht vernünftiger gewesen wärte, die Sache genauer zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen, statt zwei Kriege – in Afghanistan und im Irak – zu beginnen, in denen bislang bereits Hunderttausende unbeteiligter Menschen ums Leben gekommen sind.
Die Provokation und der News-Tsunami
Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Mann mit dem Fünf-Tage-Bart provozieren wollte. Man mag seine Verschwörungs-Theorien wie auch seine Hinweise auf Irak und Afghanistan für unverschämt halten. Man mag ihm mangelndes diplomatisches Geschick bescheinigen oder ihm unterstellen, er habe den Eclat gesucht. Man mag ihn auch für einen Spinner halten oder die UN-Generalversammlung für eine Schwatzbude - all das ist eines jeden Meinungsfreiheit und würde mich nicht weiter beunruhigen.
Was mich beunruhigt, ist die Tatsache, dass der Mann - ob verflucht oder nicht –nicht das behauptet hat, was die meisten Medien ihm unterstellt haben. Und dass falsche Informationen auf diesem politischen Level in der jüngsten Vergangenheit immer wieder als Argument für katastrophale Fehlentscheidungen herhalten mussten.
Die Entscheidung, einen Krieg zu beginnen, kann von wenigen falschen oder gefälschten Informationen abhängen. Da spielen Nuancen in der Wortwahl eine Rolle.
Die Schweizer Delegation: Wir hören uns alle Standpunkte an
Unmittelbar nach der Rede am späten Donnerstagnachmittag, 23. September, New Yorker Zeit, breitet sich ein Tsunami aus. Ein Medien-Tsunami. Präsident Obama nennt die Rede „hasserfüllt“ und „unentschuldbar“. Die internationalen Reaktionen erfolgten postwendend lautstark, im Brustton der moralischen Entrüstung, oft geradezu hysterisch.
Vorneweg das Fernsehen: auf den meisten europäischen Sendern wurden (wegen der Zeitdifferenz erst am folgenden Tag, Freitag 24. September) vor allem Bilder des „walk out“ gezeigt. Die Prozession der Diplomaten, die sich während der Rede Ahmadinejads vom Sitz erheben und den Saal der UN-Vollversammlung verlassen. Ein Ritual, das programmiert war, was auch immer der Iraner gesagt haben würde.
Manche UN-Vertreter sassen schon bei Beginn der Rede nur mit dem halben Gesäss auf der Stuhlkante und schielten emsig nach den Bewegungen der amerikanischen Delegation. Sobald diese sich erhob, war es Zeit, ihr zu folgen, wie ein westlicher Diplomat der Süddeutschen Zeitung anvertraut hat. Die Schweizer Delegation verlässt übrigens nicht den Sitzungsaal. Mit der vernünftigen Begründung, man höre sich grundsätzlich alle Standpunkte an, auch die, mit denen man nicht einverstanden sei.
Nachgebetete Meldungen
Das deutsche Nachrichtenmagazin Fokus sagt auf seiner Homepage, Ahmadinejad habe „unterstellt, die USA hätten die Terroranschläge vom 11. September selbst inszeniert.“
Die Schweizer Tagesschau macht keine Ausnahme. In der Mittags-Ausgabe vom 24. September heisst es in der Moderation lapidar: Einmal mehr sorgte Irans Präsident Ahmadinejad in der UNO-Generalversammlung für einen Eclat (...) Hinter den Anschlägen vom 11.September 2001 stünden eigentlich die Amerikaner selbst, so der iranische Machthaber.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht mir nicht darum, mit dem Finger auf einzelne Medien oder gar einzelne Journalisten zu zeigen. Das Erstaunliche an der Falschmeldung ist ja eben, dass fast alle sie nachbeten bzw. übernehmen.
Von den seriösen Blättern bis hin zu den leichtgeschürzten Boulevard-Medien. Es geht um ein beunruhigendes System der Nachrichtenverbeitung. Ein System, das in der Krise ist, weil es sich in eine Art gigantischer Wurstfabrik verwandelt hat, in der die Fliessbänder so rasend schnell laufen, dass niemand mehr Zeit hat zu kontrollieren, ob in der Wurst der Stoff drin ist, der reingehört.
Oder hat ein News-Redaktor am Freitagmorgen, 24. September, die Ahmadinejad-Rede gelesen? Ich bezweifle es.
Die TV-News-Fabrik - Eurovision Network
Die meisten Auslandbilder aller Tagesschauen in allen europäischen Ländern werden vom News-Austausch des Eurovision Network (EVN) geliefert. Dieses wiederum ist Teil der European Broadcasting Union (EBU), einem Zusammenschluss von 75 Fernsehanstalten des Service Public aus 56 Ländern in und rund um Europa.
Hinzukommen nochmals 35 assoziierte Mitglieder in Übersee. Diese Fernsehsender tauschen täglich gegenseitig ihre Bilder aus, eine geradezu überwältigende Bilderflut. Alle 24 Stunden werden so im Durchschnitt 120 Beiträge mit verschiedenen Themen aus Politik, Kultur und Sport verteilt.
Bei grossen Ereignissen kommt mehr. Als der polnische Präsident Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz umkam, fluteten dazu 500 Beiträge in den News-Pool, allein das polnische Fernsehen lieferte 42 Beiträge an die EBU-Zentrale in Genf, von wo das Material weiter verteilt wird.
Wenn man einmal annimmt, dass ein Beitrag im Durchschnitt drei Minuten dauert, ergäben die täglichen 120 „items“ sechs Stunden Bildmaterial pro Tag. Eine Bilderschwemme, mit der die News-Redaktionen fertig werden müssen. Bei der Tagesschau in Zürich arbeiten sogenannte Newsdesker, die nichts anderes tun als das kontinuierlich auf einem Server einlaufende Bildmaterial sichten, ordnen und die Redaktion auf wichtige Themen aufmerksam machen.
Paschtunisch, Farsi, Hebräisch
Dieser ganze Betrieb ist eine Art Durchlauferhitzer, bei dem die Temperatur (und der Blutdruck der beteilgten Kamerateams, Journalisten, Techniker überall auf der Welt) proportional zum Zeitdruck steigt. Überflüssig zu sagen, dass in der Hektik der Distribution und Übertragung eine Menge Fehler unterlaufen.
Zum Beispiel bei den Begleit-Informationen zu den Bildern, im Profi-Jargon „dopesheets“ genannt. Diese Dopesheets sollen dem Journalisten an seinem Computer in Zürich sagen, was er auf den Bildern sieht, die aus Israel, Washington, Caracas oder Kandahar kommen. Abgesehen davon, dass die Übersetzung der Originalsprache (z.B. Paschtunisch, Farsi, Hebräisch oder Arabisch) oft erst Stunden später oder nie eintrifft, kommen falsche Namen vor, falsche Zahlen, Verwechslung der Dreh-Orte, der Aufnahme-Zeiten oder der gefilmten Bilder (shotlist). Es ist alles eine Frage der Schnelligkeit der Übermittlung oder anders ausgedrückt: Wie schnell kann ein Mensch arbeiten, bis er an einen Punkt kommt, wo er Mist baut?
Der Mensch in der News-Fabrik
Ein A2-Redaktor der Tagessschau in Zürich beginnt seinen Dienst um 11.00h. Die Mittags-Ausgabe ist um 12.45h. Der Mensch hat also, wenn er in nützlicher Frist vor Sendebeginn fertig werden will, etwas mehr als 90 Minuten Zeit, um seinen Beitrag zu machen. Wenn er Pech hat, wird ihm ein Thema zugewiesen, das noch in Entwicklung begriffen ist, das heisst, er muss damit rechnen, dass bis zur Sendung ständig neue Bilder und neue Meldungen zu seinem Thema kommen.
Er muss aber zunächst seinen Computer einschliesslich Schnitt-System hochfahren und das Bildmaterial sichten, das in der Nacht reingelaufen ist oder momentan reinläuft. Oder er muss warten auf Bilder, die noch kommen werden. Er muss sich kundig machen über sein Thema, die Presseagenturen lesen, eventuell im Internet recherchieren, wenn er etwas nicht versteht. Er muss sehr schnell einmal eine Vorstellung haben, wie er seinen Beitrag aufbaut, denn er soll der Moderatorin oder dem Moderator einen Vorschlag über die Einführung des Themas schreiben.
Er rennt zwischendurch in die Grafik-Abteilung, denn er muss oft eine Landkarte beifügen und die topographischen Daten absprechen. Ist eine Live-Schaltung oder ein Telefongespräch mit Auslandkorrespondenten geplant, muss er mit ihr oder ihm telefonieren oder mailen um zu koordinieren: Was bringe ich im Beitrag, was erklärst du zusätzlich nachher?
Unterdessen muss er wohl angefangen haben, seine Bilder und Töne zusammenzuschneiden, denn die Zeit läuft und wird knapp. Die Schnittplätze sind limitiert, sodass der Redaktor in der Regel seinen Beitrag an seinem Computer selbst schneidet. Und der Schnitt von Tönen und Bildern ist ein Job, bei dem einem Nicht-Profi-Cutter viel Ungeschick im letzten Moment passieren kann. Schlieslich muss der Mensch dann seinen Text auf die entsprechende Seite in seinem Computer schreiben. Und dieser Text muss genaue Sekunden-Angaben haben (timecode), damit der OFF-Sprecher oder die Specherin in ihrer Kabine den Text während der Sendung aufsagen können und jedes Wort richtig zum Bild passt.
In den letzten Minuten vor Sendebeginn kommt eine Menge technischer Kram, von dem aber das Gelingen der Sendung abhängt. Zum Beispiel das korrekte Ablegen des Beitrags auf den Server, das recht zeitaufwendige Eingeben der Namen-Einblender mit dem richtigen Time Code und so weiter.
Mir ist, obwohl ich seit vielen Jahren in der Tagesschau arbeite, oft unklar, wie die Redaktoren und Reporter es schaffen, ihren Beitrag in der Kürze der Zeit für die Mittags-Ausgabe fertig zu bekommen. Was mich hingegen überhaupt nicht erstaunt, ist die Tatsache, dass bei der ganzen Zitterpartie immer wieder Fehler passieren.
Der Schnelligkeits-Fetisch
Der Redaktor wird in der oben beschriebenen Situation froh sein können, wenn er während all seiner technischen Arbeiten einen Moment Zeit findet, um sich klar zu werden, wie er den Beitrag aufbaut, wie er anfängt und wie er aufhört. Für weitere Fragen wird er keine Zeit haben.
Zum Beispiel für die Fragen, die vielleicht in früheren Zeiten einmal zentral für journalistisches Ethos waren: Was ist eigentlich der Hintergrund der Nachricht? Welche verschiedenen Quellen gibt es? Welche Interessen könnten hinter der Verbreitung dieser Nachricht stehen? Wem nützt die Nachricht? Wem schadet sie? Für Telefongespräche zur Klärung solcher Fragen bleibt ohnehin keine Zeit. In der Nacht vom 23. auf 24. September liefen mehrere Stücke Rohmaterial von der UNO-Generalversamlung aus New York über den oben beschreibenen EVN-News-Exchange.
Der Reaktor, der in der Tagesschau in Zürich am Freitagmorgen das Material für die Mittags-Sendung bearbeitete, hatte auf seinem Computer unter anderem ein Stück mit dem Titel „UN-Ahmadinejad Edit“, in dem Ausschnitte aus der Rede des iranischen Präsidenten sowie der famose Walkout zu sehen waren. Im Dopesheet zu dem Rohmaterial heisst es unter anderem:
“He (Ahmadinejad) told the 192-nation assembly that the Bush administration orchestrated the attack to reverse the declining American economy and its grip on the Middle East (…)”. Alles klar? Ahmadinejad hat es gesagt. Punkt.
Ein beliebter Spruch bei der Tagesschau lautet: Und bist du noch so fleissig, du bekommst nur eins dreissig, nämlich eine Minute und 30 Sekunden, um zu sagen und zu zeigen, was zu sagen und zu zeigen ist. Glanz und Elend einer Branche, die Professionalität als die Kunst definiert, komplexe Ereignisse und Zusammenhänge auf ein paar Zeilen oder Sekunden schrumpfen zu lassen. Und für diese Operation immer weniger Zeit zur Verfügung stellt, denn Zeit ist Geld.
Das Fernsehen soll hier nur als Beispiel dienen. Alle Medien haben heute diese Probleme.
Wir haben es mit einer News-Industrie zu tun, in der alle Unternehmen davon überzeugt zu sein scheinen, dass Schnelligkeit der wichtigste Faktor im Wettbewerb ist. Wer die Nachricht zuerst bringt, ist der Beste, er fängt angeblich neue Kunden, er behauptet sich im Verdrängungs-Kampf, er sichert sich Werbe-Einnahmen.
Dabei übersehen die Manager der News-Industrie, dass die stetig gesteigerte Schnelligkeit längst an einen Punkt gekommen ist, an dem zwangsläufig andere Qualitäten geopfert werden müssen, Qualitäten wie Zuverlässigkeit, Genauigkeit oder Analysefähigkeit, d.h. die Fähigkeit Kausal-Zusammenhänge zu erkennen und zu erklären. Mit andern Worten: Ab einem bestimmten Level wird Schnelligkeit zur Dummheit, zur Ignoranz.
Der rasende Stillstand
Der französische Philosoph Paul Virilio sprach seinerzeit vom „rasenden Stillstand“. Die moderne Medienwelt nannte er eine „Industrie des Vergessens“. Die Funktion der beschleunigten Produktion von Nachrichten bestünde demnach darin, möglichst rasch alle Nachrichten zuzuschütten, die vorher gemeldet wurden. Tatsächlich kann sich niemand mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Info-Schwemme vor allem als Gehirnspülung wirkt. Wer weiss noch, was er heute morgen in der Zeitung gelesen oder vor zehn Minuten in der Tagessschau gesehen hat? Falls er noch etwas weiss, sollte er es möglichst vermeiden, die nächste News-Sendung anzuschauen, denn sie wird das noch Vorhandene garantiert zudecken, löschen, entsorgen....
Und dieser Effekt ist sogar bei den Informations-Arbeitern und –Arbeiterinnen selbst zu beobachten. Ich weiss nicht, ob ein Presseagentur-Journalist am Abend noch alle Themen weiss, über die er geschrieben hat. Persönlich habe ich mit Erschrecken festgestellt, dass ich oft abends nicht mehr präsent habe, was ich für die Mittags-Tagesschau an Kurzmeldungen gemacht habe. Nach einem neun bis zehn Stunden-Tag in einer News-Redaktion - mit einer Tagesschau am Mittag, einer weiteren um 18 Uhr und einer weiteren um 19.30 Uhr - ist der Schädel bisweilen so voll gestopft, dass er die Dinge nicht mehr findet.
Die Politik der schnellen Fehlentscheidungen
Das Einzige, das hängen bleibt im News-Hochwasser, sind die Skandale: Ahmadinejad hat es gesagt! Der Eclat setzt sich in unserm Gedächtnis fest, auch wenn er auf falschen oder manipulierten Informationen beruht. Denn dass oder ob sie manipuliert sind, ist in der Schnelligkeit des täglichen News-Betriebes nicht mehr festzustellen. Bisweilen finden akribische Rechercheure Monate oder Jahre später heraus, dass wichtige Informationen falsch waren. So falsch wie die Beurteilung der Subprime-Hypotheken durch die Rating-Agenturen. Doch das interessiert dann nur noch Historiker. Dann ist es zu spät, denn das Unglück, das heisst der politisch katastrophale Fehlentscheid, hat bereits stattgefunden, der Einmarsch hat begonnen, die Kampfbomber haben ihre tödliche Last abgeworfen.
Es geht hier nicht um Tricks und Manipulationen eines Einzelnen. Um den Schweizer Journalisten zum Beispiel, der Interviews mit Hollywood-Prominenten erfand und gut verkaufte, oder um den italienischen Journalisten, der ein Interview mit dem Schriftsteller Philip Roth führte, in welchem dieser sich enttäuscht von Obama zeigt. Ein Interview, das nie stattgefunden hatte. Es geht nicht um diese kleinen oder grösseren Schlaumeiereien.
Es geht um mehr, und es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Glaubwürdigkeit unserer Informations-Systeme. Das heisst, es geht um Tausende von rechtschaffenen Journalisten, die in einer Tretmühle arbeiten, in der sie keine Zeit mehr haben, die Meldungen auf ihren Wahrheitgehalt zu überprüfen.
Falsche Politik aufgrund falscher Informationen
Die Rede Ahmadinejads ist in normaler Schriftgrösse sicher rund zehn A-4-Seiten lang. Ich habe einige Zeit gebraucht, sie im Internet zu finden. Die Rede enthält den rituellen Rundschlag gegen Sklaverei und Kolonialismus der westlichen Staaten. In weiten Teilen ist sie aber auch versöhnlich und hat den Charakter einer Predigt. Der Iraner fordert die Rückkehr zu religiösen Werten wie Spiritualität und Gerechtigkeit. Er zeigt die Bibel und den Koran und sagt, er respektiere beide Bücher. Das Grundübel sei im Kapitalismus zu suchen, der die Anhäufung von materiellen Werten zum höchsten Ziel des Individuums gemacht habe und dadurch den Menschen in seinem geistigen Potential reduziert habe.
Selbst wenn ein TV-News-Redaktor die Absicht gehabt hätte, diese Rede zu lesen, er hätte unter den herrschenden Bedingungen der beschleunigten Produktion keine Chance. Wenn ich diesen Prozess der Beschleunigung zuende denke, muss ich mich fragen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem der Vertrauensverlust so gross wird, dass Demokratie nicht mehr möglich ist. Der Moment, an dem immer mehr Bürgerinnen und Bürger sich abwenden von der Politik, weil sie keine zuverlässige Grundlage mehr sehen, um mitreden zu können. Oder aber auf Grund falscher Informationen eine falsche Politik unterstützen.
Seit Monaten zirkulieren Gerüchte über einen möglichen Angriff der Israeli auf iranische Nuklearanlagen. Ob die Regierung Obama dafür grünes Licht geben würde, ist ungewiss. Sicher ist hingegen, dass die verfälschten Informationen über die Rede von Ahmadinejad das Terrain der Mainstream Opinion vorbereiten könnten für eine militärische Operation.