Nach dem Atomdeal legte Präsident Rouhani sich öffentlich mit den Gardisten an und forderte sie auf, „dem Markt ein bisschen Luft zum Atmen lassen“. Vergeblich. Seit Trumps Einzug ins Weisse Haus muss sich Rouhani irgendwie mit den Revolutionsgarden arrangieren.
„Siegel der Propheten“ – „خاتم الا نبیا“ – „Khatam Al Anbiya“ – so lautet einer der wichtigsten Beinamen des Propheten Mohammad. Das arabische Wort Siegel ist jedoch mehrdeutig. Es bedeutet auch Krönung, ebenso Ende und Ergebnis. Will heissen: Mohammad ist der letzte und der beste – die Krönung aller Gottesgesandten.
Vierzehn Jahrhunderte nach Mohammad begegnet man heute in Teheran einem neuen „Khatam Al Anbiya“, der sich auch für die Krönung dessen hält, was die islamische Macht je zu bieten hatte. Es ist kein einzelner Mensch, der diesen heiligen und gehaltvollen Namen trägt, sondern ein Konglomerat, das im besten und teuersten Stadtteil des Nordens der iranischen Hauptstadt residiert: die „Kommandozentrale „Khatam Al Anbiya“ – für Wiederaufbau“. Diese Holding strahlt tatsächlich wie eine Krone und überragt in der islamischen Republik alles und jeden: wirtschaftlich, politisch, wissenschaftlich und natürlich militärisch.
Als der Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei 1989 diese Kommandozentrale ins Leben rief, war er sich dieser besonderen Namensgebung mit Sicherheit bewusst. Denn der iranische Revolutionsführer ist sprachlich bewandert und historisch belesen, er hält sich selbst sogar für einen Dichter und einen Literaturkritiker. Und wenn Khamenei eine solche Bezeichnung für eine Einrichtung wählt, dann hofft er, dass sie strahlend, spitze und einmalig sein wird. Und fast dreissig Jahre nach ihrer Gründung muss man einräumen: Khamenei hat seine Idee durchgesetzt, sein Ziel erreicht.
Die Garden haben das letzte Wort
Diese Kommandozentrale ist, wie der Name andeutet, zunächst eine militärische Institution. Und sie wird folgerichtig von den Revolutionsgarden befehligt. Doch Khatam Al Anbiya ist mehr als ein militärischer Apparat, sie ist eine konkurrenzlose Technologieholding, die die iranische Wirtschaft in allen Bereichen fast vollständig kontrolliert. Sie ist ein Staat nicht im, sondern über dem Staat – mit Verfassungsrang.
Artikel 147 der iranischen Verfassung verpflichtet die Regierung, auch in Friedenszeiten das Personal und die technischen Mittel dieser Kommandozentrale für Versorgung, Bildung, Produktion und natürlich den Jihad einzusetzen.
Kein Wunder, dass diese Zentrale in all diesen Bereichen heute eine unangefochtene Monopolstellung besitzt und bei jedem staatlichen Projekt, gross oder klein, das entscheidende und letzte Wort spricht. Und im Erdölland Iran ist fast alles staatlich. Egal ob es um den Bau von Strassen oder Krankenhäusern geht, um Erdölförderung oder Luftfahrt, Aussenhandel oder Mobilfunk: Überall sind die Garden mit ihrer Wiederaufbauzentrale präsent. In der Rüstungsindustrie und bei Waffenkäufen sind sie völlig unter sich und entscheiden ganz allein.
Ingenieure, Generäle und Politiker beisammen
Der Oberbefehlshaber der Revolutionsgarden ist laut Gesetz auch der oberste Chef der Wiederaufbauzentrale, und einer seiner Stellvertreter, ebenfalls ein General, übernimmt die Funktion des Kommandanten vor Ort. Seit drei Jahren ist der 60-jährige General Ebadollahi der örtliche Kommandant.
„Von hier aus führen wir einen Krieg gegen Grossmächte, allerdings einen wirtschaftlichen“, sagte er bei seiner Amtseinführung. Wie und von wem dieser „Krieg“ geführt wird, dazu gab Ebadollahi am 11. Oktober in einem Interview mit der Agentur Fars einige Auskünfte: „Wir beschäftigen 170'000 Fachkräfte, davon sind 35'000 Ingenieure, 5'000 private Firmen sind unsere ständigen Auftragnehmer“, sagte er und zählte einige seiner laufenden Grossprojekte auf: die Phasen 15 und 16 des South-Pars-Gasfeldes, die tausend Kilometer lange Autobahn von Qom nach Mashad, die Sadr-Autobahn in Teheran, den Bau von 21 Milliarden Kubikmetern Wassertanks und die Fertigstellung von 730 Kilometern Tunnel für Bewässerung, öffentliche Verkehrssysteme sowie Öl- und Gastransporte. Es gibt kaum eine grosse oder kleine Baustelle, an der kein Schild der Wiederaufbauzentrale prangt, sei es für U-Bahnen oder Flughäfen, für Krankenhäuser oder Moscheen – „Ohne Kahtam Al Anbiya, kein Leben“ liest man auf diesen Schildern.
Weltweit einmaligen Verquickung
Dass die Militärs in der dritten Welt auch in der Wirtschaft mitmischen, ist keine iranische Erfindung. Die Armeen Pakistans oder Ägyptens machen es seit Jahrzehnten vor. Doch im Falle der iranischen Revolutionsgarden sind wir mit einer weltweit einmaligen Verquickung von Wirtschaft, Militär, Politik und Religion konfrontiert. Es gibt zwischen all diesen Bereichen praktisch keine Grenzen mehr. In Ministerien besetzen Funktionäre der Zentrale die wichtigsten Posten.
In der Ära von Rouhanis Vorgänger Ahmadinedschad machte man es sich ganz leicht: Den Kommandanten der Wiederaufbauzentrale – Rostam Ghassemi – ernannte man zum Ölminister und etliche wichtige Ministerposten besetzte man mit Generälen der Zentrale. Und bei der Vergabe von Projekten verzichtete man einfach auf formale Ausschreibungen.
Die Firmen der Wiederaufbauzentrale zahlen keine Steuern und niemand darf sie kontrollieren. Als sich einmal ein Parlamentsabgeordneter die Frage erlaubte, ob sich die Volksvertreter diese steuerfreien Unternehmen nicht näher anschauen sollten, reichte die Wiederaufbauzentrale Klage gegen ihn ein. Seitdem redet keiner mehr von Aufsicht, Untersuchung, Überprüfung oder dergleichen.
Im Iran gibt es keinen Markt
Diese einmalige Situation versetzt die Wiederaufbauzentrale in die Lage, jeden Konkurrenten aus dem iranischen Markt zu verdrängen, inländische ebenso wie ausländische. Genau besehen existiere im Iran gar kein Markt , sagt der Ökonom Mohssen Renani von der Universität Isfahan.
Ohne diese alles beherrschende Holding kann kein Präsident, kein Minister oder Ayatollah eine langfristige Strategie entwickeln. Die Wiederaufbauzentrale bestimmt nicht die Politik, sie ist die Politik schlechthin. Niemand weiss das besser als Präsident Rouhani, der selbst jahrelang im nationalen Sicherheitsrat tätig war.
Eine Art Kriegserklärung an die Garden
Rouhani wusste, dass er die Früchte seines Atomabkommens nicht würde ernten können, wenn er die Revolutionsgarden und ihren wirtschaftlichen Arm nicht ein wenig zurückdrängen würde. Ein schwieriges und zugleich gefährliches Unterfangen: „Wenn Sie Geld, Waffen, Geheiminformationen, Medien und andere Machtsymbole in eine Hand legen, dann wird diese Hand mit Bestimmtheit korrupt, selbst wenn sie einem Heiligen oder dem Propheten selbst gehören sollte.“
Dieser Satz, den Präsident Rouhani am 18. April 2014 aussprach, hörte sich an wie eine Kriegserklärung an die Revolutionsgarden und ihre Wiederaufbauzentrale. Diese Rede hielt er wenige Monate nach seiner Amtsübernahme an einem Ort und einem Tag, die symbolträchtiger nicht sein könnten. Der 18. April ist in der islamischen Republik der Tag der Armee, an dem offiziell das Ende der offenen und versteckten Rivalität zwischen Revolutionsgarden und der klassischen Armee gefeiert wird. Rouhani sprach diesen Satz vor Armee-Offizieren: Noch provokanter geht es nicht. Und die Reaktion liess nicht lange auf sich warten. „Ich habe den Herrn Präsidenten zur Rede gestellt, ob er damit die Revolutionsgarden gemeint hätte. Er sagte Nein und damit ist die Sache beendet“, sagte Aziz Jafari, Oberbefehlshaber der Garden, nur drei Tage später.
Und als Rouhani das Atomabkommen mit den Worten pries, damit sei die Kriegsgefahr gebannt und nun müsse jede darauf achten, was er rede, wurde er wieder harsch zurechtgewiesen. Nicht irgendein Papier, nicht irgendein Techtelmechtel mit den Grossmächten hätten die Kriegsgefahr beseitigt, sondern die mutigen und zum Märtyrertod bereiten Kämpfer, antwortete Jafari darauf.
Alles ab 30 Millionen Dollar
Doch je mehr die Zustimmung der Bevölkerung für das Abkommen wuchs, umso mehr gewann Rouhani an Selbstbewusstsein. Er wurde zunehmend deutlicher und forderte die Wiederaufbauzentrale sogar offen auf, sich nach und nach von wirtschaftlichen Grossprojekten zurückzuziehen, um „dem Markt ein bisschen Luft zum Atmen lassen“.
General Ebadollahi zeigte zunächst sogar ein gewisses Entgegenkommen. „Wir übernehmen nicht alle Projekte, von Zeit zur Zeit finden sich gewisse, die wir anderen überlassen“, lautete seine Antwort auf Rouhanis Vorstoss. Zwei Tage zuvor hatte sein Chef General Aziz Jafari sogar eine Summe genannt, die die Garden nicht unterschreiten würden. All Projekte, die unter 30 Millionen Dollar betrügen, überlasse man dem freien Markt, so der oberste Befehlshaber der Revolutionsgarden.
Trump auf Konfrontationskurs
Doch solche Auseinandersetzungen zwischen Rouhani und den Garden gehören mittlerweile der Vergangenheit, nämlich der Zeit von US-Präsident Barack Obama und der Verhandlungen zum Atomabkommen, an. Seit Donald Trump im Weissen Haus sitzt, scheint der öffentliche Zwist zwischen dem iranischen Präsidenten und den Garden in den Hintergrund getreten zu sein. Beide haben offenbar begriffen, dass aus Washington nun ein anderer Wind weht.
Er werde nicht so nett zum Iran sein wie Obama, warnte Trump die Islamische Republik wenige Wochen nach seinem Amtsantritt. Und als Reaktion auf einen Raketentest der Revolutionsgarden kündigte das US-Finanzministerium neue Sanktionen gegen Personen und Einrichtungen, die am Raketenprogramm beteiligt waren, an. Die Nachrichtenagenturen zitierten am selben Tag einen Vertreter der US-Regierung mit den Worten, der Iran solle nicht überrascht sein, wenn gegen ihn noch schärfer wegen Unterstützung des Terrorismus oder des Raketenprogramms vorgegangen werde. Teheran müsse sich entscheiden, welche Rolle es in der Region spielen wolle, so die Agentur weiter.
Im US-Parlament kursieren Gesetzentwürfe, in denen die Revolutionsgarde als Terroristenorganisation bezeichnet wird. Es bleibt zwar rätselhaft, ob man eine Armee, die mehrere Hunderttausend Angehörige hat und derzeit in Syrien und dem Irak gegen den IS kämpft, wie eine Terrororganisation behandeln kann. Doch hinter diesen Plänen stehen nicht Hinterbänkler, sondern einflussreiche Parlamentarier, und im Trumps Kabinett sind wichtige Ministerposten mit notorischen Irangegnern besetzt. Wie auch immer, die Garden haben offenbar gemerkt: Trump mag unberechenbar sein, man muss ihn sehr ernst nehmen.
Realität holt den Präsidenten ein
In dieser gespannten Atmosphäre meiden die Garden deshalb einen offenen Konflikt mit Rouhani. Und der Präsident scheint seinerseits auf dem Boden der Realität gelandet zu sein: Auch er muss sich mit den Garden arrangieren. Rouhanis wirtschaftspolitische Agenda suchte zunächst eine Annäherung an die westlichen Industrienationen. Er hatte oft betont, der Westen, vor allem Europa, sei der wichtigste Akteur: Ohne Investitionen westlicher Firmen gäbe es im Iran weder wirtschaftlichen Fortschritt noch Zugang zu moderner Technologie.
Es waren solche Visionen, die viele hochrangige Wirtschaftsdelegationen in den Iran trieben. Doch Rouhanis Hoffnungen gingen genauso wenig in Erfüllung wie die der westlichen Firmen. Denn wegen der amerikanischen Sanktionen gibt es immer noch keine regulären Bankverbindungen zum Iran – und Auslandsinvestitionen ohne Bankverbindungen sind kaum denkbar.
USA versperren den Weg nach Westen
Die Vereinigten Staaten haben deutsche Unternehmen sogar dazu gezwungen, Beschäftigte zu entlassen, die nach deutschem Recht legale Irangeschäfte abgewickelt hatten. Die Tageszeitung FAZ und das ARD-Magazin Panorama berichteten im vergangenen Dezember von mehreren Fällen, die viele Firmen aufhorchen lassen dürften. Das Arbeitsgericht Frankfurt und das hessische Landesarbeitsgericht bestätigten, dass die Commerzbank einen Angestellten wegen Drucks aus den Vereinigten Staaten gekündigt habe. Öffentlich hatte die Commerzbank von einem „Fehlverhalten“ des Angestellten gesprochen, weil er den Zahlungsverkehr einer iranischen Reederei abgewickelt hatte. Die Commerzbank muss sich nun bis 2018 von amerikanischen Wirtschaftsprüfern überwachen lassen, die den US-Behörden auf Kosten der Bank über die Einhaltung der Auflagen berichten. FAZ und Panorama berichteten zudem, dass die USA eine „schwarze Liste“ all jener Firmen zusammengestellt hätten, die mit dem Iran Geschäfte machten. Der Weg nach Westen ist für Rouhani sehr beschwerlich. Was bleibt ihm übrig, als er sich mit den Revolutionsgarden, dem Staat über seinem Staat, zu arrangieren?
Persischsprachige Quellen:
http://www.asriran.com/fa/news , seraj24.ir/fa/news , fararu.com/fa/news , fa.wikipedia.org/wiki/قرارگاه_سازندگی_خاتم , aftabnews.ir/fa/news/413570
http://www.yjc.ir/fa/news , kaleme.com/1391 , iranwire.com/fa/features , fararu.com/fa/news/245315 , namehnews.ir/fa/news ,
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal