Es ist eine gefährliche Eskalationsstufe, nah an einem Krieg. Dass US-Präsident Donald Trump erklärt hat, die Revolutionsgarde in die Liste der Terrororganisationen aufzunehmen, zielt auf einen völligen Zusammenbruch der iranischen Wirtschaft. Da die Garde fast 60 Prozent der iranischen Wirtschaft kontrolliert, können ausländische Personen oder Firmen, die Kontakte zum Iran haben, künftig leicht in Verdacht geraten, mit Terroristen zu kooperieren. Und was macht ein US-Flugzeugträger, der im Persischen Golf einem Boot der Revolutionsgarde begegnet?
Reicht der Zeitabstand? Nur vier Tage sind vergangen, seit US-Präsident Donald Trump die iranische Revolutionsgarde als Terrororganisation bezeichnete. Was sagen uns die Reaktionen der letzten Tage auf diese Ankündigung? War sie eine Kriegserklärung bzw. -vorbereitung? Oder nur politische Stimmungsmache, Medienrummel ohne Wirkung? Gegen wen richtet sich Trumps Politik? Will er eine „Terrororganisation“ bekämpfen oder steht mehr auf dem Spiel – etwa ein Regime-Change im Iran und eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse im gesamten Nahen Osten?
Meister des Timings
Timing ist bekanntlich oft entscheidend, wenn es um die Bekanntgabe eines spektakulären Vorhabens geht. Trump versteht diesen Grundsatz sehr gut. Es war der Vorabend der israelischen Parlamentswahl, als er sein Dekret über die Garde bekannt gab. Und im Iran selbst sollte am Tag darauf wie seit vierzig Jahren der Gründungstag der Revolutionsgarden gefeiert werden. Besseres Timing ist kaum denkbar.
Nur wenige Minuten nach Trumps Äusserung bedankte sich Israels Premier Benjamin Netanyahu in einem Tweet bei den Amerikanern und schrieb, der Schritt schütze die Welt vor iranischer Aggression und iranischem Terrorismus. In einem folgenden hebräischen Tweet dankte er Trump dafür, dass er „eine weitere meiner wichtigen Bitten erfüllt hat“. Die Botschaft an israelische Wähler*innen für den bevorstehenden Urnengang war klar.
„Wir sind alle Revolutionsgarden“
In Teheran wurde sofort eine Sondersitzung des Parlaments einberufen. Und bei dieser erschienen alle Abgeordneten in Uniformen der Revolutionsgarden. Selbst in einer Fernseh-Talkshow am Abend, als Experten und Politiker Trumps Entscheidung analysieren sollten, trug der Moderator eine Garden-Uniform. Mehr Symbolik geht nicht, um Trump zu signalisieren, er habe es mit einem ganzen Volk zu tun.
Wer sind die Revolutionsgarden und was machen sie genau? „سپاه پاسداران انقلاب اسلامی“ lautet ihr offizieller Name: „Armee der Beschützer der Islamischen Revolution“. Das Wort Iran kommt darin nicht vor. Das ist logisch und nachvollziehbar: Als diese Armee vor fast vierzig Jahren ins Leben gerufen wurde, hatten ihre Gründungsväter einen universalen Anspruch: Die Islamische Revolution finde nicht nur im Iran statt, deshalb brauche sie weltweite „Beschützer“. Dementsprechend ist sie momentan da im Einsatz, wo sie gebraucht wird: im Irak, in Syrien, im Jemen und im Libanon.
Die Revolutionsgarden sind dabei einerseits eine ganz normale Armee mit Luft- und Seestreitkräften und einem gewaltigen Heer. Alle wehrpflichtigen Iraner können wählen, ob sie ihren Militärdienst bei der klassischen Armee oder bei den „Beschützern der islamischen Revolution“ ableisten möchten. Und viele entscheiden sich für die Garde, denn der Dienst dort bringt Privilegien und Vorteile mit sich.
Doch andererseits sind die„ Beschützer“ noch weit mehr als eine Armee. Sie verkörpern eine weltweit einmalige Verquickung von Wirtschaft, Militär, Politik und Religion. Es gibt für die Garde zwischen all diesen Bereichen praktisch keine Grenzen mehr. Ihre Vertreter sitzen in fast allen Ministerien und sorgen dafür, dass revolutionsferne Elemente den Institutionen der Revolution fern bleiben. Sie bestimmen direkt und indirekt die Richtlinien der Innen- und Aussenpolitik – und dies in allen Einzelheiten.
Die Garden haben eine eigene Rentenkasse, die nicht nur im Iran agiert, sondern weltweit – wie eine mächtige und komplizierte Holding. Sie ist der grösste Arbeitgeber des Landes und es gibt kaum kleine oder grosse Wirtschaftsbereiche, wo diese Rentenkasse nicht präsent ist: Erdöl und Erdgas, Bergbau, Aussenhandel, Landwirtschaft, Luft- und Seetransport, Banken, Medien und Telekommunikation – um nur die wichtigsten zu nennen. Kaufhäuser in allen Städten gehören ebenso der Kasse wie Raststätten an Autobahnen. Fast 60 Prozent der iranischen Wirtschaft werden direkt oder indirekt von den „Beschützern“ und ihren zahlreichen Institutionen kontrolliert. Millionen sind bei diesen Unternehmen beschäftigt.
Die Garden sind also Arbeitgeber, sie haben ihre eigenen Medien und Universitäten, Krankenhäuser und Fluggesellschaften. Sogar die Geistlichen sollen nach ihrer Vorstellung ausgebildet werden. Im Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit, in der Stadt Qom, bestimmten die Garden sogar den Inhalt der Lehrbücher mit, wie Insider berichten. Denn niemand ist in ihren Augen gefährlicher als ein schiitischer Geistlicher, der sich gegen die „Beschützer“ stellt.
Wer ist nun Terrorist?
Sind nun alle Mullahs Terroristen, die in Qom ausgebildet werden? Oder all jene Schüler und Studenten, die an den Lehranstalten der Garden studieren? Alle Ärzte und Krankenschwestern, die in ihren Krankenhäusern arbeiten, alle Ingenieure und Facharbeiter auf ihren Baustellen? Keiner von ihnen werde je ein Visum für die USA bekommen, sagte US-Aussenminister Mike Pompeo unmittelbar nach Trumps Dekret über die Garden.
Doch Trumps Entscheidung hat auch Konsequenzen für Firmen und Privatpersonen aus anderen Ländern. Künftig werden die USA allen ausländischen Firmen Zusammenarbeit mit Terroristen vorwerfen, die iranische Kunden haben, die in irgendeiner Form in Kontakt zu den Garden stehen – und im Iran führt alles irgendwie zu ihnen. Trumps Dekret ist damit zugleich eine Absichtserklärung zur totalen Vernichtung der iranischen Wirtschaft, meinen Experten. Und das ist keineswegs übertrieben.
Was geschieht künftig am Persischen Golf oder im Irak?
Doch Trumps Dekret ist auch eine ernsthafte Kriegsgefahr. Bis jetzt haben sich US-Militärs und die Revolutionsgarde in der Region vertragen und sogar teilweise kooperiert. Doch diese Zeiten sind nun vorbei. Ab jetzt ist jeder Revolutionsgardist, der sich in einem Schnellboot den amerikanischen Truppen im Persischen Golf nähert, ein Terrorist, der sofort verhaftet oder gar getötet werden muss.
Gefährlich wird es vor allem im Irak werden. Sollte sich ein Gardist dort einem US-Stützpunkt nähern, droht eine militärische Konfrontation. Und die irakische Regierung weiss, wie kritisch und kriegerisch die Lage in ihrem Land geworden ist. Dass es im Irak, am Persischen Golf, in Syrien oder in Afghanistan zu einem Zwischenfall kommt, lässt sich ebenso wenig ausschliessen wie eine Konfrontation, die zu einem grossen Krieg führen könnte. Der Irak und nicht Syrien werde der Ort sein, wo ein ungewollter Krieg zwischen dem Iran und den USA beginnen könnte, warnt ein Experte der Website Iran Diplomatie. Unrecht hat er nicht.
Nur wenige Stunden nach Trumps Entscheidung, die Garden zur Terrororganisation zu erklären, erklärte der Nationale Sicherheitsrat des Iran das United States Central Command CENTCOM – das dem US-Verteidigungsministerium unterstehende Zentralkommando – zu einer „terroristischen Zentrale“ und jeden US-Soldaten in der Region zum Terroristen. Das CENTCOM hat einen Stützpunkt in Katar und Verbindungsbüros in Kuweit und Bahrain.
Mit freundlicher Genehmigung von Iranjournal