Thomas Aeschi, Jahrgang 1979, kandidiert auf der Liste der Schweizerischen Volkspartei (SVP) für einen der drei Zuger Sitze im Nationalrat. Der Ökonom und Harvard-MPA sitzt seit 2011 im Parlament in Bern und ist Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben sowie der EFTA/EU-Delegation. Beruflich ist der Baarer seit 2008 für eine globale Strategieberatungfirma in Zürich tätig. Seit 2015 präsidiert er die SVP des Kantons Zug. Das Gespräch mit Thomas Aeschi führte Ignaz Staub.
Journal21: Zumindest im Kanton Zug, so mein Eindruck, war die SVP im Wahlkampf präsenter als andere Parteien? Täuscht der Eindruck oder hat Ihre Partei schlicht mehr Mittel zur Verfügung?
Thomas Aeschi: Wir haben diesen Wahlkampf im gleichen Rahmen geführt wie vor vier Jahren, mit demselben Wahlkampfleiter, und mit einem Budget, welches im Vergleich zu 2011 eher etwas zurückgegangen ist. Die CVP und die FDP haben sicher gleich viele, wenn nicht mehr Mittel zur Verfügung als wir, aber wir waren und sind sehr präsent.
Ich bin zum Beispiel heute Morgen um Fünf aufgestanden und habe ab sechs Uhr während drei Stunden vor dem Bahnhof Zug Äpfel verteilt, d.h. den direkten Kontakt zur Stimmbevölkerung gesucht. Auch in Sachen „wilder“ Plakatierung haben wir mit selbstgestellten Plakaten dieses Jahr besondere Anstrengungen unternommen, was relativ kostengünstig, dafür aber wirkungsvoller ist, weil solche Plakate je nach Gemeinde sechs, sieben Wochen lang hängen dürfen.
Sind Sie denn dafür, dass hierzulande wie in den USA Wahlkampfauslagen öffentlich gemacht werden?
Der Kern Ihrer Frage zielt wohl auf das Thema der Parteienfinanzierung. Die SVP ist gegen eine Offenlegung von Parteispenden und Wahlkampfauslagen. Wir sind der Meinung, dass jeder Bürger, auch jedes Unternehmen, selbst bestimmen soll, wem er oder es etwas spenden will. Die Höhe der Spenden widerspiegelt ja auch den Grad der Anerkennung der Politik einer Partei.
Auch befürchten wir, dass im Falle völliger Transparenz gewisse Firmen, die öffentliche Aufträge erhalten, je nach lokalen Machtverhältnissen von der Verwaltung geschnitten werden würden, weil sie allenfalls in den Augen der Auftraggeber die falsche Partei unterstützen.
Für den „Tages-Anzeiger“ sind Sie einer der Aufsteiger im eidgenössischen Parlament. Das Blatt nennt Sie „pathetisch und übereifrig“, aber auch „fleissig und kompetent“. Wie weit schliessen Sie sich dieser Charakterisierung an? Oder anders gefragt: Wo sehen Sie selbst Ihre Stärken als Politiker?
Eifrig bin ich sicher, auch engagiert. Zu beurteilen, ob ich übereifrig bin, überlasse ich anderen. Unser Parlament funktioniert leider etwas träger, als ich mir das vorgestellt habe oder als ich es mich aus meiner Beratungstätigkeit in der Privatwirtschaft gewohnt bin.
Für einen Neuling in Bern ist diese Trägheit ernüchternd, wenn man sich mit eigenen Ideen einbringen will. Der parlamentarische Prozess, die Bearbeitung von Vorstössen oder Initiativen, ist sehr langsam. Erst unlängst ist ein Vorstoss von mir abgeschrieben worden, weil er die Frist von zwei Jahren überschritten hatte. Das bedeutet, dass ich in dieser Sache wieder von vorne anfangen kann.
Im Übrigen bin ich jemand, der sich gerne in Themen vertieft und sich mit eigenen Vorstellungen einbringt. Gleichzeitig bin ich auch hartnäckig und lasse mich nicht allzu schnell mit unbefriedigenden Antworten abspeisen. Wie wohl die meisten bin auch ich in die Politik gegangen, weil ich etwas verändern möchte. Und weil ich befürchte, unser Land könnte sich zu stark in Richtung EU, zu sehr in Richtung einer Mitte-Links-Politik bewegen. Da braucht es Leute, die Gegensteuer geben.
Was hat Sie seinerzeit motiviert, in die Politik einzusteigen und dafür Konzessionen zu machen, was Ihre berufliche Laufbahn betrifft? Und warum der Einstieg für die SVP? Harvard-Absolventen vermutet einer eher in den Reihen der FDP.
Der 6. Dezember 1992 (Termin der EWR-Abstimmung) hat mich damals als 13-Jährigen stark geprägt. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der jeweils mittags und abends viel über Politik diskutiert wurde. Seinerzeit ist wohl der Wunsch wach geworden, mich politisch engagieren zu wollen, auch wenn dieses Vorhaben während der Schul- und der Studienzeit vorübergehend in den Hintergrund trat.
Als ich dann berufstätig war, bin ich nach längeren Auslandaufenthalten für meinen Arbeitgeber über die SVP meiner Heimatgemeinde Baar allmählich in die Politik hineingerutscht, erst in den Parteivorstand, ein Jahr später nach einem engagierten Wahlkampf in den Zuger Kantonsrat und schliesslich in den Nationalrat.
Ich will mich in Zeiten, in denen das politische Engagement eher nachlässt, dafür einsetzen, dass unser Land auch in zwanzig, dreissig Jahren noch so erfolgreich ist wie zu dem Zeitpunkt, als wir es von unseren Eltern übernommen haben. Die SVP ist die einzige glaubwürdige Partei, von der man genau weiss, dass sie nicht näher an die EU heranrücken will.
Häufig heisst es, das Asylwesen, die Zukunft der Altersvorsorge sowie die Energiewende seien die wichtigsten Themen der nächsten Legislaturperiode in Bern. Stimmen Sie dieser Prioritätenliste zu?
Nein! Die wichtigste Frage ist die EU-Frage. Wir wehren uns mit aller Macht gegen ein Rahmenabkommen, das die Schweiz faktisch zu einem EU-Mitglied macht - mit automatischer Rechtsübernahme in allen Bereichen, wo es bilaterale Verträge gibt, sowie einer dominanten Rolle des EU-Gerichtshofes, der ohne Schweizer Mitsprache in diesen Bereichen für uns bindend entscheiden würde.
Zweitwichtigstes Thema ist wohl die Frage, wie die AHV saniert werden soll. Was die Energiewende betrifft, so scheint mir dieses Thema nicht so vordringlich. Unsere Wirtschaft soll nicht noch mehr mit Abgaben belastet werden, da dies die Wettbewerbsfähigkeit unseres Gewerbes weiter mindert.
Wie begegnen Sie dem Vorwurf, die SVP betreibe bei Themen wie der Flüchtlingskrise oder dem Verhältnis der Schweiz zur EU eine unnötig alarmistische Politik? „Frei bleiben – SVP wählen“, heisst es im „Extrablatt“ Ihrer Partei.
Ich würde das Thema Asylwesen breiter fassen und von Migration sprechen. Dazu gehört auch die Durchsetzungsinitiative zur Ausschaffungsinitiative. Was das Asylwesen im engeren Sinn betrifft, so macht die SVP seit Jahren auf Mängel in diesem Bereich aufmerksam. Wir halten uns zugute, dass es uns gelungen ist, bei den letzten Asylrechtsgesetzesrevisionen gewisse dieser Mängel zu beheben, auch wenn wir im Parlament bei der jüngsten Revision des Asylgesetzes mit diversen Anträgen keine Mehrheiten fanden.
Jedoch stimme ich der Einschätzung nicht zu, die SVP würde das Thema “Ausländer“ bewirtschaften. Das Schweizer Volk hat sich zu diesem Thema wiederholt sehr deutlich ausgesprochen: Es hat der Ausschaffungsinitiative zugestimmt und es hat auch die Masseneinwanderungsinitiative angenommen - bei einem Wähleranteil der SVP von landesweit weniger als dreissig Prozent. Zuspruch in Sachen Masseneinwanderung kam auch von linker Seite. Unsere Partei greift Themen auf, welche die Bevölkerung betreffen und bei denen diese zum Schluss gelangt, dass sich etwas ändern muss.
Und wie sieht für Sie „eine freie und starke Schweiz“ aus?
Eine freie und starke Schweiz tritt auf dem internationalen Parkett wieder selbstbewusster auf und will sich langfristig nicht der EU anschliessen. Da sehe ich für die Schweiz die grösste Gefahr. Es darf nicht das Ziel der Schweiz sein, sich nur noch den anderen anzugleichen. Die Schweiz muss sich abheben und besser als ihre Konkurrenten sein wollen.
Woher kommt Ihres Erachtens dieses Schweizer Verlangen, Alleingänge zu vermeiden?
Dieses beruht auf einer Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen. Zwar funktioniert die Zusammenarbeit unter den bürgerlichen Parteien in meiner Kommission, der Wirtschaftskommission, nicht schlecht, aber sie kommt im Plenum viel zu wenig zum Tragen. Kommt dazu, dass der Bundesrat Mitte-Links besetzt ist. Schliesslich ist es der SVP bisher nur unterdurchschnittlich gelungen, Parteimitglieder in Führungspositionen in der Verwaltung zu platzieren.
Ein oft gehörter Vorwurf an die Adresse der SVP in Zeiten einer akuten Flüchtlingskrise ist jener der Fremdenfeindlichkeit. Wie begegnen Sie solchen Anklagen?
Mich selbst berühren solche Vorwürfe nicht. Ich bin, privat wie beruflich, viel gereist, habe über 70 Länder besucht und bin an fremden Kulturen interessiert. Auch für die SVP lasse ich den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit nicht gelten: Die Partei will, dass die Schweiz die Einwanderung wieder selbst steuert. Personenfreizügigkeit führt nur ein, wer mittel- bis langfristig zu einem grösseren Gebilde, wie zum Beispiel einer politischen Union zusammenwachsen will. Selbstbestimmung ist auch im Asylwesen oberstes Gebot. Aber natürlich soll an Leib und Leben bedrohten Personen Asyl gewährt werden.
Sie gelten als einer der gewerbefreundlichsten Politiker im Parlament. Der Kanton Zug ist heute einer der attraktivsten Wirtschaftsstandorte der Schweiz, mit tiefen Steuern und einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur. Trotzdem redet hier kaum jemand von „massiver Einwanderung“, wie das Ihr Parteipräsident Toni Brunner gerne tut. Wie würde sich Ihres Erachtens eine Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU auf die lokale Wirtschaft auswirken?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht ganz. Im Kanton Zug haben seinerzeit zur Annahme der Masseneinwanderungsinitiative nur 50 Stimmen gefehlt. Auch haben mir jetzt im Wahlkampf insbesondere ältere Personen gesagt, sie würden sich hier nicht mehr zu Hause fühlen und im Alltag bald mehr Fremdsprachen als Schweizerdeutsch hören.
Was die Abkommen mit der EU betrifft, so plädiere ich erneut für mehr Selbstbewusstsein. Die EU verletzt bilaterale Abkommen massiv, die sie mit uns geschlossen hat, denken Sie an Schengen-Dublin. Rückschaffungen von Asylsuchenden in Erstaufnahmeländer wie Italien oder Griechenland gibt es keine mehr. Gleichzeitig pocht Brüssel bei anderen Abkommen auf eine buchstabengetreue Umsetzung.
Als der Schweizer Souverän seinerzeit der Personenfreizügigkeit zugestimmt hat, ging er davon aus, dass jährlich 8000 Personen einwandern würden. Heute, zehn Jahre später, hat sich diese Zahl verzehnfacht und unterdessen haben Bürgerinnen und Bürger mit dem System Erfahrungen sammeln können. In der Zwischenzeit hat in Sachen Einwanderung ein Umdenken eingesetzt. Diesem Meinungsumschwung der Bevölkerung muss die Schweiz unilateral Rechnung tragen und nicht zuerst nach Brüssel gehen und fragen, ob sie das dürfe. Klar, dass Brüssel da nein sagt.
Sie haben sich einmal geäussert, das Bedürfnis von Schweizerinnen und Schweizern scheine zu wachsen, der Heimatzugehörigkeit mehr Bedeutung beizumessen: „An unzähligen Anlässen werden typisch schweizerische Kultur und Traditionen neu belebt.“ Wo orten Sie diese Rückkehr zu mehr Swissness? Zumindest im Kanton Zug verspüre ich nicht viel davon. Auch das YouTube- Video „Welcome to SVP“, so clever gemacht es ist, atmet wenig Schweiz.
Ich bin nicht dafür, Swissness gesetzlich zu verankern, und habe die entsprechende Vorlage im Parlament abgelehnt. Trotzdem konstatiere ich nicht zuletzt unter jungen Leuten eine wachsende Zuwendung zu Schweizer Brauchtum, denken Sie nur etwa ans Schwingen und an die jüngsten Eidgenössischen Schwingfeste.
Die Jugend ist heute meines Erachtens heimatverbundener, als meine Generation im selben Alter es war. Junge wollten wir auch mit dem Video „Welcome to SVP“ ansprechen und das ist uns, finde ich, auch gelungen. Etliche Jugendliche loben uns mit der Begründung, wir würden endlich etwas unternehmen bei Themen, die sie beschäftigen wie zum Beispiel die Migration.
Stichwort „international“: Wie nahe verfolgen Sie aus der Ferne den Präsidentschaftswahlkampf in den USA und für wie dysfunktional, wenn überhaupt, halten Sie amerikanische Bundespolitik - den „gridlock“ in Washington DC etwa, d.h. den Umstand, dass sich Legislative und Exekutive gegenseitig lähmen?
Ein Problem der amerikanischen Politik orte ich im Umstand, dass es dort nur zwei Parteien gibt, die sich an der Macht abwechseln. Gleichzeitig zwingt der Vorwahlkampf Politiker beider Parteien dazu, extreme Positionen zu vertreten, um die eigene Basis überzeugen zu können. Das führt zu einer gewissen Verhärtung der Positionen. Auch bei uns in der Schweiz wird der Konsens nicht mehr so hoch gehalten, wie es einst der Fall war, und auch bei uns findet eine gewisse Radikalisierung statt.
Stichwort „Medien“: Wie halten Sie es als Politiker mit der SRG, über deren Zukunft das nächste Parlament wohl auch sprechen wird? Sie selbst hatten ja unlängst eine unliebsame Erfahrung mit dem „Kassensturz“, der eine Aussage von Ihnen zum Thema Konsumentennähe der Parteien im Off abwertend kommentierte. Was beinhaltet für sie der Service public?
Die SVP wird sich auch nach der Annahme der knappen RTVG-Revision für eine Reduktion der Billag-Gebühren einsetzen. Andere Länder zeigen, wie mit viel weniger Zwangsabgaben ein gutes Angebot an Informationssendungen in den Landessprachen hervorgebracht werden kann.
Nach der Wahl, heisst es, ist vor der Wahl. Auf die Parlamentswahlen folgt am 9. Dezember die Bundesratswahl, bei der die SVP Anspruch auf einen zweiten Sitz erheben dürfte, eine Eventualität, welche die Linke wiederum zu verhindern versuchen wird. Für wie gross halten Sie die Chancen Ihrer Partei, einen zweiten Sitz in der Exekutive in Bern zu erringen? Was, wenn das misslingt?
Es ist heute noch zu früh sich hierzu zu äussern. Warten wir zuerst die Parlamentswahlen vom Sonntag ab.