Die Frau heisst Michela Brambilla. Sie ist Ministerin in der Regierung Berlusconi und gehört zu seinen treuen Anhängerinnen. Sie ist – wie alle Frauen in seiner Umgebung – attraktiv, sexy, mit Mini-Jupe, fast immer schwarz angezogen. Sie hat rote, wallende Haare: Michela "la Rossa“. Von der linken Opposition wurde sie als „Vorzeige-Mädchen“ verunglimpft.
Doch jetzt legt Berlusconi die Stirn in Falten, wenn vom „Vorzeige-Mädchen“ die Rede ist. Michela Brambilla tut etwas, was dem Regierungschef nicht gefallen mag. Sie verprellt Hunderttausende seiner Anhänger. „La Rossa“ – ein rotes Tuch. Brambilla ist nicht nur Berlusconi-Anhängerin und Tourismus-Ministerin: Sie liebt auch Tiere. Und - sie hasst die Jäger.
Auf ihre Initiative hin sammeln Italienerinnen und Italiener jetzt Unterschriften gegen die Jagd. Schon wurde das „Manifest für die Tiere“ von hunderttausend Personen unterschrieben.
Nur wenige Themen polarisieren die italienische Gesellschaft so sehr wie die Jagd. Lauf offiziellen Angaben gibt es 700 000 in Jagdvereinen eingeschriebene Jäger. Dazu kommen noch 200 000, die ein zeitlich begrenztes Patent gelöst haben.
Das Problem ist: Die meisten dieser Jäger neigen dem Berlusconi-Lager zu. Das zumindest behaupten sowohl linke wie auch rechte Politiker. Eine offizielle Statistik über die Parteipräferenzen der Jäger gibt es allerdings nicht.
Die italienischen Jäger – das ist oft nicht die „fine fleur“. Um halb sechs Uhr früh fallen die ersten Schüsse. Die Jäger trampeln durch Weinberge, durch Gärten, über privates Land – und knallen auf alles, was sich bewegt: auf Hauskatzen, die das Pech hatten, am frühen Morgen Lust auf Mäuse zu haben, auf Hunde, die das Haus vor Einbrechern schützen wollen. Das Gesetz aus dem Jahr 1992 sieht vor, dass die Distanz der schiessenden Jäger zu einem bewohnten Haus nur hundert Meter betragen muss.
Im Krieg gegen Rebhühner und Hasen
Viele der Jäger sehen unheimlich aus. Sie grüssen selten, denn sie wissen, dass man sie nicht mag. Sie tragen oft lange Mäntel, die sie vor Nebel und Regen schützen. Fast beklemmend und drohend stapfen sie langsam durch die Gegend: die Knarre auf der Schulter, oft eine Zigarette im Mund. Ruft man ihnen zu, verstecken sie sich hinter Bäumen. Sie könnten aus alten Kriegsfilmen über den Zweiten Weltkrieg stammen. Sie sehen aus „wie Faschisten“, sagen ihre Gegner. „Wie Partisanen“, sagen sie selbst.
Viele tragen Kampfanzüge, vierfarbig, wie sie die Schweizer Armee kennt. Als ob man in Kampfmontur in den Krieg zöge: in den Krieg gegen Rebhühner und Hasen. Feldstecher gehören zur Ausrüstung, ebenso eine Flasche Grappa. Es ist oft kalt auf der Jagd.
Viele Jäger kommen mit Hunden, die sie oft mieten. Diese müssen die Hasen und Vögel, die Rehe und Wildschweine aufscheuchen. Oft haben diese Jagdhunde ein Glöckchen um den Hals und rasen mit gesenktem Kopf an Gebüsch und Bäumen vorbei – durch Gärten und Weinberge. Ihr nervöses und rachitisches Gebell wirkt bedrückend. Und immer wieder die dumpfen Rufe der Jäger: Qua, qua, qua.
La gente strana
Früher schossen die Jäger weit weg von bewohnten Gebieten. Heute sind viele zu faul, den weiten Weg in Angriff zu nehmen. Sie jagen direkt neben Dörfern und Häusern, direkt neben Kinderspielplätzen und Sportanlagen. In einem Interview mit dem Mailänder Corriere della sera erzählt Frau Brambilla von einem Mädchen, das nicht mehr auf der Terrasse spielen kann „weil es Kugeln regnet“.
Sich mit Jägern verkrachen, ist nicht immer lustig. Plötzlich knallen sie eine Salve in eine Hausmauer oder auf das Dach. Man zieht immer den Kürzeren. Es gibt auch Geschichten, die besagen, dass potentielle Einbrecher ein Jagdpatent lösen. Sie schleichen dann um Häuser herum und und eruieren, ob jemand zu Hause ist. „C’è la gente strana“, sagt Franco, ein Nachbar. Dass die „gente strana“ in den Gärten Gemüse und in den Weinbergen Trauben stiehlt, wissen alle.
Doch es gibt auch andere. Die urbanen Freizeitjäger. Da kommen sie – meist am Samstag- oder Sonntagvormittag - aus Florenz, Rom, Mailand oder Genua. Ihre teuren Geländewagen parken sie meist direkt im Weinberg oder am Strassenrand. Und dann streifen sie mit Tod’s-Stiefeln und Armani-Jäckchen durch die Gegend und legen los.
Das Steak aus dem Labor
Marino ist Maurer. Mit ihm über die Jagd zu sprechen ist sinnlos; die Fronten stehen so unverrückbar, wie die Mauern, die er baut. „Ihr Städter versteht das nicht. Ihr esst zwar Fleisch, aber woher kommt denn dieses Fleisch? Ihr seid gegen die Jagd, aber Fleisch - darauf wollt ihr nicht verzichten“.
Und Mauro, ein Monteur, pflichtet ihm bei. „Ihr glaubt wohl, Euer Steak stamme aus dem Labor“. Und dann beginnt zum hundertsten Mal die gleiche Diskussion über das grausame Abschlachten von Tieren, die Angst der Tiere – e così via.
Mit Marino und Mauro über die Jagd zu sprechen ist so sinnlos, wie über Berlusconi zu sprechen. Beide verehren ihn. Allerdings nicht mehr so bedingungslos wie auch schon. Doch was die Jagd betrifft, da gibt es keine Zweifel.
Vor einigen Tagen hat die Jagd wieder begonnen. Zuerst darf man nur Vögel schiessen, dann kleinere Tiere und schliesslich die grossen: die Rehe, die Wildschweine. Bisher dauerte die Jagd bis Ende Januar. Jetzt darf sie sogar, je nach Region, bis in den Februar hinein verlängert werden. An diesem Montag beginnt in Italien offiziell die Traubenlese; dann pfeifen die Kugeln wieder über die Rebarbeiter.
23 tote Jäger
Die Jäger sagen, ihre Vereine hätten Zuwachs. Die Krise treibe viele wieder auf die Pirsch. Beweise dafür gibt es nicht. Sicher ist, dass die Jagdvereine stark überaltert sind. Auch junge Frauen würden sich immer mehr in Jagdvereinen einschreiben, behauptet Marino. Doch vielleicht ist das nur Wunschdenken.
Michela Brambilla will jetzt das Jagdgesetz revidieren. Doch Berlusconi, der weiss Gott schon genug Probleme hat, will es nicht auch noch mit 900 000 Jägern aufnehmen. Im Moment schweigt er.
Das Jagdvergnügen ist allerdings auch für die Jäger nicht ganz ungefährlich. Viele von ihnen sind wenig talentierte Schützen und knallen sogar sich selbst ab. Während der letzten Saison wurden 23 Jäger erschossen, 53 wurden verletzt. Unter der Zivilbevölkerung gab es einen Toten und 18 Verletzte.
Spricht man mit Italienern über die Jagd, hört man immer wieder nette Anekdoten. Es habe, wird erzählt, eine Meinungsumfrage unter den Frauen der Jäger gegeben. Eine erdrückende Mehrheit der Frauen sei für die Beibehaltung der Jagd gewesen. Warum? „Wenn die Männer auf der Jagd sind, haben die Frauen einen freien Vormittag und können ihre Lover verwöhnen“.
Se non è vero…