Im Iran verfolgen die Menschen diesen Urnengang mit ebenso viel Spannung wie die Machthaber. Trotzdem behaupten Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei und Präsident Hassan Rouhani, es sei ihnen nicht wichtig, wer in Amerika regiert.
Noch schliefen die amerikanischen Wähler, als Ali Khamenei in Teheran seine Ansprache zur Weltlage hielt. Der Zeitunterschied zwischen Teheran und Washington beträgt mehr als zehn Stunden. Der US-Wahltag – der dritte November – fällt mit dem 13. Tag des iranischen Monats Aban zusammen, einem یوم اله, einem „Tag Gottes“. Seit der Revolution gedenkt man an diesem Tag mit allerlei Veranstaltungen und Strassenaufmärschen mehrerer historischer Ereignisse. Es war ein dritter November, als Ayatollah Ruhollah Khomeini 1964 ins Exil gehen musste. Und 15 Jahre später – Khomeini war inzwischen als Revolutionsführer triumphal in den Iran zurückgekehrt – war es wieder ein dritter November, als seine treuesten Anhänger die US-Botschaft in Teheran besetzten. Die Geiselnahme der amerikanischen Diplomaten, die Khomeini eine „zweite Revolution“ nannte, dauerte 444 Tage. Sie wurden just an dem Tag freigelassen, an dem die Wahlniederlage Jimmy Carters offiziell bestätigt wurde und Roland Reagan als neuer US-Präsident seinen Amtseid leistete.
In Corona-freien Zeiten sammelten sich deshalb an diesem Tag alljährlich tausende Demonstranten vor dem Gebäude der einstigen US-Botschaft und verbrannten die Fahne der USA. Diese Botschaftsbesetzung ist bestimmend für die über vierzig Jahre alte Feindschaft und Konfrontation zwischen Teheran und Washington.
Das laute Schweigen Khameneis
Als ob alle diese Anlässe nicht ausreichten, fiel der dritte November in diesem Jahr mit dem Geburtstag des Propheten zusammen. Wieder ein „Gottestag“, dem allerdings die Mohammed-Karikaturen, die Enthauptung eines Geschichtslehrers in Paris, der Eintritt Emanuel Macrons für die Pressefreiheit und schliesslich die Proteste in manchen islamischen Länder vorausgingen.
Seit dem Terroranschlag in Wien waren nur einige Stunden vergangen, als Ali Khamenei mit seiner Ansprache begann. Er hatte an diesem „Gottestag“ viel zu verkünden, zu weltbewegenden Themen aus der Geschichte ebenso wie zu noch wichtigeren Themen aus der Gegenwart. Was er auf seine Art auch tat.
Er schwieg sehr laut zu den Terrorakten in Paris, Nizza und Wien. Dafür ging er ausführlich auf die Karikaturen, die „Islamophobie“ des Westens, die sich hinter angeblicher Pressefreiheit verberge, und auf „den berechtigten Zorn der islamischen Welt“ ein. Und es fehlte in dieser Ansprache natürlich nicht Palästina und das „zionistische Gebilde“, dem Khamenei wieder ein baldiges Ende prophezeite.
Antiamerikanismus als Raison d’être
All das ist längst bekannt. Khamenei herrscht seit 31 Jahren und hat in dieser Zeit 1’700 Ansprachen gehalten; in keiner davon fehlte das Wort „Feind“, unter dem er abwechselnd und oft gemeinsam die USA, Israel und den Westen insgesamt subsumiert. Seine jüngste Ansprache könnte man also als „bekannte Propaganda ohne Substanz“ verbuchen.
Doch das trifft es nicht ganz. Bemerkenswert und substantiell war das, was Khamenei über die US-Wahl mitzuteilen hatten. Wörtlich sagte er: „Einerlei, wer amerikanischer Präsident werden mag, unsere Politik wird das nicht beeinflussen.“
Das ist keine Propaganda, sondern Programm. Khamenei bleibt sich treu. Antiamerikanismus war, ist und bleibt bis auf weiteres die Raison d’ètre der islamischen Republik. Khamenei braucht diesen Feind, um ihn für alle Schlechtigkeiten dieser Welt verantwortlich zu machen. Ob Arbeitslosigkeit oder Inflation, die Unfähigkeit Corona zu kontrollieren, oder die Bürgerkriege in den Nachbarländern: All das gehe auf das Konto jenes Feindes zurück, der seit über vierzig Jahren versuche, die Islamische Republik zu beseitigen. Jene im Land, die ihren Blick nach aussen richteten, befänden sich auf dem Irrweg.
Einen Tag vor Khameneis Ansprache hatten die Revolutionsgarden in einer martialischen Erklärung verkündet, die USA blieben der ewige Feind und jeder, der für die Lösung der heimischen Probleme auf Amerika hoffe, gehöre zu dessen fünfter Kolonne.
Mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal