Porto ist als Reiseziel in Mode gekommen und bietet weit mehr als Port-Kellereien. Zu den kulturellen Höhepunkten gehört ein Besuch in der Buchhandlung «Livraria Lello», die nicht nur Bücher verkauft, sondern auch klassische Werke verlegt. Ganz neu im Sortiment sind arabische Übersetzungen von zwei emblematischen portugiesischen Werken.
Das Geschäft, das manche Reiseführer zur «schönsten Buchhandlung der Welt» erklären, öffnet erst um 9.30 Uhr. An diesem winterlich kalten, aber sonnigen Donnerstagmorgen bilden schon um 9 Uhr jedoch annähernd 30 Personen eine Schlange vor «Livraria Lello». Einen der vordersten Plätze hat sich ein rund 40-jähriger Tourist aus Südkorea gesichert. Etwas weiter hinten wartet, zwischen überwiegend portugiesischen Frauen und Männern, eine brasilianische Studentin. Kurz nach 9 Uhr kommt eine portugiesische Schulklasse hinzu. Wenn Covid nicht wäre, stünden hier wahrscheinlich auch Leute aus Spanien und Frankreich, den USA und Kanada, Italien, Deutschland, Angola, aus Skandinavien und Grossbritannien. Diese Schlange vor «Lello» gehört zum morgendlichen Stadtbild von der portugiesischen Nordmetropole.
Manchmal lange Wartezeiten
Wer sich aus dem Ausland nach Porto verirrt, besucht wahrscheinlich eine Port-Kellerei und unternimmt eine Bootsfahrt auf dem Rio Douro, der hier in den Atlantik mündet. Zum Sightseeing-Pflichtprogramm gehören die Börse mit ihrem «arabischen Saal» und die im Grundriss ovale barocke Igreja dos Clérigos mit Portugals höchstem Kirchturm, 75 Meter hoch. In Rufweite des Turmes gelegen, zählt aber auch Lello zu Portos kulturellen Höhepunkten. Manche Besucher entdecken erst auf den zweiten Blick ihre schmale Fassade mit einem stilistischen Mix aus portugiesischer Neogotik und Art Nouveau.
«Manchmal müssen die Leute drei Stunden warten, bis sie hineinkönnen», sagt eine Angestellte des Hauses, das nicht nur Bücher verkauft, sondern auch Werke von klassischen Autorinnen und Autoren verlegt, in vier Sprachen: Portugiesisch, Englisch, Spanisch und Französisch. Wer an diesem Morgen zu Lello will, braucht etwas mehr Geduld als sonst. Mit einem Empfang feiert das Geschäft sein 116-jähriges Bestehen, mitsamt Musikprogramm, Kuchen und einer Liveschaltung zu der (auf 2021/22 verschobenen) Weltausstellung Expo 2020 in Dubai. Zum Portugal-Tag lanciert die Managerin des Geschäfts, Aurora Pedro Pinto, von dieser Stadt der Vereinigten Arabischen Emiraten aus die von Lello herausgegebenen Übersetzungen von zwei überaus emblematischen portugiesischen Büchern ins Arabische.
Brückenschlag zur arabischen Welt
Es sind «die zwei wichtigsten Werke der portugiesischen Literatur», betont Hugo Cardoso, bei Lello für «creativity and branding» zuständig. Auch in Porto liegen Exemplare beider Werke bereit. Ein aus den Wogen aufsteigender Meeresriese Adamastor ziert die arabische Version von «Os Lusíadas», dem Heldenepos aus der Feder des Nationaldichters Luís de Camões (ca. 1524–80), der Vasco da Gamas Entdeckung des Seeweges nach Indien im Jahr 1498 glorifiziert. Eine grobe goldene Strichzeichnung von Fernando Pessoa (1888–1935), wie üblich mit Hut und Brille mit ovalen Gläsern, dient als Titelbild von dessen «Mensagem» (Botschaft). Arabische Übersetzungen dieser Werke in diese von 275 Millionen Menschen gesprochene Sprache lägen bisher nicht vor, hebt Cardoso hervor.
Was aber macht diese Buchhandlung, die der Ingenieur Francisco Xavier Esteves im frühen 19. Jahrhundert konzipierte, zur Attraktion? Ins Auge sticht innen zunächst die geschwungene doppelte Freitreppe, die ins Obergeschoss führt. Sie wirkt so, als sei sie aus Holz, besteht aber in Wahrheit aus Beton mit bemaltem Stuckwerk. Wie aus Holz geschnitzt wirken auch die neogotischen Regale und Baldachine mit Flachreliefs von berühmten portugiesischen Schriftstellern – Eça de Queiroz, Camilo Castelo Branco, Antero de Quental, Guerra Junqueiro.
Ein neues Geschäftsmodell
Nach Angaben der Geschäftsleitung steht die Erklärung dieses Ladens zum Nationaldenkmal bevor. Auch als Sehenswürdigkeit soll er nach den Plänen der Geschäftsführerin, die 2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann einen 51%-Anteil am Stammkapital erwarb, aber auch als Buchhandlung rentabel bleiben, und zwar mit einem neuen Geschäftsmodell. Früher war der Eintritt frei. Viele Menschen sahen sich um, machten vielleicht ein Selfie auf der Treppe und gingen wieder hinaus. Wer hinein will, muss heute 5 Euro zahlen und erhält einen Gutschein, dessen Wert bei Käufen angerechnet wird.
Das Modell funktioniert. Seit Einführung des Gutscheins stieg die Zahl der jährlich verkauften Bücher von 60’000 im Jahr 2015 auf 700’000 im Jahr 2019, dem letzten Jahr vor dem pandemischen Knick, in dem Lello 1,2 Millionen Besucher zählte. Seit 2015 ist der Anteil jener Frauen und Männer, die Käufe tätigten, von 10 auf 55 Prozent gestiegen.
Nobelpreisträger im Obergeschoss
Wer Schmöker oder leichte Kost sucht, wird anderswo wahrscheinlich schneller fündig. Lello ist auf Klassiker spezialisiert. In den Regalen lagern Shakespeares «Romeu und Julia», Flauberts «Madame Bovary», Saint-Exupérys «Le Petit Prince» und Jules Vernes «Vingt mille lieus sous les mers» ebenso wie Dumas’ «Graf von Monte Christo» und Edgar Allan Poes «Erzählungen». Natürlich darf Fernando Pessoa ebenso wenig fehlen wie Eça de Queiroz (1845–1900), der die portugiesische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts mit einer einzigartigen Mischung aus Realismus und feinem Spott porträtierte und karikierte. Seine Romane sind bis heute überraschend aktuell. Kinder kommen mit Harry Potter und Tom Sawyer auf ihre Kost.
Das Obergeschoss gehört den Trägern des Nobelpreises für Literatur sowie jenen Autorinnen und Autoren, die immer wieder als «nobel-verdächtig» im Gespräch sind. Ein spezielles Augenmerk gehört hier natürlich dem portugiesischen Schriftsteller José Saramago (1922–2010), der 1998 als erster Autor portugiesischer Sprache diesen Preis gewann. Aus Portugal ist, neben ausländischen Autorinnen und Autoren, auch António Lobo Antunes (*1942) in bis zu vier Sprachen vertreten.
Heldenepos mit Stolpersteinen
Mit den nun lancierten arabischen Übersetzungen, beide von dem aus Tunesien stammenden Abdeljelil Larbi, stösst Lello auf Neuland vor. Insbesondere die Poesie von Camões’ Heldenepos «Os Lusíadas» zu übersetzen, war nicht leicht, sagt der Übersetzer. Er gibt auch zu verstehen, dass Camões von den Völkern in Afrika und auf der arabischen Halbinsel, mit denen Vasco da Gama auf dem Weg nach Indien in Kontakt kam, nicht nur positive Bilder zeichnet. Für die Portugiesen seien die anderen damals «Feinde» gewesen. Camões habe aber arabische Städte und Bräuche beschrieben, und das mache die «Lusíadas» zu einem historischen Dokument, das auch für die arabische Welt von Bedeutung sei.