In diesen Tagen feiert die Grüne Partei der Schweiz (GPS) ihr vierzigjähriges Jubiläum. Sie kann auf eine Entwicklung zurückblicken, die nicht gradlinig verlief, sondern etliche Höhen und Tiefen kannte.
Vierzig Jahren nach ihrer Gründung ist die GPS in der Schweizer Parteienlandschaft eine ernst zu nehmende politische Kraft, mit einer nationalen Parteistärke von 13 Prozent. Sie ist in allen drei grossen Sprachregionen verankert und hat im Nationalrat, im Ständerat sowie in kantonalen und kommunalen Regierungen und Parlamenten dauerhaft Einsitz genommen. Für den Historiker Jakob Tanner war die Gründung der Grünen Partei die für die Schweiz «nachhaltigste Innovation auf parteipolitischer Ebene».
Eine Geschichte mit Brüchen
Bei der Gründung im Mai 1983 konnten sich die Aktivisten und Aktivistinnen aus der Umwelt, Friedens- und internationalen Solidaritätsbewegung nicht auf ein gemeinsames nationales Projekt einigen. So bildeten sich vorerst zwei Formationen: die sogenannt gemässigten Grünen und die alternativen Grünen. Erstere, auch Gurkengrüne genannt (weil innen und aussen grün), waren vor allem in der Romandie verankert und hatten mit dem Waadtländer Daniel Brélaz bereits seit 1979 einen Nationalrat. Bei den Nationalratswahlen 1983 holten sie noch ein weiteres Mandat in Genf und Zürich. In den folgenden Jahren wurden sie – als Grüne Partei der Schweiz – bald zur grünen Referenzinstanz.
Die Gruppierungen der alternativen Grünen, Melonengrüne genannt (weil innen rot und aussen grün), waren bei den Wahlen weniger erfolgreich, wenn man von der 68er Formation der Progressiven Organisationen POCH absieht. Die meisten von ihnen traten im Verlaufe der späten Achtziger- und der Neunzigerjahre der GPS bei. Dadurch wurde die GPS thematisch breiter, erfuhr aber auch einen Linksrutsch.
2004 spaltete sich in Zürich und St. Gallen ein Flügel von den Grünen ab; 2007 gründete dieser mit einigen in der Deutschschweiz neu entstandenen Gruppierungen die Grünliberale Partei (GLP).
Konkurrenz durch die SP
Als der SP im Zuge des Strukturwandels von der industriellen zur postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft ihre traditionelle Wählerbasis, die Industriearbeiter, immer mehr abhanden kam, positionierte sie sich in den Achtzigerjahren inhaltlich neu und richtete sich auf die neuen gut ausgebildeten Mittelschichten aus – diese waren und sind auch die Basis der Grünen.
Der Fachbegriff für diese Wählerbasis ist jener der soziokulturellen Spezialisten. Damit sind Angestellte in den Bereichen Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen sowie Medien und Kultur gemeint. Neben der grossen Ähnlichkeit des gemeinsamen Elektorats gibt es aber auch einige Unterschiede zwischen Grünen und SP. So etwa vermögen die Grünen bei den Jungen stärker zu punkten als die SP. Diesen Draht zu den Jungen dürften die Grünen dank ihrer guten Beziehungen zu den verschiedenen sozialen Bewegungen behalten. Die SP hingegen holt seit Längerem das ältere Wählersegment überdurchschnittlich stark ab.
Programmatisch verbindet die beiden Parteien ihre Position betreffend Gleichstellung, Ökologie, Migration und Integration. Kleinere programmatische Differenzen gibt es in der Agrar- oder der Aussenpolitik. Der wichtigste Unterschied liegt aber in der je eigenen Parteigeschichte und in der Kompetenzzuschreibung durch die Wählenden. Die Grünen gelten in Fragen der Umweltpolitik als kompetent, die SP vor allem in Fragen der Sozialpolitik und der Europa- und Migrationspolitik.
Unterschiedliche Kompetenzzuschreibungen
Waren in einem nationalen Wahljahr ökologische Themen dominierend, bescherte dies den Grünen einen Stimmenzuwachs. Dies war in den 1980er, den 2000er Jahren und ab 2018 der Fall. Da legten die Grünen zu, während die SP meistens im selben Ausmass Stimmen verlor. Hatten dagegen sozial- oder aussenpolitische Themen Konjunktur, verloren die Grünen und die SP legte zu (in den 1990er Jahren sowie in der ersten Hälfte der 2010er Jahre). Diese Stimmengewinne und -verluste können zu einem grossen Teil durch sogenannte Wechselwählende zwischen den beiden Parteien erklärt werden.
Zur Zeit ist dieses rivalisierende Verhältnis zwischen den beiden Parteien von einer pragmatischen Harmonie gekennzeichnet. In den Neunzigerjahren dagegen, als die SP nach den verlustreichen Achtzigerjahren wieder zulegte, attackierten der damalige SP-Präsident Peter Bodenmann und der SP-Generalsekretär André Daguet in der SP-Zeitschrift «Rote Revue» die Grünen und sprachen ihnen die Existenzberechtigung ab. Sie meinten: «Parteipolitisch gibt es links als Machtfaktor nur mehr die SP.»
Abspaltung der Grünliberalen
Mit dem Aufkommen der Grünliberalen Partei (GLP) ab Ende der 2000er Jahre erhielten die Grünen – und die SP – zusätzliche Konkurrenz. Die GLP vertritt in der Umweltpolitik häufig die gleichen Positionen wie Grüne und SP. Zudem spricht sie mit ihrer progressiven Gesellschaftspolitik ein ähnliches Wahlsegment an wie sie. Der Hauptunterschied zwischen der GLP gegenüber den Grünen und der SP betrifft die traditionelle, in vielen Fragen noch wichtige verteilungspolitische Links-rechts-Achse. Hier positionieren sich die GLP und ihre Wählenden nahe bei den bürgerlichen Parteien, während die Grünen und die SP klar links ist.
Gebrauch der direkten Demokratie
Anders als beispielsweise die GLP machten die Grünen intensiv von den Instrumenten der direkten Demokratie Gebrauch. Bereits früh versuchten sie, sich damit als aufstrebende Partei bekannt zu machen und zu positionieren. In der Folge unterstrichen sie mehrfach ihre Initiativ- und Referendumsfähigkeit.
Direkte Erfolge an der Urne konnten die Grünen allerdings nur mit überparteilichen Allianzen verzeichnen, zumeist zusammen mit der SP und mit Bewegungen wie der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Immerhin brachten die Grünen im Alleingang ein halbes Dutzend Volksinitiativen zur Abstimmung. Diese vermochten aber nur wenig über das rotgrüne Segment hinaus zu mobilisieren – mit Ausnahme der Volksinitiative für ein flexibles Rentenalter ab 62, welche im November 2000 46 Prozent Ja-Stimmen erhielt.
Auf ein gewisses Unverständnis stiess 1991 das Referendum gegen den Bau der NEAT, welches die Grünen als Kritik an der zunehmenden Mobilität verstanden, oder 1992 die Nein-Parole zum Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR (allerdings gegen den Willen der Grünen aus der Romandie).
Stark und links
Im europäischen Vergleich nehmen die Grünen in der Schweiz ökonomisch ausgeprägt linke Positionen ein und sie gewichten in ihrer Programmatik das Thema Umwelt stärker als ihre europäischen Schwesterparteien. Hinsichtlich kultureller und europapolitischer Fragen unterscheiden sich dagegen die Schweizer Grünen kaum von anderen europäischen Grünen.
Mit Blick auf die Parteistärke zählen die Grünen der Schweiz zu den stärksten Vertreterinnen der grünen Parteien. Anders als anderen europäischen Grünen ist ihnen aber die Regierungsverantwortung bisher verwehrt geblieben.
Diese Woche erscheint der wissenschaftliche Sammelband «Die Grünen in der Schweiz: Entwicklung – Wirken – Perspektiven», herausgegeben von Sarah Bütikofer und Werner Seitz. 18 Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Politikbeobachtung beleuchten darin die Grünen in der Schweiz unter verschiedenen Blickwinkeln (Seismo Verlag, Zürich)
Link: https://www.seismoverlag.ch/de/daten/die-grunen-in-der-schweiz/