Portugals Partido Socialista (PS) hat seinen 50. Geburtstag gefeiert. Seine Gründung im Jahr 1973 erfolgte ein Jahr vor dem Sturz einer faschistischen Diktatur durch die 1974er «Nelkenrevolution». Seitdem hat keine Partei so lange die Regierung geführt wie diese, und sie ist auch jetzt am Ruder. Ob bis Ende dieser Legislaturperiode im Jahr 2026, steht trotz absoluter Mehrheit aber dahin.
Aus Deutschland war Olaf Scholz angereist. Er sass beim Festessen in Lissabon am Mittwochabend rechts von António Costa, Generalsekretär des portugiesischen Partido Socialista (PS). Links von Costa, der seit 2015 auch die Regierung führt, sass Felipe González aus Spanien.
Anlass für das Mahl mit gut 1000 Gästen war der 50. Geburtstag des PS. Am 19. April 1973 hoben der damals im Pariser Exil lebende Mário Soares (1924–2017) und 26 Mitstreiter die Partei aus der Taufe, allerdings nicht irgendwo im faschistisch regierten Portugal, sondern im deutschen Bad Münstereifel, in einem Heim der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, zwar streng geheim, aber noch rechtzeitig für den demokratischen Neubeginn. Ein Jahr danach fand die Diktatur durch die als «Nelkenrevolution» bekannte Militärrevolte vom 25. April 1974 ein abruptes Ende.
Neidische Blicke von Parteifreunden in der EU
«Die Zukunft mit Geschichte» lautete ein Motto für diese Feier. Aus der jüngeren Geschichte des Landes ist PS in der Tat nicht wegzudenken. Seit dem Inkrafttreten der Verfassung und bis zum runden Jubiläum hatte keine Partei so lange den Regierungschef gestellt wie sie, nämlich 8’987 Tage, errechnete die Tageszeitung «Diário de Notícias». Auf insgesamt 7’802 Tage kam der derzeit oppositionelle bürgerliche Partido Social Democrata (PSD). Und diesem PS gelten geradeso manche neidische Blicke von Genossinnen und Genossen anderswo in der EU. Ausser in Portugal und im kleinen Malta regieren in der EU derzeit nämlich nirgendwo Sozialdemokraten oder Sozialisten allein mit absoluter Mehrheit. Ohne Sorgen können Costas Leute derzeit aber nicht einmal in die nähere Zukunft sehen.
Gäbe es in Portugal ähnliche Wettbüros wie in England, so würden viele Menschen jetzt vielleicht darauf wetten, wie lange sich die Regierung von Ministerpräsident António Costa noch hält. Bleibt Costa bis 2026 im Amt, wenn die Legislaturperiode regulär endet? Oder reisst Staatspräsident Marcelo Rebelo angesichts einer Welle von kleineren und teilweise nicht mehr ganz kleinen Affären, die nicht enden will, der Geduldsfaden, so dass er das Parlament vorzeitig auflöst und Neuwahlen ansetzt?
Der Präsident nährt Spekulationen
Seit Ende März 2022 ist diese Regierung im Amt, es ist Costas dritte, aber erst seit der Neuwahl im Januar 2022 kann sich Costa auf die absolute Mehrheit stützen. Aber diese Mehrheit garantiert noch keine klaren Verhältnisse. In Deutschland mag Olaf Scholz seine Probleme in der «Ampel» haben und seine Genossen in Portugal über den grünen Klee loben. Letztere stolpern dagegen über die Beine, die sie sich selbst stellen, wie zuletzt bei einer noch laufenden parlamentarischen Untersuchung von Ungereimtheiten bei der staatseigenen Fluggesellschaft TAP.
Eigentlich will der Präsident, der aus dem bürgerlichen Lager stammt, keine vorzeitigen Neuwahlen, das sagt er jedenfalls. Wo immer er auftritt, äussert er sich vor Medienleuten aber doch breit zu aktuellen Themen, in jüngerer Zeit auch über Ausrutscher der Regierung, und nährt Spekulationen darüber, was in seinem Kopf vorgeht.
Keine vorzeitigen Neuwahlen – oder vielleicht doch?
Die Auflösung des Parlaments «wäre eine schlechte Nachricht», sagte er noch an diesem Freitag, «aber manchmal muss es schlechte Nachrichten geben», dann aber vorzugsweise so spät wie möglich. Vorzeitige Wahlen bedeuteten mindestens vier Monate des Stillstandes, und das sei nicht wünschenswert, sagte er vor zwei Wochen mit Hinweis auf den Krieg in der Ukraine, die Inflation und die Notwendigkeit, die Gelder aus dem Corona-Hilfsfonds der EU zu nutzen. Er fand aber auch, dass die Opposition eine Alternative bieten müsse.
Also vielleicht doch vorzeitige Wahlen, wenn sich diese Alternative abzeichnet? Etwa nach der Wahl des EU-Parlamentes im Jahr 2024, falls die Sozialisten an den Urnen eine schwere Schlappe erleiden? In jüngeren Umfragen bröckelte der Rückhalt für die Sozialisten, während sich der PSD leicht verbesserte. Laut den Ende März publizierten Ergebnissen einer Umfrage lagen PS und PSD gleichauf bei 30 Prozent. Hauptproblem für PSD waren die 13 Prozent für die rechtsextrem-xenophobe Partei Chega, mit der der PSD-Vorsitzende Luís Montenegro – wie er jüngst endlich, nach langer Geheimnistuerei, implizit klarstellte – keine gemeinsame Sache machen will.
Trügerische Gelassenheit
Ministerpräsident Costa gab sich in einem Interview gelassen. Er fand das Ergebnis der Umfragen in Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten normal und blendete einen Verlust an Glaubwürdigkeit durch immerhin schon zwölf Austritte aus der noch jungen Regierung und diverse Affären aus. Es lässt sich derweil nicht leugnen, dass auch die Kohabitation des Präsidenten und der Regierung schon bessere Tage erlebt hat. Anfang März fand der Präsident sehr klare Worte, indem er diagnostizierte, dass sich diese Regierung auf eine «ermüdete Mehrheit» stütze.
Wenigstens wächst die Wirtschaft, das Volk klagt aber über drastisch gestiegene Lebenshaltungskosten. Nicht zuletzt wegen der Inflation war das Steueraufkommen letztes Jahr viel höher, als anfangs erwartet, und da zeigt die politisch angeschlagene Regierung ihre Schokoladenseite. Sie greift Schuldnern von Hypothekardarlehen, denen die stark gestiegenen Zinsen zu schaffen machen, mit Zuschüssen unter die Arme und zahlt ärmeren Haushalten ausserordentliche Hilfen. Kürzlich trat eine bis Ende Oktober geltende Befreiung einiger Lebensmittel von der Mehrwertsteuer in Kraft, und ab Juli steigen alle Altersrenten um rund 3,6 Prozent.
Deutsche Ambivalenz in der Anfangszeit
Zum Jubiläum gibt sich der PS unverdrossen als die Partei, die am besten für Demokratie und Stabilität bürgt und seit der Rückkehr zur Demokratie gebürgt hat. In der Zeit unmittelbar nach der Gründung, bis zum Sturz der Diktatur, bewahrte die deutsche SPD unter Willy Brandt, Kanzler ab 1969, kurioserweise aber eine behutsame Distanz zu Mário Soares und seinen Leuten. In der Bundesrepublik hatte das Regime von António Oliveira de Salazar, Ministerpräsidenten der Jahre 1932–1968, unter CDU-geführten Regierungen noch als «sanfte Diktatur» gegolten, und Portugal war ein treuer Partner in der Nato.
In Bonn waren damals grössere Sorgen um Portugals Kolonialkriege in Afrika angesagt als um die Repression im Land mit der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei (PCP) als tragender Kraft der Opposition. «Bonn» hoffe, dass der 1968 angetretene liberal gesonnene Nachfolger von Salazar, Professor Marcello Caetano, einen Wandel von innen stemmen werde – was sich aber als Illusion erweisen sollte.
Mário Soares musste recht lange auf ein erstes Treffen mit Willy Brandt warten. Als Soares im April 1974 in der Bundesrepublik weilte, wurde es für den 25. April endlich anberaumt. Just an jenem Tag erfuhr Soares aber am frühen Morgen vom Militäraufstand in Lissabon und reiste hastig nach Paris zurück und von dort einige Tage später mit dem Südexpress nach Lissabon. Mit Erleichterung über den Sturz der Diktatur mischte sich in SPD-Kreisen bald die Sorge um die Demokratie in Portugal, nun nicht mehr wegen faschistischer Kräfte, sondern wegen der Kommunisten, die als organisierte Kraft aus dem Untergrund aufstiegen, somit gegenüber den Sozialisten im Vorteil waren und bald vorgeworfen bekamen, Portugal in ein europäisches Kuba verwandeln zu wollen.
Portugal als normale Demokratie, unter sozialistischer Regie
Als Portugal 1975 stark nach links driftete, schlossen einige «Falken» in den USA eine Intervention nicht aus. Immerhin war der Putsch in Chile vom 11. September 1973 noch in frischer Erinnerung. Es war Soares, der den damaligen Botschafter der USA in Lissabon, Frank Carlucci, davon überzeugte, dass es besser sei, moderate Kräfte zu stärken. Er behielt Recht und nahm in Kauf, von linker Seite hören zu müssen, dass er ein Verräter sei.
Es war auch Soares, der 1977 als Regierungschef die Aufnahme in die damalige EWG beantragte und 1985 das Abkommen über den Beitritt (der zeitgleich mit Spanien erfolgte) unterzeichnete. Ohne Hemmungen legte Soares notfalls aber seine soziale Sorge beiseite, etwa als er 1978 und 1983 angesichts von finanziellen Krisen den Internationalen Währungsfonds auf den Plan rief und dem Volk hohe Opfer aufbürdete. Gegner grinsten, er habe den Sozialismus in die Schublade gesteckt. Portugal wurde letztlich zur ganz normalen westlichen Demokratie.
Unter einem anderen sozialistischen Regierungschef, nämlich António Guterres, jetzt Uno-Generalsekretär, qualifizierte sich Portugal für die Startgruppe des 1999 eingeführten Euro. 2011 war es aber auch ein Sozialist, nämlich der inzwischen aus dem PS ausgetretene José Sócrates, der zur Abwendung des Staatsbankrotts die internationale Troika zu Hilfe rief und sich mit ihr, als Bedingung für einen Notkredit, über ein Programm der schmerzhaften Anpassungen einigte. Die Umsetzung des Programms oblag allerdings einer bürgerlichen Regierung, die im Juni 2011 aus einer vorzeitigen Neuwahl hervorging.
Alte Probleme und neue Herausforderungen
Mit dem Versprechen, «das Blatt der Austerität zu wenden», kam der PS mit Costa 2015 wieder ans Ruder. Anfangs ging es tatsächlich aufwärts – und doch gelang es, das Staatsdefizit im Einklang mit den Vorgaben aus Brüssel zu drücken. Nicht nur die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben neue Herausforderungen mit sich gebracht. Gemessen an seinem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandprodukt pro Einwohner ist Portugal, gleichauf mit zwei «neuen» EU-Ländern, Ungarn und Rumänien, das sechstärmste Land in der EU – trotz der Milliardenhilfen, die seit 1986 aus Brüssel geflossen sind. Vor allem in grossen Städten ist Wohnraum für Leute mit normalen Einkommen zunehmend unerschwinglich geworden – teils infolge des touristischen Ansturms, der nicht nur Geld ins Land bringt, sondern auch neue Probleme schafft.
Mit dem Vorschlag, leerstehende Wohnungen zwangsweise zu vermieten, ist die sozialistische Regierung kürzlich bei Eigentümern und bei rechten Parteien angeeckt. Letztere haben selbst aber kein überzeugendes Rezept gegen die Wohnungsnot – für die Regierung ein schwacher Trost, falls dem Präsidenten die Geduld ausgeht und die Rechte wieder ans Ruder kommt.