Beim Aussenministertreffen der Anti-Gaddafi-Koalition am Dienstag in London standen Waffenlieferungen an Aufständische in Benghasi noch nicht auf der Tagesordnung. Nach der Sitzung erklärte US-Aussenministerin Hillary Clinton jedoch, die Libyen-Resolution 1973 erlaube solche Massnahmen. Die USA hätten noch keine Entscheidung getroffen, würden aber nichts ausschliessen, sagte Clinton.
Ähnlich drückte sich am Mittwoch der britische Premierminister David Cameron aus. Er findet es „rechtlich klar“, dass die UNO-Resolution 1973 „unter gewissen Umständen“ die Ausrüstung der libyschen Rebellen mit Kriegsgerät erlaube. „Wir schliessen das nicht aus, haben aber noch keine Entscheidung getroffen“, widerhallte Cameron die Worte der US-Aussenministerin wie ein Echo.
Was manchen Regierungen so klar erscheint, ist unter Diplomaten und Rechtsexperten sehr umstritten. Als sich die blutigen Kämpfe zwischen dem Gaddafi-Regime und einem Teil der Bevölkerung anbahnten, verabschiedete der Weltsicherheitsrat am 26. Februar die Resolution 1970. Darin wird unter anderem verboten, irgendeiner libyschen Konfliktpartei Waffen zu liefern.
Am 17. März, als Gaddafis Truppen vor Benghasi standen, verschärfte der Sicherheitsrat die Zwangsmassnahmen. Die Resolution 1973 fordert die Staatengemeinschaft auf, die libysche Zivilbevölkerung mit allen nötigen Mitteln zu schützen, einschliesslich einer Flugverbotszone für die libysche Luftwaffe. Dieses Flugverbot wurde nach einer Woche intensiver Luftangriffe umgesetzt, aber die Bodentruppen Gaddafis sind weiterhin sehr aktiv.
Ungeachtet dessen, was wir früher sagten
Die Resolution 1970 bleibt rechtskräftig, doch spitzfindige Diplomaten in Washington und London haben in der Folgeresolution ein Wort gefunden, mit dem sich das Waffenembargo relativieren lässt: Es heisst „notwithstanding“ – auf Deutsch ungeachtet oder nichtsdestotrotz. Zwar findet sich in der Resolution keine Erlaubnis, den Rebellen Waffenhilfe zu leisten. Man kann aber den Satz mit dem Wort „notwithstanding“ so interpretieren, dass ungeachtet früherer Entschliessungen jetzt alle Mittel erlaubt sind.
Russland, China und Indien weisen diese Auslegung entschieden zurück. Der russische Botschafter Witali Tschurkin antwortete auf die Frage von Journalisten, ob seiner Meinung nach die jüngste UNO-Resolution Waffenlieferungen an die libyschen Rebellen erlaube, mit einem bestimmten „Nein“.
Deutschlands Regierung schweigt, weil die Frage "hypothetisch" sei. Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), gibt aber die vorherrschende Stimmung durch. Sollten Waffenlieferungen an die selbsternannte "Übergangsregierung" in Benghasi beschlossen werden, dürfe sich die Bundesrepublik nicht daran beteiligen, forderte er.
Waffen in den falschen Händen?
UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon bleibt jede Stellungnahme schuldig. Sein Sprecher Martin Nesirky erklärte: „Für diese Sache ist der Sicherheitsrat zuständig.“ Vertreter des gesamten politischen Spektrums befürchten, dass Waffen für eine weitgehend unbekannte und bunt zusammengewürfelte Rebellenbewegung in falsche Hände gelangen könnten. Und wenn an der Behauptung Gaddafis etwas dran wäre, wonach sich Al-Kaida in die Widerstandskämpfer eingeschlichen habe? Und wie soll das Kriegsgerät nach Ende des Konflikts wieder eingesammelt werden?
Man denkt zwangsläufig an die Erfahrungen mit den "Stinger"-Luftabwehrraketen, die die USA in den achtziger Jahren gratis an die afghanischen Mudschaheddin lieferten, um sowjetische Flugzeuge und Helikopter abzuschiessen. Nach dem Abzug der Sowjets und einer Umkehr der Allianzen versuchten die Amerikaner die im Besitz der Aufständischen verbliebenen "Stinger" zum Stückpreis von einer Million Dollar aufzukaufen. Wie viele dieser wirksamen Kleinraketen jetzt im Besitz der afghanischen Taliban sind, weiss niemand.