Die CDU diskutiert in diesen Tagen über ein neues Grundsatzprogramm. Das Ganze wirkt wie eine Pflichtübung, nicht wie eine Kür. Ein paar griffige Formulierungen sind gefragt, die sich in Wahlkämpfen gut verwenden lassen.
Um diese zu finden, scheut die CDU keine Mühe. Vier Regionalkonferenzen werden in diesem Frühjahr stattfinden. Und von Mitte März bis Mitte April dürfen die Parteimitglieder Fragebögen ausfüllen. Am 17. April hält die CDU im Berliner «Tempodrom» einen «Zukunftskongress» ab, und am 17. Juni trifft sie sich zu einem «Grundsatzprogramm-Konvent». Kurz vor der Europawahl ist für das Frühjahr 2024 ein Parteitag geplant, auf dem das Programm verabschiedet werden soll.
Viel Betriebsamkeit also. Sie erinnert an ein aufwendiges Marktforschungsprogramm nach dem Motto: Was sollte uns wichtig sein können? Bitte ankreuzen. Also: «Bitte kreuzen Sie an, was Ihnen sehr wichtig, weniger wichtig oder gar nicht wichtig ist.» Nötig ist dieses Unternehmen in den Augen der Parteistrategen, weil das letzte Grundsatzprogramm von 2007 stammt und die pragmatische Handschrift von Angela Merkel trägt. Da wünscht man sich mehr Pep.
Aber lässt sich auf diese Weise ein durchschlagendes Grundsatzprogramm erstellen? Der CDU-Politiker Carsten Linnemann, der die Suche nach den Grundsätzen leitet, möchte als Ergebnis, «dass man jeden Bürger um drei Uhr morgens wecken könnte und er wüsste sofort drei Punkte, für die die CDU steht.» – In den 1950er Jahren wäre das kein Problem gewesen: Westbindung, Soziale Marktwirtschaft, Aussöhnung mit Frankreich. Warum wird das heute nicht mehr klappen?
Die gängige Antwort dürfte lauten, dass die Zeiten eben komplizierter geworden seien und sich daher nicht für griffige Antworten eigneten. Aber das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. Die wirkliche Ursache liegt tiefer. Denn es haben sich politische Zwecke und Mittel verkehrt. Eigentlich sollte es so sein, dass diejenigen, die in die Politik gehen, von ganz bestimmten Zielen und Überzeugungen angetrieben werden. Das galt nicht nur für einen Politiker wie Konrad Adenauer. Für diese «Programme» suchten und suchen die motivationsgeleiteten Politiker Mitstreiter, mit denen sie Parteien bilden oder die sie in Parteien vorfinden. Erst kommt die Überzeugung, dann erst der politische Apparat.
Das hat sich geändert. Die politischen Apparate, genannt Parteien, bestehen seit mehr oder weniger langer Zeit mit ihren ganzen Beharrungskräften. Um ihren Bestand zu sichern, müssen in diese Apparate aber von Zeit zu Zeit neue Ziele, Überzeugungen oder eben «Programme» wie neue Treibstoffe eingefüllt werden. Damit möchten die Parteien beim Wahlvolk vorfahren und Eindruck machen. Um dabei ja keine Fehler zu begehen, stützen sie sich auf Umfragen. Aber Leidenschaft erwächst nicht aus Umfragen.
Dies mag eine unausweichliche Entwicklung sein. Auch andere Parteien haben damit ihre Probleme, wie die FDP schon seit langer Zeit eindrucksvoll vorführt. Aber bei der CDU liesse sich auch einmal fragen, ob sie als eine Partei, die sich als konservativ versteht, nicht Blickwinkel einnehmen könnte, die in Anbetracht des gegenwärtigen propagandistischen Lärms um vermeintliche, nötige oder tatsächlich stattfinde gesellschaftliche Umwälzungen zur wohltuenden Klarheit beitragen. Sie könnte sich als ein politisches Forum anbieten, das mit konservativer Skepsis lautstarken Veränderungsparolen begegnet, ohne dabei in die zerstörerische Simplizität nationalistischer oder rechtskonservativer Gruppierungen abzugleiten.
Wenn die CDU sich als eine Partei verstehen könnte, die die richtigen Fragen stellt, müsste sie sich nicht bei allen Themen mit kurzatmigen Antworten zu profilieren versuchen. Das ist allerdings auch deswegen schwierig, weil in Deutschland die Tradition konservativen Denkens aus vielfältigen Gründen Brüche aufweist. Aber das sollte nicht daran hindern, auf der Basis des gesunden Menschenverstands Fragen zu stellen, in denen sich gerade diejenigen wiederfinden, denen die heutige polarisierte politische Welt keine tragfähigen Antworten bietet. Das wäre doch eine Aufgabe für authentische politische Persönlichkeiten.