Die Ja-Mehrheit der Schweizer Stimmbürger zur neuen Energiestrategie ist unerwartet deutlich ausgefallen. Doch zugegeben: Es war für den nicht zum Vornherein festgelegten Bürger nicht leicht, sich für das Ja- oder das Nein-Lager zu entscheiden. Von beiden Seiten wurden bedenkenswerte Argumente ins Feld geführt. Und alle ernsthaften Stimmen waren sich zumindest darin einig, dass da eine höchst komplexe, mit vielen Ungewissheiten beladene Vorlage zur Abstimmung stand. Nichts hat die Widersprüchlichkeit der Interessen und Standpunkte greller beleuchtet als die Unfähigkeit unzähliger Verbände, sich auf eine gemeinsame Parole zu einigen. Am deutlichsten gespalten war die traditionell wirtschaftsnahe und staatstragende FDP.
„Planwirtschaftliches Monster“
Am wenigsten hat mich aus dem Nein-Lager die alte markt-orthodoxe Gebetsmühle von der sogenannten Ordnungspolitik überzeugt. So schrieb mein sonst in mancher Hinsicht geschätzter früherer NZZ-Kollege Gerhard Schwarz, die Energievorlage sei ein „planwirtschaftliches Monster, das den bisher grössten ordnungspolitischen Sündenfall, die Landwirtschaft, geradezu harmlos aussehen lässt“. Im gleichen Artikel ist dann auch noch von dem „deutschen Vorbild“ in Sachen Energiepolitik die Rede – gemeint ist das hier natürlich als negatives Vorbild. Weiter wird eingeräumt, dass die Produktion und der Vertrieb von Energie schon heute „relativ marktfern“ erfolge.
Aber wenn das alles ordnungspolitische Sündenfälle sind, so drängt sich doch auch die naheliegende Frage auf, weshalb denn die Schweiz und Deutschland trotz dieser Sündenfälle wirtschaftlich zu den erfolgreichsten und sozial zu den stablisten Ländern in ganz Europa zählen? Könnte es sein, dass solche Sündenfälle zwar nicht in einen bestimmten ordnungspolitischen Tugend-Raster passen, in der praktischen Realität aber vergleichsweise wenig – oder vielleicht gar keinen – Schaden stiften? Ein überzeugender Beweis, dass ohne ordnungspolitische Sündenfälle gesamtgesellschaftlich alles sehr viel besser liefe, dürfte jedenfalls nicht so leicht zu erbringen sein.
Auf den richtigen Mix kommt's an
Damit soll das marktwirtschaftliche Prinzip keineswegs herabgesetzt oder gar verteufelt werden, wie viele linksorthodoxe Gläubige das tun, trotz abschreckender Beispiele von der Ex-Sowjetunion bis Venezuela. Als liberaler Skeptiker lehne ich es lediglich ab, marktwirtschaftliche Lösungen zum Vornherein zur einzigen und heiligen Richtschnur für sämtliche Problemfälle zu erklären. Wer „ordnungspolitische Sündenfälle“ beklagt und dabei mit keinem Wort erklärt, um welche Ordnungspolitik es sich handelt, geht offenbar davon aus, es gebe grundsätzlich nur eine Ordnungspolitik – nämlich die marktliberale. So wird der Begriff zur Ideologie, bei der es nur eine Wahrheit gibt.
Ein unverstellter Blick auf die aktuellen wirtschafts- und sozialpolitischen Erfolgsbeispiele Schweiz und Deutschland zeigt aber: Es kommt auf den richtigen Mix von staatlich und marktwirtschaftlich gelenkten Lösungen an. Das gilt wohl auch für die Energiepolitik. Und um diesen richtigen Mix muss immer wieder neu gerungen werden.