Madame Butterfly heisst vermutlich so, weil sie zart und zerbrechlich, feminin und exotisch ist. Nicht so in Paris. Dort rollte letzte Woche ein hochschwangerer Bomber auf die Bühne der Opera Bastille und sang mit Walkyrenstimme. Und doch war die junge italienische Sopranistin Micaela Carosi ( Cio Cio San) der einzige Grund, warum man sitzen blieb.
Ihre prächtige, nuancenreiche Stimme war zwar für diese Rolle etwas substanziell, in ihren Verdi-Rollen, vor allem ihrer Lieblingsrolle ‚Aida’, zweifellos angebrachter, doch ist ihr Gesang pure Hörfreude.
Im Gegensatz zu ihrem Liebhaber oder Widersacher Pinkerton (James Valenti), der mit so dünner und ausdruckloser Stimme sang, dass ein englischsprachiger Herr im Parkett, Typ schottischer Gutsbesitzer mit hohem Blutdruck, sich lauthals beschwerte.
Jack Lang plaudert mit der Gattin
Überhaupt wurde während der Aufführung viel geschwatzt, gehustet, geniesst und sich geräuspert. Ein sicheres Indiz dafür, dass die Produktion nicht zu fesseln vermag: Ex-Kulturminister Jack Lang konferierte angelegentlich mit seiner Gattin, Yves St. Laurents Witwer und oberster Erbauer des Gebäudekomplexes Opéra Bastille, Pierre Bergé, schaute immer wieder nervös um sich.
Es muss an der Inszenierung von Robert Wilson liegen, raunte man in der Pause, so minimalistisch und fast monochrom im Dekors, statisch und beziehungslos im Zusammenspiel der Charaktere. Und dann die Kostüme. Nicht nur die Frauen wirkten schwanger, auch die Samurai - eine genetische Absonderheit.
Doch nur an Wilsons Inszenierung kann es nicht gelegen haben, hatte er doch - zusammen mit Videokünstler Bill Viola - Wagneropern neue Perspektiven eröffnet.
Der stolpernde, halbnackte kleine Junge
Und die Musik? Das Orchester unter Maurizio Benini war merkwürdig unpräsent. ‚Die haben gar nicht geprobt’, flüsterte eine Kritikerin unzufrieden. In der Tat klang es, vor allem im ersten Akt, als ob nur markiert würde. Erst als die berühmte Arien intoniert wurden („Un bel di, vedremo “), von Puccini mit Elementen japanischer Musik versehen, kamen Sänger, Chor und Orchester einigermassen in Schwung. Gleichzeitig wurde es auch leiser im Zuschauerraum.
Doch dann kam eine neue Irritation. In der gesamten zweiten Hälfte, also eine Stunde und 30 Minuten lang, stolperte ein kleiner Junge, nackt bis auf den Lendenschurz, durch die Dekoration. Es war das Kind der Liebe von Cio-Cio San und Pinkerton, das war schon klar, doch schien sich seine Mutter nicht für ihren Sohn zu interessieren, zu sehr war sie mit Liebessehnsucht und dann Liebesschmerz beschäftigt.
Und der Vater bekam den Jungen überhaupt nicht zu Gesicht. So war dieser ganz auf sich gestellt, hatte offenbar Schrittfolgen vorgeschrieben bekommen, denn er stolperte mehrmals über die eigenen Füsse, fühlte sich unwohl und langweilte sich. Die Sorge um das Kind beschäftigte nun das Publikum, und etwelcher Genuss an der Oper trat wiederum in den Hintergrund.
Konfronation zweier Welten
Dabei hätte gerade Giacomo Puccinis „Butterfly“ Zeitgenössisches zu bieten. Die Oper basiert auf einer Novelle von John Luther Long, die David Belasco 1900 zum Stück umschrieb. Puccini sah das Theaterstück in London auf der Bühne und war beeindruckt von der Konfrontation zweier Welten, der altjapanischen und der amerikanischen: erstere in ihren Traditionen und Bräuchen gefangen, die amerikanische ungezwungen und moderner sowie sicher im Bewusstsein eigener Stärke und Überlegenheit
So war in Puccinis erster Fassung Pinkerton arrogant, egoistisch und vulgär. Er verachtete die japanische Kultur und somit auch Cio Cio San als deren Exponentin, die er ohne Gewissensbisse ausnutzt und betrügt.
In der zweiten Fassung ist Pinkerton weniger zynisch gezeichnet und bekommt am Ende sogar Gewissensbisse. Doch auch dann ist er überzeugt von seiner rassischen und kulturellen Überlegenheit, die es ihm verunmöglicht, sich mit der Vertreterin einer „schwächeren“ Kultur offiziell zu verbinden.
Die Kulturdiskussion: eine Diskussion, die in unserer durch Migration geprägten und global ausgerichteten Zeit sehr zeitgenössisch scheint. Nicht erst seit Thilo Sarrazin.