Der Präsident sprach von „Grenzen“. Genau genommen handelt es sich um die Waffenstillstandslinie aus dem Jahr 1949. Diese Linie ist auch als die „Grüne Linie“ bekannt. Sie hat eine gewisse Realität behalten, auch nachdem die israelischen Truppen sie im Krieg von 1967 überschritten und die Westjordangebiete militärisch besetzten.
Sowohl für Normalisraeli wie auch für Normalpalästinenser bedarf es einer Sonderbewilligung, um sie zu überschreiten, und je „normaler“ die betroffenen Leute sind, desto schwieriger ist es für, eine solche zu erlangen. Die Siedler freilich, ihre Zahl beläuft sich zurzeit auf gegen 300‘000, gelten in dieser Hinsicht nicht als „normale“ Leute. Sie haben Sonderstrassen und Sonderautobahnen. Sie können die Grüne Linie sang- und klanglos überschreiten.
Die unrühmlich berühmte Trennmauer folgt auch grosso modo der Grünen Linie, jedoch stets so, dass sie Teilgebiete der Westbank zu Gunsten von Israel abschneidet und an gewissen strategischen Stellen sehr tief in die Westjordangebiete hineingreift. Die Trennmauer ist aus diesem Grunde vom Internationalen Gerichtshof im Haag als illegal bezeichnet worden.
Ausgangspunkt für die Bildung von zwei Staaten?
Obama hat vorgeschlagen, dass die künftigen Friedensverhandlungen von dieser Grünen Linie ausgehen sollten. Über kleinere Korrekturen dieser Linie könne verhandelt werde, wobei beide Seiten Kompensationen an anderen Stellen erhalten würden. Dies gilt theoretisch als Basis für alle Friedensverhandlungen. Die Grundlage dazu schuf 1967 der UNO-Sicherheitsrat. Er verabschiedete damals die Resolution 242 mit dem Namen „Land für Frieden“. Auf dieser Resolution beruht der gesamte „Friedensprozess“ mit all seinen Nachfolgeplänen. Dies ist alles altbekannt.
Neu ist jedoch, dass auch ein amerikanischer Präsident sich klar für dieses Grundprinzip ausspricht.
Altbekannt ist freilich auch, dass Israel, spätestens seit dem Jahr 2000, als Ariel Sharon an die Macht kam, dieses Grundprinzip ablehnt und es systematisch zu untergraben sucht. Am deutlichsten sichtbar wird dies durch die „illegale“ Besiedlung der Westjordangebiete unter dem Schutz der israelischen Streit- und Sicherheitskräfte.
Altbekannt ist auch, dass die Grüne Linie nach israelischer Vorstellung vor allem auch in Jerusalem nicht mehr gelten soll. Die Linie hatte einst die Stadt durchschnitten und geteilt. In der Zwischenzeit hatte Israel die östlichen Teile der Stadt besetzt und „Grossjerusalem“ geschaffen. Dies soll nach israelischer Ansicht immer so bleiben.
Eine Präzisierung des Begriffs „Territorien“
Bisher hatten es die Amerikaner in ihren offiziellen und diplomatischen Verlautbarungen stets vermieden, auf die Grüne Linie als Grundlage des Verhandlungsprozesses hinzuweisen. Sie stützten damit die israelische Position, wonach sowohl über die Territorien und Grenzen der „palästinensischen Entität“ (das Wort Staat wurde von den Israeli vermieden) wie auch über die Natur dieser Entität (voll souverän oder nur teilweise souverän mit israelischen Auflagen?) zu verhandeln wäre. Die Amerikaner sprachen bisher, wie die Israeli, von „Territorien“ für die Palästinenser, ohne festzulegen, wo diese beginnen und wo sie aufhören würden.
Die Verhandlungen darüber freilich dauerten seit 1993. Sie brachten keinerlei echten Fortschritt. Nach Vorstellung der israelischen Rechten und ihrer Regierung sollen sie weiter dahindümpeln, und zwar „solange bis die Palästinenser zu Finnen geworden sind“, wie es einmal Sharon umschrieb. In der Zwischenzeit werden die Siedlungen mit allen Kräften vorangetrieben.
Es geht primär um Territorium
Die territoriale Frage ist das Grundproblem zwischen Israeli und Palästinensern. Aber es gibt auch andere schwer zu lösende Probleme, wie das Flüchtlings- und Vertriebenenproblem sowie Sicherheitsfragen. Doch alles hängt mit der territorialen Frage zusammen. Der Streit entstand, weil zwei Völker das gleiche Territorium beanspruchten. Und dieser Streit dauert heute an, weil das stärkere der beiden Völker dem schwächeren kein eigenes Territorium zuzuerkennen will.
In seiner ersten, schroffen Antwort auf Obamas Stellungnahme hat Netanyahu diesen Umstand so formuliert: “The viability of a Palestinian state can not come at the expense of the viability of the one and only Jewish state“. (Die ungefähre Übersetzung lautet: “Die Überlebensaussichten eines palästinensischen Staates können nicht auf Kosten der Überlebensaussichten des einen und einzigen Jüdischen Staates zustande kommen.“).
Verbaler Kompromiss
Wenn sich die Vereinigten Staaten tatsächlich hinter die Position Obamas stellten, fände Israel sich in der zentralen territorialen Frage auf einen Schlag weltweit isoliert. Doch dies dürfte nicht wirklich geschehen. Taten werden Obamas Worten jedenfalls nicht folgen. Denn der Präsident muss an seine Wiederwahl denken. Falls er diese gewinnen sollte, könnte er dann möglicherweise darauf dringen, dass in der Tat seine Ansicht über eine brauchbare Zweistaatenlösung als Grundlage für eine Friedensverhandlung aufgenommen werde. Doch dies liegt noch in weiter Ferne. Zunächst ist ungewiss, ob er noch einmal Präsident werden wird. Israel wird seinen Einfluss in den Staaten gegen ihn einsetzen.
Die palästinensische Führung unter Mahmud Abbas prüft jetzt, ob sie in den Worten Obamas eine wirklich neue amerikanische Haltung erkennen will. Wenn ja, muss sie bald entscheiden, ob dies alles genügt, um die Palästinenser von ihrem Plan abzubringen, im kommenden September von der UNO-Generalversammlung die Anerkennung eines palästinensischen Staates zu fordern.