Mit der Wahl in Appenzell Ausserrhoden ist der Reigen der kantonalen Parlamentswahlen seit den Nationalratswahlen 2019 abgeschlossen. Zwei Tendenzen können festgestellt werden.
In den ersten drei Jahren legten die Grünen und die Grünliberalen weiter zu, während die Bundesratsparteien schwächer wurden. Im aktuellen Jahr gewannen SVP und Grünliberale Mandate, während die Grünen und die FDP solche verloren. Die SP und «Die Mitte» vermochten sich einigermassen zu stabilisieren.
In Mandaten sieht die Bilanz der 25 kantonalen Parlamentswahlen wie folgt aus (ohne Appenzell Innerrhoden, wo keine parteipolitische Zuteilung möglich ist): Die grössten Mandatsverluste erlitten die FDP (-47), «Die Mitte» (-43) und die SP (-40). Mehr Mandate als vor vier Jahren haben die SVP (+10), die Grünen (+42) sowie die Grünliberalen (+59).
Trotz ihrer beträchtlichen Verluste behalten unter dem Strich die Bundesratsparteien in den Kantonsparlamenten ihre starken Positionen: Die SVP ist die stärkste Partei und verfügt über 554 Mandate, die FDP (inkl. Liberale-BS) kommt auf 521. Die SP hat noch 437 Mandate inne und «Die Mitte» 424. Die grossen Wahlgewinnerinnen der letzten Jahre, die Grünen und die Grünliberalen, kommen auf 258 bzw. 157 Mandate.
Zwei Tendenzen
Länger als bei früheren kantonalen Wahlen hallte diesmal das Muster der Nationalratswahlen nach. Drei Jahre lang legten Grüne und Grünliberale in fast allen Kantonen stark zu, während vor allem die SP auf der Verliererseits stand, aber auch die FDP, die Mitte und die SVP. Link
Bei den sechs kantonalen Parlamentswahlen im aktuellen Jahr (ZH, BL, GE, LU, TI, AR) verschoben sich die Akzente der Veränderungen. Am meisten Mandate gewann bei den kantonalen Wahlen die SVP (+13), die GLP legte acht Mandate zu. SP und Mitte vermochten ihre Verluste aufzuhalten; sie stagnierten per saldo. Dagegen hielten bei der FDP die Verluste an (-11). Erstmals seit 2016 gehörten in einer Jahresbilanz auch die Grünen zu den Verliererinnen (-9).
Präziser als die Zahl der Mandate zeigt der kantonale Stimmenanteil bzw. die Parteistärke die Entwicklung der Parteien auf. Beim Blick auf die einzelnen Parteien sollen daher die Parteistärken beleuchtet werden.
Verluste von FDP, Mitte und SP
In den vergangenen vier Jahren wurde die FDP in 18 Kantonen – ohne GR und AI – schwächer. Bei den zwölf kantonalen Wahlen der Jahre 2020 und 2021 stand sie gar elfmal auf der Verliererseite. Bei den Wahlen von 2022 und 2023 wechselten sich Verluste und Gewinne ab, wobei die meisten Verluste und Gewinne kleiner als zwei Prozentpunkte waren. Am grössten fielen die Stimmenverluste in den letzten vier Jahren in Neuenburg (-3,5 Prozentpunkte), Uri (-5,7) und Genf (-6,2) aus. In Genf hatte der FDP ihr früheres Aushängeschild, Pierre Maudet, mit einer eigenen Wahlliste Konkurrenz gemacht. Den grössten Zuwachs erfuhr die FDP in Freiburg (2021); er betrug 1,6 Punkte.
Ebenfalls negativ ist die Bilanz für «Die Mitte», die aus einem Zusammenschluss von CVP und BDP hervorgegangene Partei. In zwanzig Kantonen büsste sie an Parteistärke ein, in fünf Kantonen sogar mehr als drei Prozentpunkte (SZ, GE, SO, VS, GL). Nur gerade in Zürich, St. Gallen und Neuenburg legte sie leicht zu (zwischen 0,2 und 1,3 Prozentpunkten). Im aktuellen Jahr standen dem kleinen Zuwachs von Zürich (+0,2 Punkte) vier Verluste gegenüber, wobei jener in Genf mit -3,4 Prozentpunkte am stärksten ausfiel.
Ähnlich erging es der SP: Sie ging 18-mal mehr oder weniger geschwächt aus den Wahlen hervor, am stärksten in Schaffhausen (-3,1 Punkte), der Waadt (-3,3), in Bern (-3,4), Neuenburg (-3,9) und in Freiburg (-5,4). In den Jahren 2021 und 2022 verlor sie bei sämtlichen Wahlen an Parteistärke. Insgesamt konnte sich die SP in den vier Jahren viermal leicht steigern: dreimal bei den Wahlen von 2020 und einmal 2023. Der grösste Zugewinn betrug dabei 1,3 Prozentpunkte (SZ). Im aktuellen Jahr legte die SP in Zürich 0,1 Punkte zu, in Luzern stagnierte sie und in drei Kantonen wurde sie um 0,6 bis zwei Punkte schwächer (GE, BL, TI).
SVP legt zu
Gehörte die SVP 2020 noch bei sechs der acht Wahlen zu den Verliererinnen, stand sie 2023 bei jeder Wahl auf der Gewinnerseite. In den vier Jahren nach 2019 wurde die SVP insgesamt elfmal stärker und zwölfmal schwächer. Die grössten Verluste erlitt sie in Basel-Stadt (-3,3 Prozentpunkte) und Neuenburg (-3,4). Bis 2023 waren die Gewinne der SVP – abgesehen von Glarus (+5,0) – kleiner als 1,3 Punkte. Im aktuellen Jahr dagegen legte die SVP bei sämtlichen Wahlen zu, vor allem in Genf (+3,4), Luzern (+3,5) und im Tessin (+4,2).
Grüne erstmals geschwächt
Von 2017 bis Ende 2022 befanden sich die Grünen fast durchwegs auf der Siegerseite – sie steigerten sich in diesen sechs Jahren um rund achtzig Mandate. In den ersten drei Jahren nach den Nationalratswahlen 2019 stieg die Parteistärke der Grünen in 16 der 17 Wahlen an. Nur in Nidwalden wurde sie schwächer (-2,2 Punkte). Am meisten legten die Grünen in Basel-Stadt (+3,2), in Neuenburg (+3,4) und im Jura (+3,8) zu sowie in Schaffhausen (+5,0) und in Freiburg (+6,8). Im laufenden Jahr jedoch verloren die Grünen bei sämtlichen fünf Wahlen an Parteistärke: in Genf (-0,2) und im Tessin (-0,8 Punkte), in Zürich und Luzern (je -1,5) sowie in Basel-Landschaft (-2,6).
Die Gewinne der Grünen in den Jahren 2020 und 2021 vermochten die Verluste der SP mehr als wettzumachen (Ausnahme: Neuenburg), sodass Rotgrün insgesamt stärker wurde. In den folgenden beiden Jahren aber, als die Gewinne der Grünen etwas kleiner wurden und bald Verlusten Platz machten, vermochte die SP dies nicht aufzufangen. Rotgrün wurde in der Folge um 0,9 (GE) bis 3,5 Prozentpunkte (BL) schwächer.
Grünliberale gewinnen weiter
Die Grünliberalen, deren Siegesserie 2018 einsetzte – vorerst weniger ausgeprägt als bei den Grünen – legten nach den Nationalratswahlen 2019 bei allen kantonalen Parlamentswahlen zu (Ausnahme: Zürich), mit Zuwachswerten zwischen 0,5 (TI) und 8 Prozentpunkten (NW). In zehn Kantonen betrug die Steigerung mehr als drei Prozentpunkte. Bei den Wahlen im aktuellen Jahr flachte der Zuwachs etwas ab; in Zürich wurde die Parteistärke gar leicht schwächer (-0,2 Punkte). Immerhin steigerten sich die Grünliberalen in Basel-Landschaft und in Genf um 3,3 bzw. 5,0 Prozentpunkte. In Appenzell Ausserrhoden holten sie erstmals Mandate (2).
Trend bei jüngsten Wahlen
Bei den kantonalen Parlamentswahlen von 2023 lassen sich im Vergleich zu den Wahlen von 2020 bis 2022 folgende Änderungen festhalten: Die SVP ist nach einer längeren Zeit der Verluste wieder zum Siegen zurückgekehrt und – umgekehrt – haben die Grünen nach einer langen Siegesserie einige Niederlagen eingefahren, im Ausmass aber nie so gross, wie es die Gewinne der letzten sechs Jahre waren.
Die Grünliberalen legten weiter zu. Bei FDP, «Die Mitte» und SP scheinen die Gewinne und Verluste etwas abgedämpft zu sein, von dem einen und anderen «statistischen Ausreisser» abgesehen. In welche Richtung sich die Parteienlandschaft bis zu den eidgenössischen Wahlen vom Herbst entwickeln wird, kann daraus nicht abgelesen werden. Verschiedene externe Faktoren wie der Klimawandel, der Krieg gegen die Ukraine oder die Bankenkrise können das Umfeld und das Thema der Wahlen beeinflussen und damit eine wesentliche Rolle spielen.
Detaillierte Ergebnisse des Bundesamtes für Statistik (BFS) mit den Mandaten und Parteistärken der kantonalen Parlamentswahlen
Der obige Text basiert noch auf den provisorischen Ergebnissen der Wahlen von Appenzell Ausserrhoden; es fehlt zudem noch ein Mandat, das in einem zweiten Wahlgang vergeben wird. Die definitiven Daten finden sich ab Mitte Mai in den Tabellen des BFS.