Vor 40 Jahren ist Otto Nebel in Bern gestorben. Seither ist es still geworden um den ungewöhnlichen Künstler, der ein gewaltiges, originelles Werk hinterliess. Das Kunstmuseum Bern erweist gegenwärtig dem grossen Meister die Ehre. Otto Nebel wohnte und wirkte seit Mitte der 30er Jahren in Bern. Mit einer hochkarätigen, äusserst eindrucksvollen Gesamtschau wird das Werk des Künstlers aus dem Nebel der Zeit herausgeholt und in das Licht der Zeitlosigkeit gerückt. Eine absolut sehenswerte Ausstellung, die durch ihren intelligenten Aufbau Otto Nebels Werk in seiner ganzen, verblüffenden Vielfalt und mit einer starken Aussagekraft in neuen Dimensionen erkennen lässt.
Nebel hatte 1969 dem Kunstmuseum Bern rund 200 Werke geschenkt. Sein Nachlass wurde nach seinem Tod der Otto Nebel-Stiftung mit Sitz in Bern überlassen. Der Bestand umfasst gemäss Angaben des Kunstmuseums Bern nicht weniger als 2000 gemalte Arbeiten, 4000 Zeichnungen, mehrere hundert Linolschnitte, Klebebilder, Mosaiken und umfangreiche literarische Dokumente und unzähliger Briefe. Zur Ausstellung ist eine ebenso beachtenswerte Begleitschrift, ein gewichtiger, 360 Seiten umfassender, reich illustrierter Katalog erschienen. Ein neues, massgebendes Standartwerk, das Otto Nebels Werk und Wirken in Wort und Bild lückenlos wiedergibt.
Vom Maurer zum Künstler
Otto Nebel wurde in Berlin geboren und wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Auf Wunsch der Eltern erlernte er den Beruf eines Maurers und liess sich zum Baumeister ausbilden. Als Zeichner und Bauführer wirkte er beim Erweiterungsbau der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg mit. Sein Interesse und seine scharfe Intelligenz, ein waches, frühes Kulturverständnis führten ihn in eine andere Richtung. Er besuchte die Schauspielschule. Die Theaterbühne sah er als Bauplatz für seine künstlerische Entfaltung. Es kam anders. Der Erste Weltkrieg brach aus, Otto Nebel musste zum Militär und an die Front. Während eines Urlaubs hatte Nebel ersten Kontakt mit Künstlern des „Sturm“, ein Forum für avantgardistische Strömungen, wegweisend für den Durchbruch des Expressionismus.
Eine Wende in seinem Leben zeichnet sich hier bereits ab. Sehr beeindruckt zeigte er sich vom Maler Franz Marc, der im Krieg getötet wurde. Zurück auf dem Kriegsschauplatz in Frankreich, geriet Otto Nebel später in Gefangenschaft und wurde nach England überführt, wo er über ein Jahr auf die Heimkehr warten musste. In der Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Welt der Gefangenen griff er nach einer neuen Waffe: das Wort. In der Sprache fand er seine eigene Ausdrucksform. Er wurde zum Dichter. Mit eindrucksvollen Texten, die seine Gedankenwelt und die Kräfte, die in seinem tiefsten Innern schlummern, erahnen lassen, kehrte er zurück in die Nachkriegszeit, gezeichnet vom Erlebten. Der Dichter wird bald auch Maler. Wort und Bild bleiben bei ihm unzertrennlich verwandt. „Meine Malerei ist Dichtung, die Schwester meiner Wortkunst“, so definierte Otto Nebel einmal seine Aktivitäten.
Am Anfang war das Wort
Ausschnitt einer erhaltenen Seite des Runenbuches, 1922. Tinte, Tusche, Deck- und Wasserfarben, Farbstift auf Papier. Privatbesitz Schweiz. Mittels gemalter grafischen Zeichen kreierte Otto Nebel eine neue Schrift. Hier ein Beispiel einer Übersetzung deutscher Schriftzeichen.
Ein „Multitalent“ nennt Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern, Otto Nebel. Die Ausstellung zeigt das vielfältige Wirken des Künstlers. Wort und Bild bilden nahtlos den Mittelpunkt der breitgefächerten, aufschlussreichen Retrospektive
In der Wort-Kunst wird wahrnehmbar wie sehr Nebel von der zerstörerischen Wucht des Krieges beeinflusst war. Sprachfetzen aus militärischen Befehlen, Schlagzeilen, Volksliedern und der Bildungssprache des wilhelminischen Deutschlands aneinander gereiht, sind sichtbaren Ausdruck von Nebels genialem Sprach-Verständnis, wie es im Ausstellungsführer präzisiert ist. Die Bedeutungsvielfalt der Worte ist einmalig. Spektakulärer Blickfang in der Ausstellung sind eindeutig die riesigen Runen-Fahnen. Von Fugen ist auch die Rede mit Anspielung auf die musikalische Terminologie und somit den Klang, dem Nebel durch sein ganzes Werk hindurch eigentlich hörbar zum Durchbruch verhelfen will. Mit dem Runen-ABC hat der Künstler eine neue Sprache kreiert, indem er jeden Buchstaben durch ein graphisches Zeichen ersetzte. Dem Menschen seiner Zeit wollte er Unsichtbares wieder sichtbar und hörbar verständlich machen. „Der verbildete Mensch unserer Tage ist worttaub und bildblind. Was er liest, das hört er nicht. Was er schreibt, das sieht er nicht“, so umschrieb Otto Nebel in den 20er Jahres des letzten Jahrhunderts einen Zustand. Und er wollte „eine Rückbesinnung auf das Wort, auf den Buchstaben“. Der Sprache sollte ihre „verlorengegangene Intensität“ zurückgegeben werden. Seine Worte haben an Gültigkeit kaum etwas eingebüsst.
Farben des Südens und der Kathedralen
Das malerische Werk von Otto Nebel ist ebenso vielfältig wie das dichterische. Die Bilder faszinieren durch den „Aufbau“. Farben und Linien erweisen sich als starke Ausdrucksmittel und verleihen jedem Bild eine formale Vollendung. Von grosser Bedeutung sind bei Nebel die Farben. Es sind vielfach die Farben des Südens, die dem Bild die Seele geben. Der Künstler war sehr beeindruckt von seinen Reisen nach Italien. Durch die Farben versucht er den ganzen Duft der Landschaften, die Atmosphäre der italienischen Kultur weiterzugeben. Die Eindrücke seiner Italien-Aufenthalte finden in einem fabelhaften „Farben-Atlas von Italien“ ihren Niederschlag. In diesem Werk wurzelt sein persönliches Farbverständnis. Und in diesem Zusammenhang lässt sich auch eine gewisse verwandtschaftliche Beziehung herauskristallisieren zur parallel im gleichen Haus stattfindenden Ausstellung kosmos farben, gewidmet seinen Zeitgenossen Johannes Itten (1888 – 1967) und Paul Klee (1879 – 1940). Übrigens auch der Besuch dieser Ausstellung ist ein Muss für Kunstfreunde.
Die Farben waren es wohl, die Otto Nebel beim Betreten der Kathedrale von Chartres zu tiefst beeindruckt und in seinem Schaffen und Denken massgebend geprägt haben. So entstand eine ganze Serie von grossformatigen Dom- und Kathedralen-Bildern, die in der Berner Ausstellung einen eigenen Raum erhielten, was auf die zentrale Bedeutung hinweist. „Schöneres als die Dome hat die Menschheit bisher nicht geschaffen“, notierte der Künstler in seinem Tagebuch. „Nichts Weltliches“ lasse sich hier erblicken, sondern eine grosse geistige Ordnung“. Im Licht, dass durch die Glasfenster hereinbricht, erkannte er die überirdischen Dimensionen, was im Bild auf wunderbare Weise festgehalten wird. Nicht zu übersehen die stilvollen architektonischen Elemente, die den Kathedralen ihre Grossartigkeit verleihen und die dem „Maurer“ und „Baumeister“ keineswegs entgangen sind, wusste er sie doch malerisch meisterhaft in seine Bilder mit einzubeziehen, sie als feste Bestandteile „einzubauen“.
Freundschaft mit Paul Klee
Manche Bilder von Otto Nebel weisen Klee-Ähnlichkeiten auf. Von einem nachvollziehbaren, unmittelbaren Klee-Einfluss kann jedoch kaum die Rede sein. Die Gemälde sind weder zeitgleich entstanden und zu diesem Zeitpunkt war auch keine direkte Bekanntschaft mit Paul Klee (1879 – 1940) auszumachen. Auch das Bauhaus war nicht bestimmend, auch wenn für beide die kunsthistorische Institution ihr Leben und Schaffen berührt hat: Klee hatte dort eine nachhaltige Lehrtätigkeit entfaltet, die seine Kunst nicht unberührt liess und Nebel lernte dort seine spätere Ehefrau kennen, betonte aber ausdrücklich, „Das Bauhaus ist nicht meine Sache“. Die beiden Künstler standen jedoch in enger, herzlicher, freundschaftlicher Verbundenheit. Das war kaum Zufall. Beide hatten ähnliche Schicksale erlebt. Beide standen als Deutsche im Ersten Weltkrieg 1914 – 1918 im Einsatz.
Beide mussten in der Folge dem Naziregime entfliehen, beide waren als entartete Künstler eingestuft. Im Vordergrund stand aber die Kunst, welche die beiden zusammengeführt hat. Und die Tatsache, dass beide in Bern zusammenfanden, hat wohl die Freundschaft vertieft und gefestigt. Nebel war 1933 als Flüchtling in die Schweiz gekommen, wo ihm das Leben zu Beginn nicht leicht gemacht wurde. Er hatte Berufsverbot und lebte in ärmlichen Verhältnissen. Nach einem Aufenthalt im Tessin, kam er 1935 nach Bern, wo er 1952 das Schweizer Bürgerrecht erhielt. Und im gleichen Jahr hat ihm auch die Bundesstadt das Bürgerrecht zugesprochen. In Bern konnte Nebel bis zu seinem Tode auch immer wieder seine Werke zeigen.
Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 8, Bern. Otto Nebel, Maler und Dichter. Bis 24. Februar 2013. Katalog. Montag geschlossen. Geöffnet 10.00 bis 17.00 Uhr. Dienstag bis 21 .00 Uhr.