Die militärische Gesamtlage im heutigen Syrien weist darauf hin, dass der syrische Bürgerkrieg sich zu einem Krieg langer Dauer entwickelt. Anfänglich hatten beide Seiten und auch die Aussenwelt damit gerechnet, dass schon bald eine Entscheidung eintreten könne.
Einst Siegesgewissheit auf beiden Seiten
Die gewaltlosen protestierenden Massen und auch später die Gegengewalt anwendenden Armeedeserteure und Aufständischen gründeten ihre Siegeszuversicht auf dem Umstand, dass die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite zu stehen schien.
Die Regierung gab sich siegesgewiss und gibt sich auch heute noch so, weil sie über die Armee und deren schwere Waffen verfügt, sowie über weit verzweigte und gefürchtete Sicherheitsapparate, und weil sie sich auch auf beträchtliche Minderheiten der Bevölkerung abstützen konnte.
Von diesen waren ein kleinerer Teil aktive und fanatische Anhänger und Profiteure des Regimes, und ein grösserer bestand aus den wirtschaftlich privilegierten Kreisen der Händler und Geschäftsleute mit ihren meist städtischen Klientelnetzen, welche die Stabilität zu schätzen wussten, die das Regime seit Jahrzehnten Syrien beschert hatte.
Kein Durchbruch auf keiner Seite
Doch anderthalb Jahre der Kämpfe immer zunehmender Brutalität und Verluste haben deutlich gemacht, dass keine Seite so rasch einen entscheidenden Sieg erringen wird. Armee und Sicherheitsdienste sind offenbar nicht in der Lage, das ganze Land zu beherrschen und zu "befrieden" , obwohl die schweren Waffen der Regierung an jenen Stellen, auf welche sie konzentriert werden, gewaltigen Schaden anrichten und Ruinenfelder zu schaffen vermögen.
Zerstörung ohne Herrschaft
Dies hat sich im Verlauf der letzten Monate zuerst in den frühen Zentren der Volkserhebung erwiesen: Deraa im Süden, dann in Homs, Hama und in den umliegenden Flecken bis hinauf an die türkische Grenze; ebenso in Deir az-Zor am Euphrat und bis an die irakische Euphrat und Tigris Grenze im Osten Syriens.
Doch die Ruinenfelder welche geschaffen wurden, blieben Zentren des Widerstandes, sogar nachdem die Bewohner aus ihnen geflohen waren und als eine gefährlich zunehmende Masse von vertriebenen Heimatlosen Unterschlupf suchten, wo sie es vermochten.
Geteilte Stadt Homs
Bis heute sind die zerschossenen und zerbombten Widerstandsquartiere von Homs nicht voll in der Hand der Armee, sie beherbergen immer noch bewaffnete Rebellen, die dort geblieben sind oder zurück filterten und die immer noch auf die Truppen und Sicherheitskräfte sowie auf die Schabiha Milizen das Feuer eröffnen, sobald sie Gelegenheit dazu finden.
Diese Regierungskräfte verteidigen die pro-Regierungsquartiere von Homs, in denen meist Alawiten leben. An gewissen Stellen haben sie Mauern errichtet, um "ihre" Stadtviertel, gegen die Heckenschützen des Widerstands abzuschirmen. Dort geht das Leben einigermassen normal weiter. Die Schulen sind noch in Betrieb. Aber es gibt glaubwürdige Berichte, nach denen die Schabiha Milizen in diesen "Regierungsquartieren" von Homs von der Bevölkerung, Protektionsgelder fordern und auch erhalten, weil die Erpressten fürchten müssen, ihr Leben zu verlieren oder ihre Kinder entführt zu sehen, wenn sie nicht zahlen. Die Erpressungsopfer gehören in erster Linie zu den einigermassen wohlhabenden Mittelschichten. Armeepräsenz allüberall
All dies spricht dafür, dass die Armee nicht über genügend, oder genügend verlässliche, Mannschaften verfügt, um jene Stadtteile permanent besetzt und unter Kontrolle zu halten, in denen sie durch ihre schweren Waffen den Widerstand zum "taktischen Rückzug" zu zwingen vermochte und die Bewohner weitgehend oder völlig vertrieb. Bis jetzt hat sie sich durch den immer weiter um sich greifenden Aufstand gezwungen gesehen, immer neue und immer lebenswichtigere Bevölkerungszentren zu umzingeln und mit ihren schweren Waffen, Tanks, Artillerie und seit Juli auch immer mehr Kriegsflugzeuge, zusammenzuschiessen, um die dort ausgebrochenen Rebellionen zu ersticken.
Die neuen Kampfplätze in den Grossstädten
Die beiden Hauptstädte, Damaskus und Aleppo, sind erst seit Juli zu Kampfplätzen geworden, und man hat anzunehmen,dass die Regierungsarmee sich in erster Linie auf sie konzentrieren musste, weil das Überleben des syrischen Staates davon abhing, ob er mindestens die Stadtzentren gegen den Aufstand zu halten vermochte und ob er die Aussenquartiere des sogenannten Elendsgürtels, der sich um beide Städte herum legt, mindestens isolieren konnte, wenn eines von ihnen oder mehrere in die Hände der Rebellion fielen.
Fortschritte auf dem Lande
Diese Konzentration der Armee auf die grossen Städte erlaubte es den Rebellen in ländlichen Gegenden, mindestens vorübergehend, ihre eigene Herrschaft zu errichten und auch die Nordgrenze Syriens zur Türkei hin weitgehend in ihre Gewalt zu bringen. Allerdings immer nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Armee beschliesst, auch dort ihre schweren Waffen gegen einzelne Ortschaften und Widerstandsnester einzusetzen, in denen die Rebellen beginnen, ihre Herrschaft auszuüben.
Der Bombenkrieg weitet sich aus
Dies geschieht heute zunehmend durch Aktionen der Luftwaffe. Sie ist ein Monopol der Regierung. Seit der Ausdehnung der Rebellion auf Damaskus und Aleppo wird sie vermehrt verwendet, um die Macht der Armee auch dort zur Geltung zu bringen, wo ihre Fusstruppen, wenigstens vorläufig, nicht eingesetzt werden können, weil sie an den kritischsten Stellen, in den beiden Grossstädten kämpfen.
In den beiden Grossstädten selbst zeichnet sich ebenfalls ein Patt ab. Die Regierungsarmee konnte bis jetzt die Rebellen nicht völlig aus Damaskus und noch weniger aus Aleppo vertreiben. Die Rebellen sind nicht in der Lage, die Zentren der beiden Grossstädte zu erstürmen, und sie können sich auch nicht in jenen Vorstädten halten, gegen die die Armee ihre schweren Waffen einsetzt, Tanks, Artillerie, Luftangriffe, um sie zu zerstören und die Bewohner mitsamt den Rebellen zur Flucht zu zwingen.
Es scheint den Rebellenkämpfern jedoch bisher des öfteren wieder gelungen zu sein, die zusammengeschossenen Quartiere neu zu infiltrieren und sie soweit unsicher zu machen, dass die Regierung sie bisher nicht dauerhaft zu beherrschen vermochte.
Unruhe ohne Ende in den Grossstädten Damaskus, das nach den Aussagen der Regierungspropagandisten längst wieder "befriedet" wurde, ist offensichtlich noch immer nicht beruhigt.
In Aleppo versuchten die Rebellen in den beiden vergangenen Wochen sogar eine neue Grossinvasion auszulösen. Offenbar hatten sie frische Kämpfer vom Lande in die umkämpften Quartiere der nördlichen Hauptstadt eingeschleust. Doch es sieht nicht so aus, als ob diese Grossinvasion ihre Ziele erreichen könnte, falls diese aus der Eroberung der gesamten Stadt und vor allen ihrer zentralen Quartiere bestanden. Es kam zu Kämpfen und dann einer Feuersbrunst in den historischen Altstadtvierteln. Der weltberühmte Basar brannte mindestens teilweise aus.
Doch das Regime setzte vermehrt seine Kampfflugzeuge ein, um die Kämpfer aus den von ihnen beherrschten Aussenquartieren mit deren Bevölkerung zu vertreiben und auf diesem Wege dem Angriff auf die Stadtmitte die Basen zu entziehen, von denen er ausgegangen war.
Vom Kleinkrieg zum Bombenkrieg
In den beiden Grossstädten zeichnete sich die typische Entwicklung ab, die bei Niederschlagung eines versuchten Guerilla Krieges das nächste Stadium des Ringens beherrscht: es kommt zu Bombenanschlägen, welche die Leute des Widerstandes auslösen, wenn es ihnen verunmöglicht wird, mit den Waffen gegen ihre Feinde vorzugehen.
Typisch ist auch die Art des Schadens, den diese Anschläge ausrichten; zuerst erreichen die Bomben wichtige Personen der Führung des Gegners, so geschehen in Damaskus im Juli, als führende Sicherheitskommandanten einem Bombenangriff erlagen.
Doch schon bald lernen die Führungspersonen, sich wirksam zu schützen. Die Bombenangriffe gehen weiter, doch ihre Opfer sind mehr und mehr einfache Soldaten oder Wachtpersonal und Zivilisten, die sich nicht abzuschrimen vermögen. Die Bombenleger kehren sich wenig darum. Sie fahren fort mit ihren Aktionen, weil sie annehmen und hoffen, auch einfache Tote könnten die Moral des Gegners erschüttern, und - vielleicht wichtiger noch - weil sie durch die Bomben demonstrieren können, dass es sie immer noch gibt und dass sie mit ihrem Widerstand fortfahren.
Nur auf diesem Wege können sie hoffen weiterhin neue Rekruten für ihre Sache zu gewinnen und damit ihren Widerstand fortzuführen.
Bombenattentate als letzte Mittel
Im Irak haben die Bombenanschläge das Hauptkampfmittel gegen die so weit überlegenen Kräfte der Amerikaner und ihrer Nato Verbündeten abgegeben. Sie wurden dann auch ein wichtiger Teil des inneren Bürgerkrieges zwischen Irakischen Schiiten und Sunniten der Jahre 2005-7. Sie sind heute wieder am zunehmen, aller Wahrscheinlichkeit nach erneut als Kampfmittel der sunnitischen Minderheit und Opposition gegen die waffenmässig weit überlegene, schiitisch dominierte, Maleki Regierung.
In Afghanistan gab es parallele Entwicklungen, und auch im Jemen ist zu beobachten, dass die Bombenanschläge zunehmen, nachdem die Armee, mit amerikanischer Hilfe, die islamistischen Widerstandskämpfer aus ihren bisherigen territorialen Basen in der südlichen Provinz Abyan vertrieben hat.
Nach der Niederlage die Bomben
Für Syrien bedeutet dies, dass die Kämpfe wahrscheinlich nicht einmal dann zu Ende gehen würden, wenn es der Armee gelänge, die Rebellenkämpfer überall im Land zu besiegen und das gesamte Territorium Syriens zu kontrollieren. Das Ringen würde dann höchst wahrscheinlich in eine Phase der Bombenanschläge treten, nach dem irakischen Vorbild.
All dies unterstreicht die Erwartung, dass der syrische Bürgerkrieg lange dauern wird, weil die Kräfte, welche ihn mehr und mehr auf Tod und Leben hin führen, weder Versöhnung finden, noch durch einen "Endsieg" das Ringen werden beenden können.
Die Folgen eines Dauerkrieges
Mit der langen Dauer wächst die Abhängigkeit beider Seiten von Hilfe aus dem Ausland. Beide haben sie ihre dortigen Hilfsquellen: die Regierung stützt sich zunehmend auf Iran, auf Russland und auf China; die Aufständischen auf finanzielle und Waffenhilfe von Seiten der Golfstaaten, besonders Qatars und Saudi Arabiens. Die Türkei stellt ihr Territorium zur Verfügung als Aufmarschgebiet für die Rebellen und als Zufluchtsgebiet für zivile Flüchtlingen. Der europäische und amerikanische Westen gibt der Rebellion diplomatische Unterstützung und offiziell "nicht tödliche" Ausrüstungshilfe. Seine Geheimdienste tun ohne Zweifel etwas mehr, via Türkei und Libanon, doch dies spielt sich ab im Schatten des Waffenschmuggels und der Geheimdienstaktionen, die abstreitbar sind.
All dies hat sich entwickelt unter der anfänglichen Annahme, dass das Ringen nicht sehr lang dauern werde und schon relativ bald, so oder so, zu Ende gebracht werden könne. Doch diese Annahme hat sich als falsch erwiesen. Was die Frage der Ausdauer immer wichtiger macht: welche der geschilderten Kräfte im Innern und im äusseren wird sich als zäher und konsequenter in der Verfolgung ihrer Ziele erweisen, oder umgekehrt, welche dieser Kräfte und Mächte werden zuerst nachgeben?
Stützen auf beiden Seiten
Bei den äusseren Stützen auf beiden Seiten ist heute noch keine Veränderungen abzusehen. Die Saudis und Qataris scheinen bereit, mehr und mehr Geld für die Unterstützung und Waffenbeschaffung der Rebellen bereit zu stellen. Die Türkei kann kaum mehr vermeiden, den Rebellen und den syrischen Flüchtlingen weiter zu helfen. Die Erdogan Regierung hat ihr Prestige dort engagiert. Um den Willen zum Engagement zu unterstreichen, fordert der türkische Aussenminister sogar die Einführung einer "Schutzzone" für die syrischen Zivilisten an der syrischen Nordgrenze. Allerdings nur, wenn die Nato Staaten dabei mitmachen würden. Was nicht geschehen dürfte, weil eine Schutzzone militärische Eingriffe unerlässlich machte, um sie gegen die syrische Armee und Luftwaffe abzusichern.
Die europäische und amerikanische Diplomatie zeigt sich weiter entschlossen, nicht militärisch einzugreifen, jedoch die Seite der Rebellion diplomatisch zu unterstützen. Russen und Iraner mit den Chinesen im Hintergrund stehen in Wort und Tat für die Regierung ein, ohne sich von Kritik aus dem Westen im geringsten davon abbringen zu lassen.
Die "Konfessionalisierung" des Krieges
Im Inneren Syriens jedoch sind Änderungen sichtbar. Der dortige Krieg entwickelt sich mehr und mehr zum "Religionskrieg", das heisst zum Krieg der religiösen Gemeinschaften gegeneinander. Dies war von Beginn an vorgegeben durch den Umstand, dass die Armee und alle Sicherheitsorganismen Syriens seit der Machtergreifung Hafez al Asads im Jahre 1971 zunehmend unter Kontrolle von alawitischen Offizieren gekommen waren und es bis heute bleiben. Die Politik Asads beruhte darauf, sich zur Kontrolle der syrischen Gesellschaft auf die eigenen "Landsleute" zu stützen. Sein Sohn hat diese politische Grundlinie notgedrungen übernommen. Notgedrungen, weil er von Beginn seines Regimes an darauf angewiesen war, die Kontroll- und Sicherheitsapparate seines Vaters weiterhin zu verwenden. Seine Macht hing von Beginn an stark und hängt heute noch viel ausschliesslicher von ihnen ab.
Der gewaltlose Widerstand der jugendlichen Protestmassen hatte darauf bestanden, dass ihn Angehörige aller syrischen Religionsgemeinschaften anhingen,sogar Alawiten. Er hatte auch junge Syrer aus allen Gemeinschaften zu mobilisieren vermocht. Doch die Überläufer aus der Armee waren alle Sunniten, und die Hauptmasse der Demonstranten sowie der mit ihnen sympathisierenden Bürger Syriens bestand von Beginn an aus Sunniten.Diese machen etwa 70 Prozent der Bevölkerung aus. Ihre grossen Massen waren in den letzten Jahren zunehmend unter wirtschaftlichen Druck geraten. Die Landwirtschaft hatte unter mehreren Jahren der Dürre gelitten. Viele einstige Bauern hatten ihre Felder verlassen und waren in die Aussenquartiere der Grossstädte gezogen, um dort irgendwie ihr Leben zu fristen. Gleichzeitig hatte die Konzentration des Reichtums in den Händen von schwerreichen Günstlingen und Angehörigen des Regimes zugenommen. Es gab neben den verarmten Sunniten auch bitter arme Alawiten und Christen, doch viele von ihnen setzten auf reichere Honoratioren ihrer Gemeinschaften oder auf Protektion von Verwandten im Dienste der Staatssicherheit, um über die Runden zu kommen.
Klientel auf konfessioneller Grundlage
Klientele sind in Syrien so gut wie immer aus Angehörigen einer bestimmten Religionsgemeinschaft zusammengesetzt. Der Grund dafür ist, dass Heiraten und damit Familienbildungen, auch im Falle von Grossfamilien, weit überwiegend innerhalb des Rahmens der verschiedenen Religionsgemeinschaften erfolgen.
Sobald es zu bewaffneten Zusammenstössen kam, die ursprünglich durch die sunnitischen Armeedeserteure ausgelöst wurden, verschärfte sich der "Religionskrieg". Die Gemeinschaften identifizierten sich entweder mit dem Regime oder mit den Rebellen. Dies führte dazu, dass die Konfrontation mehr und mehr an den religionsgemeinschaftlichen Trennungslinien erfolgte. Die Rebellen wurden immer mehr vornehmlich Sunniten, die Kämpfer für die Regierung in leitender und kontrollierender Position immer ausschliesslicher Alawiten.
Alawitische Festungen
Als die Kämpfe das ganze Land überzogen, wirkte sich dies auch auf die zivilen Bevölkerungen aus. Heute gibt es Berichte aus alawitischen Bergdörfern, nach denen dort Tag für Tag mehrere Begräbnisse von Offizieren erfolgen, die in den Kämpfen ihr Leben verloren und deren Leichen nach Hause gebracht werden, um dort eine feierliche Bestattung zu finden. Nach den Beobachtungen von gelegentlich zugelassenen Journalisten zeigt dabei die ganze Dorfbevölkerung ihre leidenschaftliche Identifikation mit dem Regime und seiner Armee durch Sprechchöre für Asad und durch Heldenverehrung, die man den "Märtyrern" zollt.
Die meisten der Dorfbewohner zeigten sich überzeugt, dass nur "unsere heldenhafte Armee" ihre Dörfer und Ländereien verteidige, gegen die "Banden", die nicht nur den Staat zerstören sondern auch allen Alawiten die Gurgel abschneiden wollten. Die Regierung bewaffnet die Dorfbewohner, die alawitische Dorfwächter bilden.
Darüber hinaus wachsen die Bestände der Schabiha Milizen, die von den Geheimdiensten mobilisert, bezahlt und mit bestimmten Aufgaben betraut werden können. Diese haben meist mit der blutigen Niederhaltung von rebellischen Bevölkerungen auf der sunnitischen Seite zu tun,nachdem die schweren Waffen der Armee einschliesslich der Luftwaffe die widerspenstigen Ortschaften und Stadtteile sturmreif geschossen haben.
Eingeschriebener Konfessionalismus
Sprecher der gewaltlosen Opposition klagen oftmals die Regierung an, sie fördere die "Konfessionalisierung" des Krieges absichtlich, weil sie dadurch die Alawiten alle unverrückbar auf ihre Seite zu bringen vermöge. Die Regierung, so wie sie heute zusammengesetzt ist, kann garnicht anders. Sie muss sich auf "ihre" Leute stützen, und sie macht dadurch unvermeidlich ihre Gemeinschaft zur Kampfpartei, gegen welche die anderen Gemeinschaften,vorwiegend die Mehrheitsgruppierung der bisher eher entmachteten Sunniten, anstürmen.
Doch dies macht auch die Sunniten in ihrer Eigenschaft als Sunniten zur Gegenpartei. Die Zeiten der aus allen Gemeinschaften gemischten Proteste sind längst vorbei. Von aussen her wird durch die Gelder der Saudis und Qataris die sunnitische Komponente des Krieges gefördert. Die beiden Geldmächte sind eingeschritten im Namen des Kampfes der Sunniten gegen die, in ihren Augen von Iran unterstützten, arabischen Schiiten, zu welchen sie auch die syrischen Alawiten rechnen. Dabei scheint Qatar mehr Vorliebe für die syrischen Moslem Brüder zu zeigen, Saudi Arabien dagegen die syrischen Salafiten zu begünstigen.
Der Jihad als Mittel der Mobilisierung
Der Heilige Krieg der Sunniten gegen die Schiiten, der sich auf diesem Wege entwickelt, wächst durch die äussere Waffenhilfe, die vorwiegend seinen Aktivsten zu gute kommt. Er ist aber auch eingeschrieben in den Verzweiflungskampf, den die syrischen Sunniten gegen das alawitische Regime führen. Die Mobilisierung der ländlichen Massen gegen die Armee funktioniert fast automatisch auf dem Weg des Jihad. Die Berufung auf "den Islam" ist ein wesentliches Element, das die Mobilisierung der Bevölkerung erlaubt und vor allem aufrecht erhält, komme was wolle.
Eine Szene, die ein britischer Journalist aus Aleppo schildert, macht dies sehr deutlich. Ein Haus wurde bombardiert. Mehrere Zivilisten verloren ihr Leben. Auch Kinder waren darunter. Ein kleines Mädchen wird lebendig aus den Trümmern geborgen. All ihre Geschwister sind tot. "Allahu Akbar!" ruft die Masse der Beistehenden (Gott ist am grössten). Doch das Flugzeug kehrt zurück. Alle suchen rasch Unterschlupf, wo sie können. In der Nähe steht auch ein Widerstandskämpfer. Er ruft über sein Mobiltelephon seinen Kommandanten an und schreit: "Das Flugzeug kommt wieder. Was soll ich tun? Ich habe nichts als ein altes russisches Maschinengewehr." Der Kommadant antwortet: "Sprich 'Allahu Akbar!' und drücke ab!"
Die Jihadisten stehen bereit
Solch ein "Jihad", der von den reichen Erdölstaaten finanziert wird, ist heute mehr als je zuvor ein Magnet für die internationalen, übers Internet aufrufbaren Jihadisten. Sie waren schon aufrufbar gegen die Russen in Afghanistan in den 80er Jahren. Heute sind sie noch viel leichter zu mobilisieren, weil einerseits das Elend unter den Massen der nicht-Erdölländer stark gewachsen ist, und weil andrerseits der Willen zu kämpfen gewaltig angestachelt wurde durch die Islampolemiken des vergangenen Jahrzehnts und des "Kriegs gegen den Terrorismus", die für ein Reizklima sorgten, das heute besteht und sich islamweit immer noch ausdehnt. Ganz wie es sich der verstorben gewordene Osama ben Ladhen gewünscht hatte.
Es ist heute kaum mehr ein Geheimnis, der Bürgerkrieg in Syrien nimmt notgedrungen mehr und mehr jihadistische Züge an. Je länger er dauert, und seine Dauer ist nun fast unvermeidlich geworden, desto mehr wird "der Islam" wie immer ihn die verschiedenen Gruppen, die ihr Leben einsetzen, verstehen, zu einem Hauptmotiv der Mobilisierung der anti-Regierungs-und anti-alawitischen Kräfte und immer mehr ein wichtiger Grund für die verzweifelte Zähigkeit dieser Kämpfe.
Demokratie und Islam?
Gewiss gibt es noch Reste der zivilen Mobilisierung mit demokratischen Zielen, die ursprünglich die gewaltlosen Demonstranten zusammenbrachte. Doch allen Symptomen nach wachsen die islamisch und islamistisch motivierten Kämpfer. Wobei sich ein Teil der islamischen Aktivisten auch auf die neue Entwicklung berufen kann, die nach dem heutigen türkischen und auch schon tunesischen und ägyptischen Vorbild Islam und Demokratie zusammenzubringen versucht.
Eine Ähnlichkeit zwischen dem Jihad in Afghanistan, gegen die Sowjetunion, und dem wachsenden sunnitischen Kampf gegen die Alawiten und ihre säkular und modern plutokratisch ausgerichtete Regierung lässt sich nicht übersehen. Der Heilige Krieg wird von aussen gestützt durch die gleichen Sponsoren wie damals, jedenfalls im Falle der Saudis. Qatar als Geldmacht kam seither neu dazu.
Ein Unterschied liegt darin, dass sich die "westlichen" Aussenmächte diesmal etwas zurückhaltender zeigen.Der Kalte Krieg als Aktionsgrund ist schliesslich vorbei. Bisher haben sie offiziell keine Waffen geliefert. Die Türkei hat die damalige Rolle Pakistans übernommen. Auch dabei gibt es natürlich Unterschiede. Gegenwärtig sind die Offiziere in der Türkei ziemlich weit von der Macht entfernt, viele sitzen gefangen. In Pakistan leiteten sie den afghanischen Jihad weitgehend nach ihrem Ermessen,indem sie die ausländischen Waffenlieferungen kanalisierten.
Noch einmal Jihad ?
Die Ähnlichkeiten drohen mit den Jahren noch zuzunehmen, je mehr der Bürgerkrieg auf der Seite der Rebellion als ein Jihad geführt wird. Die westlichen Staaten sehen etwas verlegen zu. Afghanistan möchten sie eigentlich nicht noch einmal in Syrien wiederholen. Doch sie bestimmen den Verlauf des Geschehens nur am Rande. Dies ist der Preis für die Nichteinmischung. Wer sich tiefer einmischt, die beiden Carbohydratproduktoren tun es, hat auch mehr zu sagen.
An dieser Aussenfront könnten eher Neuentwicklungen zustande kommen als im blockierten Inneren Syriens. Wie weit sind die Erdölländer bereit , die Zerstörung Syriens immer voranzutreiben, wenn es auch ihnen klar werden sollte, dass der Sieg noch weit entfernt sein könnte, den sie über das Asad Regime anstreben, während die Folgen der Kämpfe mit der Zerstörung der gesamten syrischen Gesellschaft drohen, was eigentlich nicht im Interesse der Erdölstaaten und ihrer eigenen Stabilität läge ? Doch werden sich derartige Überlegungen durchsetzen? Oder ist der Hass in Riad, verbunden mit Angst, auf die Schiiten zu stark? Wie weit können die Amerikaner noch heute die saudische Politik beeinflussen? Besonders in der heiklen Jihad Frage?
Hier stehen viele Fragen noch offen, nicht zuletzt jene der Zukunft der anscheinend möchte gerne Atommacht Iran und mit dieser zusammenhängend der Ausgang der bevorstehenden amerikanischen Wahlen.
Soll Amerika den Jihad unterstützen?
Und wie wird die amerikanische Politik auf den wachsenden syrischen Jihad reagieren, den sie bisher politisch und wirtschaftlich, auch durch die Boykottmassnahmen gegen Syrien, unterstützt, wenn er immer mehr das Übergewicht unter den syrischen Kämpfern gewinnt? Wird sie ihn wild laufen lassen, oder wird sie versuchen, ein rascheres Ende herbeizuführen, indem sie die Kämpfer energischer unterstützt? Wird sie versuchen, die Saudis zu überzeugen, vorsichtiger vorzugehen, zum Nachteil der Rebellion?
Oder durch einen Sieg beenden?
In Afghanistan hatte die Einführung der Stinger Raketen, die gegen die sowjetischen Helikopter wirkten, den Anfang vom Ende gebracht. Allerdings mit damals noch unabsehbaren weiteren Folgen. Könnte sich auch in dieser Hinsicht Afghanistan wiederholen?
Heute kann man nur sagen, von der Front der Bewaffnung Syriens jenseits der Grenzen hängt sehr viel ab. Es scheint, dass sich auf ihr entscheidende Neuentwicklungen zugunsten oder zuungunsten der im Lande weitgehend festgefahrenen Rebellion am ehesten abspielen könnten.
Aktueller Nachtrag:
Die Schiessereien über die türkische Grenze hinweg bei Akcakale und zurück von Seiten der Türkei haben Alarm ausgelöst. Sie betreffen nicht nur die Türkei sondern auch Nato als Verteidigungsbündnis, in das die Türkei eingefügt ist. Dennoch ist anzunehmen, dass sowohl die Türkei wie auch Syrien vermeiden werden, die Vorfälle zu einem vollen Krieg ausarten zu lassen. Die Türkei hat kein Interesse daran, solange sie alleine die Hauptlast eines solchen Krieges tragen müsste. Nato als ganzes wird ihn ebenfalls zu vermeiden suchen. Syrien hat mehr als genug mit seinem eigenen inneren Aufstand zu tun. Russland hat seinem syrischen Verbündeten bereits klar gemacht, dass es eine Entschuldigung Syriens gegenüber der Türkei erwarte, um deutlich zu machen, dass es sich nicht von Syrien in einen Krieg hineinziehen lassen will. Doch die Vorfälle zeigen auch, wie in dem vorausgegangenen Artikel angedeutet, dass an der Grenze Syriens, mehr als in Syrien selbst, am ehesten Neuentwicklungen zu erwarten sein dürften, die sich auf den blockierten inneren Zwist in Syrien auswirken und ihn in seinen Grundverhältnissen verändern könnten.