Robert F. Kennedy Jr. kandidiert als Unabhängiger für die US-Präsidentschaft 2024. Chancen hat er keine. Bleibt aber die Frage, ob der Spross einer berühmten Dynastie als «Spoiler» eher Joe Biden oder Donald Trump Stimmen wegnehmen wird.
Einem Kandidaten, der weder Demokrat noch Republikaner war, ist es in der Geschichte Amerikas schon seit langem nicht mehr gelungen, als Präsident ins Weisse Haus einzuziehen. Es war Millard Fillmore (1800–1874), der als Vizepräsident der Whig Party auf Zachary Taylor (1874–1850) folgte, als dieser unerwartet starb, nachdem er an einem Anlass zum Nationalfeiertag angeblich zu viele Kirschen gegessen und zu viel Milch getrunken hatte. Zwischen 1968 und 1971 hatte das Fillmore East, die legendäre Rockkonzerthalle auf Manhattans East Side, den Namen jenes Mannes getragen, der drei Jahre lang die Vereinigten Staaten regierte.
An diesem Umstand dürfte auch die Präsidentschaftskandidatur von Robert F. Kennedy Jr., dem Sohn eines Senators und Justizministers und Neffen eines Präsidenten, nichts ändern. So legendär die Kennedy-Dynastie in den USA nach wie vor sein mag, ihr politischer Einfluss ist heute gering, auch wenn allein der Name Kennedy den einen Wähler oder die andere Wählerin dazu bewegen könnte, für Robert F. zu stimmen. Unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten haben es bei US-Präsidentenwahlen erfahrungsgemäss schwer, was aber nicht heisst, dass sie keinen Einfluss haben.
Drittkandidaturen als Störmanöver
2000 war es der unabhängige Konsumentenschützer Ralph Nader, der Al Gore mutmasslich die Präsidentschaft kostete, und 2016 die Grüne Jill Stein, die Hillary Clinton in Swing States entscheidende Stimmen gekostet haben dürfte. Robert F. Kennedy Jr. (RFK Jr.) könnte 2024 Ähnliches gelingen, auch wenn sich Experten uneinig sind, wem er am 5. November an der Urne mehr schaden wird. Der 70-Jährige äussert sich sowohl über Joe Biden wie Donald Trump negativ, auch wenn er wohl keine Chance erhält, sie vor einem nationalen Publikum herauszufordern. Ausser Jill Stein, die dieses Jahr erneut antritt, ist auch der linke schwarze Aktivist und Gelehrte Cornel West einigermassen prominent im Rennen.
Doch laut CNN erfüllt RFK Jr die Bedingungen des Senders nicht, um am 27. Juni an der ersten Fernsehdebatte zwischen Biden und Trump teilnehmen zu können. Dafür müsste der Kandidat der Partei «We the People» in mehr Bundesstaaten auf den Wahllisten stehen und bei landesweiten Umfragen besser abschneiden. Kennedys Werte liegen je nach Befragung im einstelligen bis im tiefen zweistelligen Bereich. Im Übrigen zeigt die Erfahrung, dass Unabhängige an Unterstützung verlieren, je näher der Wahltag rückt.
Der sportlich fitte Kandidat
CNN zufolge müsste Robert F. Kennedy Jr. jeweils in vier anerkannten Umfragen mindestens 15 Prozent der Wählerstimmen gewinnen. Der letzte Unabhängige, der an einer nationalen TV-Debatte teilnehmen konnte, war 1992 der texanische Unternehmer Ross Perot, der seinerzeit Amtsinhaber George H. W. Bush und den späteren Sieger Bill Clinton herausforderte.
Robert F. Kennedy Jr. ist nicht nur jünger sowohl als Joe Biden als auch Donald Trump, er ist auch wesentlich fitter. Er achtet strikt auf seine Ernährung und trainiert täglich während 35 Minuten. So hat sich der muskelbepackte Kandidat oben ohne bei Liegestützen und beim Stemmen von Gewichten ablichten lassen, was Gail Collins, eine Kolumnistin der «New York Times», zur Bemerkung veranlasste, falls Wählerinnen und Wähler einen Präsidenten bevorzugten, der ausländische Würdenträger im Weissen Haus mit nacktem Oberkörper empfangen könne, dann sei RFK Jr. definitiv ihr Kerl.
Gemäss der demokratischen Wahlstrategin Lis Smith ist RFK Jr. vor allem in einem jüngeren Wählersegment beliebt, das mit dem herrschenden Zweiparteiensystem unzufrieden ist und weder den Kandidaten der Demokraten noch jenen der Republikaner mag. Auch würden, sagt sie, tendenziell eher politikferne Frauen, Schwarze und Ärmere Kennedy zuneigen.
Die eigene Familie als Bremserin
Solche Wählerinnen und Wähler, argumentiert Smith, ziehe vor allem der Name Kennedy an, auch wenn sie ihn nicht näher kennen würden und ihnen nicht bewusst sei, dass die Familie Robert F.s Kandidatur fast ausnahmslos ablehnt und im Wahlkampf Joe Biden unterstützt. «Wir wollen kristallklar festhalten, dass wir glauben, dass der beste Weg, Amerika vorwärts zu bringen, darin besteht, Joe Biden und Kamala Harris für weitere vier Jahre zu wählen», sagt Kerry Kennedy, eine Schwester des Kandidaten. In Bidens Oval Office, der dank John F. Kennedy zur Politik gefunden haben soll, steht eine Büste von Robert F. Kennedy Sr.
Kennedys Familie missfallen vor allem Bemerkungen, was Covid-19 und die Notwendigkeit oder den Schaden von Impfungen betrifft. In der «New York Post» hatte RFK Jr. geschrieben, Corona ziele in erster Linie auf Weisse und Schwarze, wohingegen das Virus Juden europäischer Herkunft und Chinesen verschone – eine Aussage, die Schwester Kerry als «bedauerlich und nicht wahrheitsgemäss» einstufte. Zuvor hatte RFK Jr. bereits angedeutet, Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich nicht impfen liessen, würden in Kürze härter verfolgt werden als die von den Nazis ermordete Anne Frank. Auch argumentiert er, Impfungen seien bis zu einem gewissen Grad für Autismus bei Kindern verantwortlich.
Der Verschwörungstheoretiker
Robert F. Kennedy Jr. liebt ganz allgemein «alternative Fakten», was ihm den Ruf eines eingefleischten Verschwörungstheoretikers eingetragen hat. So ist er etwa überzeugt, die CIA habe die Morde 1963 an seinem Onkel und 1968 an seinem Vater inszeniert. Die Gründe dafür, sagt er, lägen in Amerikas gestörtem Verhältnis zu Kuba, das die beiden hätten verbessern wollen. Wi-Fi, findet er, verursache «Löcherhirne». Neue Technogien wie 5G oder Crypto-Währungen sind für ihn totalitäre Instrumente, «um Verhalten zu kontrollieren».
Hinter Amerikas Engagement für die Ukraine sieht RFK Jr. einen Plan von Neokonservativen, im Kreml einen Regimewechsel zu bewirken. Er glaubt auch, das Weisse Haus habe sich mit der Presse verbündet, um Amerikanerinnen und Amerikaner zu zensieren und ihn unfair von Plattformen sozialer Medien zu verbannen. Ähnlich wie Donald Trump sieht er bei der Beamtenschaft und den Vertretungen grosser Medien in Washington DC das unheilvolle Wirken einer «Elite», als würde er selbst, wie Trump, nicht selbst zu eben dieser Spezies gehören.
Der politisch Unerfahrene
Dass er als Anwalt für Umweltfragen, Autor und Umweltschützer keine politische Erfahrung hat, kümmert Robert F. Kennedy Jr. nicht. Er habe, sagt er, Lebenserfahrung und die sei relevant. Seit er sechs Jahre alt war, betont er weiter, sei er während 60 Jahren bei fast jeder Präsidentenwahl involviert gewesen und habe sich mit Politik beschäftigt. Er habe klare Vorstellungen zu Amerikas Aussenpolitik und sei viel gereist, in Südamerika, Afrika und Asien. Nirgendwo in der amerikanischen Verfassung stehe, dass ein Präsident erst im Abgeordnetenhaus und dann im Senat oder als Gouverneur gedient haben müsse.
Für seinen Rückstand in den Umfragen macht RFK Jr. den Umstand verantwortlich, dass viele Amerikanerinnen und Amerikaner «aus Angst» wählen würden: «Ihre einzige Strategie ist es, mich von den Wahllisten fernzuhalten und dann jeden und jede in Angst vor Donald Trump erstarren zu lassen», sagt er über die Demokraten. Und die andere Seite (die Republikaner) tue das Gleiche: «Wenn dir jemand sagt, du sollst aus Angst wählen, dann versuchen sie, dich dazu zu bringen, deine Werte aufzugeben.»
Die reiche Vizekandidatin
Zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin hat Robert F. Kennedy Jr. Nicole Shanahan erkoren. Die 39-Jährige ist Anwältin und in erster Linie als reiche Zeitgenossin bekannt, nachdem sie sich nach fünf Jahren Ehe von Sergey Brin, einem Google-Gründer, hat scheiden lassen. Öffentlich auffällig in Erscheinung getreten ist sie bisher lediglich mit einem vier Millionen Dollar teuren Werbesport während der Super Bowl, einer Anzeige, die Kennedys Gesicht auf Wahlvideos seines ermordeten Onkels John F. einblendete, was den Rest der Familie ärgerte. Interviews hat Shanahan noch keine gegeben.
Die demokratische Strategin Lis Smith empfindet es als skandalös, dass sich in Amerika jemand so praktisch eine Vizepräsidentschaftskandidatur erkaufen kann. Trotzdem gibt sie dem Duo Kennedy/Shanahan bei der Wahl 2024 keine Chance: «Wir haben 2024 bisher einen klaren Trend gesehen und der zeigt abwärts. Je mehr die Leute über RFK Jr. erfahren, desto weniger schätzen sie ihn. Er ist auch jemand, der viele bizarre und gefährliche Verschwörungstheorien propagiert, die ihn ungeeignet erscheinen lassen, auch nur in die Nähe der Präsidentschaft zu kommen.»