In einer historischen Perspektive gibt es die leisen und schleichenden Ablösungen von stilistischen Gepflogenheiten, und es gibt die ungestümen und krachenden, die mit einem Fanal historische Zäsuren setzen. Es kommt sogar vor, dass eine eingeschlichene neue Mode erst nachträglich zum Skandalfall aufgebauscht werden kann.
Ein interessantes Exempel aus der Operngeschichte diesbezüglich ist das 1733 im Teatro San Bartolomeo in Neapel uraufgeführte Intermezzo «La serva padrona – Die Magd als Herrin» von Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736). Um die Stimmung im Publikum mitten im tragischen Geschehen einer «Opera seria» etwas aufzulockern, war man, zumal im lebensfrohen Neapel, um diese Zeit dazu übergegangen, heitere Zwischenspiele mitten in tragischen Opern den Anwesenden als kurzszenische Intermezzi zu offerieren. Schliesslich wollte man ja im Opernhaus nicht nur deprimierende Schicksalsschläge erleben, sondern auch sich vergnügen und lachen können.
Der aufstrebende, hochbegabte Pergolesi hatte darum für ein Geburtstagsfest am Hof der spanischen Bourbonen eine etwas schwerfällige ernste Oper namens «Il prigionier superbo – Der stolze Gefangene» komponiert, die er nun mit einem doppelszenischen Intermezzo über eine listige Frau aus dem Volk garnierte, der es gelingt, einen eingebildeten adeligen Hagestolz dazu zu bringen, dass er sie allem Standesunterschied zum Trotz heiratet. So wird aus einer Dienerin in menschlich vollkommen nachvollziehbarer Logik die Herrin des Hauses. Der Aufstieg des dritten Standes war im ausklingenden Ancien régime ein Thema mit einer gewissen Aktualität und Brisanz. Die «Hochzeit des Figaro» lässt bereits grüssen!
Der Charme einer Farce
Gleich im Anschluss an die Uraufführung geschah etwas Unerwartetes: Das heitere Zwischenstück gefiel dem Publikum auf Anhieb so ausnehmend gut, dass es sich verselbständigte und von Neapel aus durch ganz Europa einen wahren Eroberungszug antrat. Der ernste hochmütige Gefangene Pergolesis war schnell vergessen. Das Publikum wollte auf der Bühne nur noch Serpina (die kleine Schlange) erleben. Eine Frau, die weiss, wie man einem eingebildeten Verliebten auf der Nase herumtanzt, ihn eifersüchtig macht und am Ende zum lammfrommen servilen Ehemann umformt.
Diese als Groteske konzipierte Farce spielt geschickt mit beliebten Figuren der Commedia dell’arte. So ist der gewünschte Bräutigam Uberto nach dem Muster des grossspurigen Pantalone angelegt: eingebildet und dumm und heillos jeglicher Frauenlist unterlegen. Serpina ist mit jenen Wassern gewaschen, die wir von der schlauen Colombina aus der Commedia kennen, und der Diener Vespone – eine stumme Rolle bei Pergolesi, aber pantomimisch gross im Einsatz – ist gänzlich von der Figur des nie verlegenen Dieners Arlecchino abgekupfert.
Da das Werk selbst kein abendfüllendes Stück ist, sondern nur gut 40 Minuten dauert, wurde es notwendig, es mit anderen Werken zu verbinden. Man verknüpfte es also, den Moden der Zeit entsprechend, gern mit Werken der Gattung «Opera seria» und geriet mancherorts, wo die dramatische Musiktragödie in hohen Ehren stand, in einen Konflikt über die Kompatibilität von ernster und komischer Oper. In Paris sollte diese Auseinandersetzung zwischen 1752 und 1754 zu einem heftigen Richtungsstreit um das Erlaubte und das Gewünschte auf den Opernbühnen führen.
Der Buffonistenstreit
Bereits in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts gab es in der französischen Metropole eine erste Debatte um die Ausrichtung der zeitgemässen Oper. Sollte man nicht auch in Frankreich Tendenzen aufgreifen, welche in Italien die Tradition der Opera seria aufzuweichen und unterhaltende und gefällige Elemente in einer tragischen Geschichte einzuflechten verstanden? Die Geschichte kennt diese Debatte unter der Bezeichnung «La querelle des Anciens contre les Modernes». Es war ein Streit vor allem zwischen Anhängern des Komponisten Lully und jenen von Rameau, der in Italien Gusto bekommen hatte auf die neuen und frechen Manieren der dortigen Opernbühnen.
Bereits damals hatten diese Debatten zwischen der Académie royale und den Theatern einen hässlichen nationalistischen Unterton. Auslöser der «Querelle des bouffons» 1752 war die Aufführung von Pergolesis «La serva padrona» als Intermezzo in verschiedenen hochgehaltenen lyrischen Tragödien. Diesmal waren es nicht nur Musikexperten unter sich, es mischten auch die Philosophen aus dem Kreis der Enzyklopädisten in der Debatte mit: d’Alembert, Diderot, vor allem auch Rousseau mit Traktaten über Sinn und Zweck der Musik für die Natur des Menschen.
Hatten die Italiener mit ihren Buffo-Traditionen nicht den besseren Riecher, was der menschlichen Natur angemessen und zuträglich sei? War die französische Tragédie lyrique im Stil des Herrn von Lully nicht zur mumifizierten, ja versteinerten Kultform im Opernleben geworden, die vom Empfinden der Gegenwart mit ihrem Bedürfnis nach Natürlichkeit, Einfachheit und Gefühlsechtheit (les sentiments!) weit abgerückt war?
Die Debatte war ein hochkarätiger Auftakt zu einer Entwicklung, die auch in Frankreich zur Etablierung einer neuartigen Opéra comique führen sollte, vergleichbar mit dem deutschen Singspiel. Der Streit flammte in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts, kurz vor der Revolution, noch einmal auf, diesmal als sogenannter «Piccinistenstreit». Diesmal ging es um italienische Opernkultur, repräsentiert durch den Komponisten Niccolò Piccini, im Gegensatz zu jenen neuen Formen der «seriösen Oper», wie diese vom Opernreformator Christoph Willibald Gluck und dessen Anhängern verstanden wurde. Diese sollte, sehr zum Wohlgefallen der Pariser, europaweit weite Verbreitung finden.
Opernliebhaber sind halt hartnäckig, oft sogar unbelehrbar dickköpfig, und bleiben ihren Hörgewohnheiten so lange wie nur möglich treu. Halt das, was die Franzosen «entêté» nennen! Jedenfalls wurde in Frankreich im 18. Jahrhundert um die zu fördernde und zu rettende Opernkunst wie nirgends sonst auf der Welt gerungen.
Eine Arie aus «La serva padrona»
Die hier ausgesuchte Arie, eine unorthodox komponierte Da-capo-Arie, ist ein schönes Beispiel für die Kunst des 26-jährig verstorbenen Pergolesi. Was hätten wir von diesem wunderbaren Kirchen- und Bühnenmusiker noch alles zu erwarten gehabt! «A Serpina penserete – Ihr werdet noch einmal an Serpina denken!» Das zauberhafte Stück findet sich im zweiten Teil des Intermezzos.
Serpina tut so, als wolle sie einen anderen Mann heiraten, einen Capitan Tempesta – Hauptmann Wettersturm –, der für sie eine horrende Summe an Mitgift verlange. Zuerst spielt sie hier die Trauernde, die so tut, als würde sie zutiefst bedauern, ihren Herrn und Brotgeber so schlecht behandelt zu haben. Eines Tages jedoch, wenn sie nicht mehr da sei, würde er bedauernd einsehen müssen, was er an ihr verloren habe.
Sie bittet Uberto um Verzeihung, sie habe sich ungebührlich verhalten und sehe dies jetzt ein. Tränentücher braucht es in Mengen, doch das Herz Ubertos wird weich wie Butter. Der Mann kann nach einer solchen Bezirzung gar nicht anders, als ihre Hand zu ergreifen und nachzugeben. Thomas Mann würde sagen: Serpina habe sich ihren Uberto durch List und Charme «beigebogen». Ob daraus eines Tages noch ein glückliches Paar wird, bleibt sehr zweifelhaft.
Man hat später oft den Schluss dieses Intermezzos mit einem Liebesduett aus einer anderen Oper von Pergolesi («Il Flaminio», 1735) ersetzt. Die ursprüngliche Fassung lässt uns vermuten, dass Pergolesi und sein Librettist Gennaro Antonio Federico eher sagen wollten: Ehe hat mit Liebe wenig zu tun. Sie ist ein gesellschaftliches Arrangement, das unter seltsamsten Bedingungen, wenn wie hier auch unter vergnüglichsten Umständen, zustande kommt!
Wir hören die Arie in einer Produktion vom «Boston Early Music Festival». Die lebenskluge Serpina singt Amanda Forsythe.