Auf Israel dürfte in naher Zukunft einiges zukommen. Dies zumindest muss man aus den Erklärungen schliessen, die der bisherige – und nun wohl auch künftige – Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Dienstag früh nur wenige Stunden nach Schliessung der Wahllokale abgegeben hat. Bereits vor dieser Rede habe er mit den Führern der rechten Parlaments-Fraktionen beraten und man habe beschlossen, sofort mit der Bildung einer „breiten nationalen Regierung“ zu beginnen.
„Blau-Weiss“ bleibt schwach
Netanjahu bejubelt einen Wahlsieg, der zu dieser Stunde nur auf einer teilweisen Auszählung der abgegebenen Stimmen basiert. Diese allerdings lässt erkennen, dass es dem Führer des rechten „Likud“ und den ihm verbündeten kleineren Parteien offenbar gelungen ist, die grösste Stimmenzahl auf sich zu vereinen.
Es ist freilich auch klar, dass dies noch keine regierungsfähige Mehrheit ist: Das „rechte Lager“ mit Netanjahu und dem „Likud“ an der Spitze kommt am Tag nach der Wahl gerade eben auf 58 der hierfür erforderlichen 61 Sitze in der Knesset. 37 davon würde der „Likud“ stellen und wäre damit stärkste Fraktion – gefolgt von dem Mitte-Links-Bündnis „Blau-Weiss“ unter Benny Gantz, das nur 34 Mandate errang und ebenfalls auch mit seinen verbündeten Parteien nicht über die 61-Mandate-Grenze kommt.
Keine neue Lage
So gesehen ähnelt die Lage der nach den letzten beiden Wahlen im vergangenen Jahr: Zum dritten Mal kann keine Partei alleine eine Regierung bilden und keine hat – zumindest bisher – ausreichend Verbündete, um es wenigstens zu versuchen. Netanjahu aber ficht solches nicht an. Er jubelt über einen „grossen Sieg“ trotz aller Widrigkeiten und schwelgt in Eigenlob: Durch ihn und seine Politik sei Israel zu einer Supermacht geworden und er beabsichtige, seine bisherige Politik mit der geplanten „nationalen Regierung“ fortzusetzen. Etwa indem man grosse Teile der Jordansenke nördlich des Toten Meeres annektiere. Netanjahu nennt diese von israelischen Siedlungen durchsetzten Gebiete Teil der jüdischen Heimat und leitet daraus die Berechtigung für den geplanten Schritt ab. Ganz abgesehen davon, dass die Einverleibung weiterer arabischer Landstriche (nach den syrischen Golan-Höhen und Jerusalem) auch von Washington sanktioniert wird und Teil des „Jahrhundert-Deals“ von US-Präsident Trump ist.
Diese Tatsache, vor allem aber weil eine solche Annektion der „Zwei-Staaten-Lösung“ (mit einem Staat Palästina neben Israel) den Todesstoss versetzen würde, lehnen die arabischen und viele andere Staaten dies ab und könnten Israel dafür zu isolieren versuchen.
Ein solcher Staat ist Jordanien, das bereits seit 26 Jahren Frieden mit Israel hat, in letzter Zeit aber mit immer neuen Spannungen.
Kein Grund zur Beruhigung
Netanjahu scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil: Er „verrät“ seinen Anhängern in der Siegesrede, dass es ihm gelungen sei, unglaublich viele Kontakte zu Staatsführern in aller Welt aufzubauen, darunter auch arabischer und muslimischer Staaten. In der Tat hat er Kontakte mit dem Sudan aufgenommen, mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Qatar und Oman. Ein Teil davon hatte praktische Gründe (wie die Finanzhilfe Qatars für die Palästinenser im Gazastreifen), bei anderen spielt Netanjahus Aussenpolitik eine Rolle. Etwa gegenüber Saudi-Arabien, das als Verbündeter der USA und Feind des Iran gut in sein Konzept passt. Nur hat keines dieser Länder sich bisher positiv oder auch nur zurückhaltend gegenüber den Annektionsplänen geäussert. Nichts, womit „Bibi“ (wie Netanjahu in Israel genannt wird) „Staat machen“ könnte.
Die Siegesrede hielt Netanjahu wohlweislich vor eigenen Anhängern. Trotzdem kein Grund zur Beruhigung, dass die israelischen Wähler die Dinge realistischer sehen. Dann hätten sie anders abgestimmt – selbst wenn „Blau-Weiss“-Opposition ihnen nach dem Jahr der drei Wahlen wohl immer noch eine grosse Unbekannte ist. Aber die Vorfälle und Skandale haben sich in der Zeit doch so gehäuft, dass es schon verwunderlich ist, dass die Wahlbeteiligung sogar mit 71 Prozent den höchsten Stand seit 1999 erreicht hat: Netanjahus Politik gegenüber den Palästinensern wird selbst von liberalen israelischen Kreisen als rassistisch verurteilt, seine Kungelei mit Trump und anderen internationalen Politikern als Anbiederung abgetan und auch seine Anti-Iran-Politik nicht von allen unterstützt. Und schliesslich seine eigenen Affären: Seit Ende letzten Jahres ist er wegen Korruption angeklagt und der Prozess soll in knapp zwei Wochen beginnen.
Ein Ministerpräsident vor Gericht? Für viele kaum vorstellbar. Die Wahl beeinflusst hat das aber nicht.