(Mit Kurt Spillmann sprach Heiner Hug. Spillmann ist Konfliktforscher und emeritierter Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung der ETH Zürich.)
Selten gab in den USA eine so enthusiastische Aufbruchstimmung wie nach der Wahl vor Obama vor zwei Jahren. Jetzt herrscht Katzenjammer. Was ist in die Amerikaner gefahren?
Obama war unter dem Zeichen „Change“ gewählt worden. Er hatte einen glaubhaften Wechsel versprochen. Jetzt sind die Amerikanerinnen und Amerikaner enttäuscht, dass sich nichts in ihrem Alltag geändert hat. Das hat dazu geführt, dass Obama in der öffentlichen Meinung dramatisch anders bewertet wird als früher.
Im Irak ist der Kampf zwar gestoppt worden, aber es herrscht keine Stabilität. Afghanistan ist zu einem Alptraum geworden. Die ökonomische Krise ist nur für die Banker überwunden, aber nicht für den Mittelstand, schon gar nicht für die untere Schicht. Im Leben der amerikanischen Bevölkerung hat sich nichts positiv verändert. Diese Enttäuschung macht sich nun in einem grossen Ärger Luft.
Die Hatz gegen Obama trägt aus europäischer Sicht fast paranoide Züge. Ist Amerika paranoid geworden?
Das mag aus europäischer Sicht so scheinen. Es stehen hier grundverschiedene politische Überzeugungen einander gegenüber. Auf der einen Seite die Liberalen, die an die Fürsorge-Funktion des Staates glauben: an die Verantwortung des Staates, auch den Schwachen gegenüber. Auf der andern Seite stehen die Konservativen, die nichts Staatliches wollen: keine staatliche Einmischung ins private Leben, welcher Art auch immer. Die Konservativen wollen jetzt nicht einmal die allgemeine Krankenversicherung. Diese beiden Überzeugungen stehen sich so felsenfest, so ideologisch verhärtet gegenüber, dass man eine völlig Lähmung befürchten muss.
Da und dort scheint man im einst stolzen Amerika einen Hang zur Selbstzerstörung zu sehen. Teilen Sie diese Ansicht?
Das glaube ich nicht. Die Demokraten empfangen ja Obama mit dem Slogan „Democrats bring us forward“. Sie glauben, dass ihre Politik Amerika vorwärts bringt. Die Republikaner und die Tea-Party hingegen wollen wieder zu den ursprünglichen Werten zurück, die sie für überlegen halten. Die einen ziehen in diese Richtung, die andern in die andere.
Die Europäer verstehen Amerika immer weniger. Sie wollen ein besseres Leben, eine Sanierung der teils verrotteten Infrastruktur, Hilfe für die Mittelschicht – aber sie wollen keine Steuern zahlen.
Das ist ein altes amerikanisches Paradox. Die Liberalen, die Demokraten also, akzeptieren Steuern als notwendiges Übel, um die Leistungen des Staates beanspruchen zu können. Ein berühmter Bundesrichter hat vor hundert Jahren gesagt. I like to pay taxes, with them I buy civilisation“. Auf der andern Seite sagen die Tea-Party-Leute: Steuern sind Diebstahl an dem, was ich hart erarbeitet habe. Sarah Palin hat das wiederholt ausgesprochen. Das sind wieder zwei Positionen, die sich gegenseitig aufheben und lähmen.
Gibt man Obama die Schuld, weil die einst stolze Weltmacht Nummer eins weltweit stark an wirtschaftlichem aber auch politischem Einfluss verloren hat? Ist man böse auf ihn, weil die Welt die USA nicht mehr als grosses Vorbild sieht?
Die Aussenpolitik spielt in diesem Wahlkampf fast keine Rolle. Zwar sind die Kriege im Bewusstsein nach wie vor präsent, aber es ist fast einzig die Wirtschaftskrise, die eine Rolle spielt. Die Republikaner versuchen da zu punkten. Sie greifen zum Beispiel in Fernseh-Spots Kandidaten an, die sich nicht gegen China ausgesprochen haben. „Der unterstützt China“, heisst es in den Spots, „dabei hat China deinen Job weggenommen“. Dass sich die wirtschaftliche Dynamik nach Asien verlagert hat, hat zur Folge, dass das isolationistische oder zumindest das protektionistische Denken in den USA wieder zunimmt.
Das Land war bewundertes Vorbild für die Welt. Jetzt geht es dem Land nicht mehr gut und grundlegende, einschneidende Reformen wären nötig. Fürchten sich die Amerikaner vor einem Wandel?
Das sicher nicht. Die Amerikaner sind eigentlich eher zukunftsorientiert. Sie wollen etwas Neues aufbauen, sie sind bereit, das Alte zu liquidieren, zu vergessen, neu anzufangen. Angst vor der Zukunft haben sie nicht. Doch wenn die wirtschaftliche Situation hoffnungslos scheint ist das natürlich ein furchtbarer Feind des amerikanischen Lebenswillens. Und das ist von der Krise sehr, sehr stark verstärkt worden.
Wie erklären Sie sich den grenzenlosen, hysterischen Hass, den ein Teil der amerikanischen Gesellschaft auf Obama ausschüttet.
Obama war natürlich eine historische Sensation: ein Schwarzer aus den armen Vierteln von Chicago kommt ins Weisse Haus. Schon das hat viele eingefleischte Rassisten in den Südstaaten vor den Kopf gestossen. So bezeichnet ein Kommentator von Fox News Obama stets als Imam Hussein Obama. Oder er wird als versteckter Muslim charakterisiert, obwohl er das nun wirklich nicht ist. Man operiert mit Lügen, gibt ihm die Schuld und die Verantwortung für Dinge, die ganz anderswo liegen, zum Beispiel bei Präsident Bush. Die Republikaner sagen, wir haben genug gehört, Bush sei für dies oder das verantwortlich. Aber der richtige Verantwortliche sei Obama. Die Republikaner drehen den Spiess einfach um.
Die Amerikaner gelten als gebildetes, verantwortungsvolles Volk. Wie ist es möglich, dass sich ein grosser Teil dieses Volkes sich von einem Fernsehmoderator Glenn Beck, einer Dreckschleuder übelster Sorte oder einer Sarah Palin aufpeitschen lässt.
Es ist nicht so, dass die Amerikaner durchwegs gebildet und interessiert an der Welt sind. Das gilt vielleicht für die Leute, die in den Grossstädten an der Ost- und Westküste und in den Gebieten der grossen Seen leben. Das gilt auch für Akademiker. Aber das ländliche Amerika ist sehr lokal-patriotisch und nicht interessiert an der Welt. So liegt es auf der Hand, dass diese Kreise, dieses sehr urtümelnde Amerikanertum der Tea-Party und der konservativsten Republikaner unterstützen und goutieren.
Das wird auch verstärkt, durch die Schamlosigkeit, mit der TV-Spots die Wahrheit verdrehen und Verantwortungen zuschieben, die überhaupt nicht existieren. Eine riesige Rolle spielt die sehr einseitige Informationspolitik von Fox News, die zum Murdoch-Imperium gehören. Das Wall Street Journal gehört ja auch dazu, und viele Leute aus den besitzenden Kreisen orientieren sich am Wall Street Journal.
Es gibt in den USA noch drei, vier gute Zeitungen. Mehr nicht. Trägt der Zustand der mehrheitlich miserablen US-Medien dazu bei, dass diese hysterische Klima im Land herrscht.
Überall in der Welt haben die grossen, traditionellen Zeitungen ihre führenden Rollen verloren. Jeder kann sich heute einen Fernseh- oder Radiosender auslesen, der seine persönlichen Vorurteile bestätigt. Oder auf dem Internet findet er alles, auch besonders Ausgefallenes, auch Rechtsaussen-Stehendes, auch Linksaussen-Stehendes. Heute weiss keiner mehr, was gilt.
Die Schlinge um Obama scheint sich zuzuziehen. Kann er da noch herauskommen?
Im Augenblick hat er die Kontrolle über das politische Leben verloren. Man rechnet damit, dass das Repräsentantenhaus republikanisch wird, dass aber der Senat wahrscheinlich demokratisch bleibt. Das führt zu einer gegenseitigen Lähmung. Die Politik der nächsten zwei Jahre wird aus Grabenkämpfen bestehen, er wird kein grosser Wurf gelingen können.
Ist Amerika nicht reif für Präsidenten wie Obama?
Es scheint, dass der aussergewöhnliche Fall des jungen, sehr intelligenten Mannes die Amerikaner überfordert. Man muss aber gleichzeitig auch sagen, er selber und seine Kommunikationsberater haben sich zu wenig um die Kommunikation mit dem Volk gekümmert. Obama hat nur wenige grosse, wirklich bedeutungsvolle Reden an die eigene Nation gehalten. Seine Kommunikationsberater haben sich zu wenig bemüht, seine Botschaft rüberzubringen.