Die Entwicklung ist schon lang im Gange. Ihren Anfang nahm sie bei einfachen Schutz- und Kontrollvorrichtungen, etwa beim Ventil des Dampfkochtopfs oder dem Sicherheitsgurt im Auto. Ihre Weiterführung findet sie heute in den zahlreichen elektronischen Sensoren und Displays, die uns über den Zustand der uns umgebenden Gerätewelt dauernd auf dem Laufenden halten, immer mehr nun aber auch über den Zustand des Nutzers selbst. Es gibt Apps, die mich über meinen aktuellen physischen Zustand informieren; Apps, die eine „Mood“-Analyse durchführen, um festzustellen, in welcher Stimmung ich mich gerade befinde (ich muss das selber gar nicht mehr wissen); Apps, die mich daran hindern, unüberlegte oder beleidigende Mails zu versenden; Apps, die mich zu „vernünftigem“ Ess- und Trinkverhalten anstiften; Apps, die mich zu Fair-Trade-Einkäufen anleiten; Apps, die aus meinen Daten ein psychosoziales Profil erstellen, anhand dessen ich dann der Situation entsprechend auftreten kann: in der Prüfung, im Bewerbungsgespräch, in der Vertragsverhandlung, in der politischen Debatte usw.
Vorläufiger Höhepunkt in dieser Akkumulation von Lebenshilfen stellt das Projekt „GPS für die Seele“ von Arianne Huffington dar. Wie sie selbst in der „HuffPost“ vor drei Jahren nicht gerade seelenvoll titelte: „Eine Killer-App für besseres Leben.“ Sie konnte sich kaum einkriegen in der Erwartung dieser App: „Wenn Sie auf Ihren Phone-Sensor drücken, wird ‚GPS für die Seele’ diverse Messzahlen über Ihr Stressniveau liefern, inklusive Pulsrate und deren Änderung. Die App wird Sie anschliessend mit dem verbinden, was Sie benötigen, sei dies nun Musik, ein Gedicht, Atemübungen, ein Foto von geliebten Personen und Orten; oder eine Kombination von allen.“
Der technische Paternalismus ist der Zusammenfluss dreier Strömungen aktuellen Verhaltens-Managements: Gamifizierung (das Verhalten als Spiel betrachten), Nudging (sich zu einem Verhalten schubsen lassen) und Self-Quantification (sein Verhalten „datizifieren“). Wenn es sich bei vielen Apps auch letztlich um technischen Schnickschnack handeln mag, so sollte man sich der Mainstreams im Hintergrund bewusst sein. Selbstverständlich können uns solche Applikationen künstlicher Intelligenz in der Beurteilung einer Lage, für bestimmte insuläre Aufgabenbereiche, behilflich sein. Nicht mehr und nicht weniger. Sie sind künstliche Intelligenz auf Autistenstufe. Der grosse Irrtum besteht darin, dass man sich durch Apps dazu verführen lässt, seelische und moralische Probleme als rein technische Fragen zu behandeln. Als wäre die Seele selbst ein Apparat, der sich durch die richtige App aufmöbeln lässt.
In ihrer Technik-Vernarrtheit ist Frau Huffington gut amerikanisch. „Es gibt nichts, was nicht von der Maschine produziert werden könnte,“ sagte schon Samuel Colt, dessen Schiesseisen man ja als den Prototypen der Killer-Apps ansehen kann. Etwas anderes erscheint bedenklicher, nämlich der Orgelton der Erlösung. Im „Cybergarten Eden lauert eine Schlange,“ schreibt Frau Huttington. Es sei dies unsere ständige – die 24/7 – Verbundenheit mit dem Internet. Gewiss, das ist ein Risiko. Aber wir bannen es nicht mit mehr Technologie. Technologie ist vielmehr das Problem, als dessen Lösung sie sich ausgibt. Geradezu wie der Gipfel der Paradoxie mutet es an, wenn uns einschlägige Unternehmen Apps anbieten, die uns von unserer Abhängigkeit von den Apps befreien sollen.
Wir debattieren heute viel über religiösen Fundamentalismus. Es gibt auch technologischen Fundamentalismus, die fromme Blindheit, dass all die schönen Apps es schon richten und uns auf den richtigen Kurs führen werden. Religion und Technologie: nichts ist fataler als die moderne Kombination beider. Gemessen daran war das Mittelalter eine goldene Zeit.