Journalist, Essayist, Bestseller-Autor mit rassistisch-rechtsextremen Thesen – und jetzt Präsidentschaftskandidat? Eric Zemmour versetzt Marine Le Pen und die konservativen Republikaner in Panik. (Teil 1)
Er hat etwas von Mephisto, andere denken, wenn von Eric Zemmour die Rede ist, an Luzifer, der angetreten ist, um der politischen Korrektheit in Frankreich das Fürchten zu lehren.
Dieser 63-Jährige mit dem geplagten, ja gepeinigten Aussehen, dessen Körpersprache den Eindruck erweckt, als trage er die gesamte Last des angeblichen moralischen und zivilisatorischen Niedergangs Frankreichs auf seinen schmalen Schultern, ist seit Ende der Sommerpause dabei, mit zusehends aggressiveren Tönen die politische Landschaft Frankreichs aufzumischen, sämtliche politische Formationen vor sich herzutreiben und die Themen dieses französischen Vorwahlkampfes um das Präsidentenamt zu diktieren.
Vom Journalisten zum Politiker
Jahrzehnte lang war Eric Zemmour, der heute noch viel Wert auf seinen Presseausweis mit der Nummer 57111 legt und ihn gerne herumzeigt, nicht mehr als einer unter vielen konservativen Journalisten des Landes.
Nach seinem Studium der Politologie an der Pariser Hochschule Science Po und einem anschliessenden Jahrzehnt als Werbetexter und bei verschiedensten Presseorganen, hatte Zemmour 1996 beim 200 Jahre alten Schlachtschiff der französischen Rechtskonservativen, bei der Tageszeitung «Le Figaro» angeheuert und dort oder in der Wochenzeitung «Figaro Magazine» bis vor wenigen Monaten seine wöchentlichen und zusehends radikaleren Kolumnen geschrieben.
Zemmours wirklicher Aufstieg in den Medien und sein wachsender Einfluss in der öffentlichen Diskussion haben dann vor gut zehn Jahren ihren Anfang genommen. Im Radio hatte er über fünf Jahre lang bei RTL einen festen Sendeplatz, ebenso in der populären Samstagabendsendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens France2 «On n'est pas couché», bevor er mit seinen schon damals immer fremdenfeindlicheren und rassistischeren Äusserungen für beide Sender nicht mehr tragbar wurde.
Diese Jahre allerdings hatten für Zemmour gereicht, um sich als wortgewandter Diskussionsteilnehmer, Polemiker und Provokateur einen Namen zu machen und einen festen Platz zu finden in der gesellschaftspolitischen Debatte des Landes, in einem politischen Klima, welches in Frankreich nun seit Jahren, langsam aber sicher, immer weiter nach rechts und nach ganz rechts driftet.
Der französische Selbstmord
2014 landete Zemmour dann mit seinem vierten Buch «Le suicide français» («Der französische Selbstmord») einen ganz aussergewöhnlichen Verkaufserfolg.
Rund 500’000 Mal ging dieses Machwerk über die Ladentische der Buchhandlungen. Auf rund 500 Seiten beklagt der Autor dort in krassesten Tönen die Destabilisierung und den Untergang Frankreichs und des weissen Mannes schlechthin, die angebliche Islamisierung des Landes, die Masseneinwanderung, die Feminisierung der Gesellschaft, die blauäugige Fremdenfreundlichkeit und den Selbsthass der Franzosen, nicht ohne zuvor mit dem «Mai 68» abgerechnet zu haben – in Zemmours Augen der Grund für den Verfall aller grundlegenden Werte und Institutionen Frankreichs, die da wären: Vaterland, Familie, Arbeit, Staat und Schule.
In gewisser Weise waren dieses Buch und seine Rezeption im Land der Grundstein für Zemmours weiteren Weg in Richtung Politik und der nun möglichen Präsidentschaftskandidatur.
Haussender rührt die Werbetrommel
Bevor Eric Zemmour diesen Herbst seine Thesen noch einmal aufgewärmt hat, in einem weiteren Buch, das sich in wenigen Wochen auch schon 200’000 Mal verkauft hat und den Titel trägt «La France n’a pas dit son dernier mot», in etwa: «Frankreich hat noch nicht ausgespielt», hatte der Provokateur seit 2019 beim Info-TV CNEWS erneut eine tägliche Bühne für seinen ultrarechten Agitationsfeldzug gefunden.
Seit der erzreaktionäre Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré 2017 diesen Sender aufgekauft und die alte Mannschaft rausgeschmissen hat, dürfen sich Zemmour und seine Freunde von ganz weit rechts, die überwiegend von «Le Figaro» und der rechtsextremen Wochenzeitung «Valeurs Actuelles» kommen, dort nach Herzenslust austoben. Zumal sich die Einschaltziffern von CNEWS seit Zemmours Wiedererscheinen auf dem Bildschirm in diesen zwei Jahren verdreifacht haben. Wie bei der Tageszeitung «Le Figaro», im Besitz des Rüstungsgiganten Dassault, wo Zemmour seit seinem Rückzug weiter unter Vertrag steht, hat er sich auch bei CNEWS als Journalist nur auf Zeit beurlauben lassen, um seinen Quasi-Präsidentschaftswahlkampf aufzunehmen.
Der Vielschreiber und Vielredner hat jetzt seit mehreren Wochen zwar keinen eigenen Sendeplatz mehr, dafür aber rührt sein Haussender CNEWS seit Wochen für ihn die Werbetrommel und berichtet täglich stundenlang über den Noch-Nicht-Kandidaten.
Kampfansage an Le Pen
Der hat seinen inoffiziellen Wahlkampf im Herbst mit einem Paukenschlag begonnen, indem er Marine Le Pen und ihre Partei «Rassemblement National» unverhohlen aufs Korn nahm und sich seitdem anschickt, beide noch weiter rechts zu überholen.
Die Tochter des Parteigründers Jean Marie Le Pen sei allzu hoffähig geworden, habe sich dem Establishment angepasst, sei schlicht zu brav und lasse inzwischen jede Radikalität vermissen, argumentiert Zemmour.
Zudem bestätigt er der Vorsitzenden des «Rassemblement National» mangelnde intellektuelle Fähigkeiten und wiederholt bei jeder Gelegenheit, Marine Le Pen habe im letzten Jahrzehnt hinreichend unter Beweis gestellt, dass sie nie in der Lage sein werde, Präsidentin Frankreichs zu werden. Mit anderen, nicht direkt ausgesprochenen Worten: «Ich, Eric Zemmour, würde das besser machen.»
In der Tat könnte der Rechtsausleger und Provokateur, sofern er denn wirklich antritt, zumindest etwas schaffen, woran er schon seit gut einem Jahrzehnt denkt und was Marine Le Pen nie gelungen ist: nicht unmittelbar Präsident zu werden, nein, aber immerhin einen Brückenschlag zustande zu bringen zwischen dem ganz rechten Rand der Konservativen und den Rechtsextremen, unter Vorherrschaft der Ultrarechten. Mit anderen Worten: die Partei der Bürgerlich- Konservativen, «Les Républicains», endgülig auseinanderbrechen zu lassen. Eine Konstellation, an der auch Jean Marie Le Pens Enkelin, die ehemalige Abgeordnete, Marion Maréchal Le Pen, die sich gerne an der Seite Zemmours zeigt, oder der ultrarechte Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Beziers, Robert Ménard, schon seit geraumer Zeit arbeiten.
Denn es gibt unter den früheren Wählern von Sarkozy und der konservativen Partei «Les Républicains» und den frustrierten Fillon-Wählern der Präsidentschaftswahl 2017 in der Tat eine ganze Reihe von traditionellen Rechten, die für Zemmour stimmen könnten und ihn zum Teil heute schon, ganz offen oder verdeckt, unterstützen.
Wahlkampfteam
Seit September hat der inoffizielle Wahlkämpfer Zemmour eine Maschinerie in Bewegung gesetzt, die sich sehen lassen kann und deutlich macht, dass der polternde Polemiker in Frankreich über ein durchaus breites Netzwerk verfügt. Web-, Facebook-, Instagram oder Twitterseiten, die ihn rühmen und fördern, sind wie Pilze aus dem Boden geschossen und werden von höchst kompetenten, zumeist jungen Anhängern Zemmours professionell beliefert und verwaltet.
Neben Überläufern vom ganz rechten Rand der Konservativen und Zugängen aus dem Milieu der Gelbwesten tummeln sich, laut Untersuchungen mehrerer Tageszeitungen, in den Unterstützungskomitees für Zemmour und in seinem engeren Team, das seinen Wahlkampf vorbereitet, eine Vielzahl von alterprobten Rechtsradikalen und Vertretern der identitären, ja faschistischen Szene Frankreichs. Was man hierzulande die «Fachosphère» nennt – ein Dunstkreis aus militanten, rechtsextremen, erzkatholischen, royalistischen und ultranationalistischen Gruppierungen – sei weitgehend von Le Pen zu Zemmour übergelaufen, so die Erkenntnis mehrerer Experten.
Umfragen
Mit all dem und fast aus dem Nichts erzielte der Noch-nicht-Kandidat in den Meinungsumfragen der letzten Wochen beachtliche Ergebnisse. Zwischenzeitlich lag er mit Marine Le Pen bei ca. 17% gleichauf oder hatte sie gar knapp überholt. Bliebe es dabei, würde das bedeuten: Beide zusammen kommen ungefähr auf das Ergebnis von Marine Le Pen in der Stichwahl gegen Emmanuel Macron 2017. Das waren damals 33%.
Die Frage bleibt derzeit also noch völlig offen, wer von den beiden mit jeweils rund 17% in die Stichwahl gegen den bislang noch nicht erklärten Kandidaten, Präsident Macron – ihm werden derzeit rund 25% vorausgesagt –, kommen würde. Und ausschliessen kann man auch nicht, dass es weder Le Pen noch Zemmour sein werden, sollte der Kandidat oder die Kandidatin der traditionellen Rechten (derzeit bei ca. 13%) eine Art Aufholjagd schaffen und am Ende des 1. Wahlgangs einen Prozentpunkt mehr erzielen als die beiden rechtsextremen Kandidaten.
Vergangene Woche ist Eric Zemmour bei weiteren Meinungsumfragen allerdings nur noch bei 12–13% gelandet. Schon das Ende eines Hypes oder wissen die Meinungsforschungsinstitute einfach nicht so recht, woran sie mit dem Newcomer sind?
Der französische Trump?
Die relative Plötzlichkeit von Zemmours Aufstieg in der politischen Arena Frankreichs und die Tatsache, dass er ein echtes Medienphänomen ist, brachte so manchen Beobachter und Titelmacher dazu, in ihm eine Art französischen Trump zu sehen.
Der Vergleich mag sich aufdrängen, weil sich auch Trumps Popularität zu grossen Teilen aus seiner TV-Präsenz speiste, bevor er auf Dauerwerbesendung in den sozialen Netzwerken schaltete. Zemmour selbst sieht, wie er es jüngst in einem Interview ausgedrückt hat, durchaus Parallelen zu Trumps Aufstieg vor mehr als fünf Jahren, etwa in der Allianz der so genannten kleinen Leute, der Globalisierungsverlierer und der «patriotischen Bürger» oder eben in der Immigration als Wahlkampfthema.
Wie einst Trump arbeitet auch Zemmour, was er selbst natürlich nicht so sehen würde, seit Jahren geradezu skrupellos mit Fake News, sei es in seinen Büchern, in Interviews und vor allem in den sozialen Netzwerken.
Und ähnlich dem ehemaligen US-Präsidenten ist auch Zemmour, wie bereits gesehen, bestens in der Medienwelt seines Landes vernetzt.
Damit sind die Parallelen aber auch zu Ende. Der grosse Unterschied zwischen beiden: Zemmour ist, ganz im Gegensatz zu Trump, ein hochgebildeter Mann der Kultur und des, wenn auch muffigen und reaktionären Geistes, ein Sprössling der konservativen, grossbürgerlich- intellektuellen Zirkel der französischen Hauptstadt mit all ihren Netzwerken.
Zemmour als Wahlkämpfer auf dem Land, im so genannten tiefen Frankreich, auf den Märkten, von Angesicht zu Angesicht mit hemdsärmligen Gestalten oder aber in Frankreichs Vorstädten, man kann es sich nur schwer vorstellen.
Teil 2: Eric Zemmour: Der «Grosse Austausch» und vieles mehr