Das Ausserrhoder Dorf Trogen ist sehenswert nicht nur wegen seiner prächtigen Steinpaläste am Landsgemeindeplatz, sondern auch der Spuren wegen, welche die Künstlerin Sophie Taeuber hier hinterlassen hat. Ihnen geht ein Rundweg nach, und eine Ausstellung verfolgt die Verbindungen von textilem Schaffen und abstrakter Kunst. Ergänzt wird dies alles durch eine weitere Ausstellung in Appenzell.
Jetzt ist ja Sommer – oder vielmehr: Es sollte Sommer werden. Zeit, auszufliegen, in die Ferne, aber besser noch in die Nähe. Zum Beispiel nach Appenzell Ausserrhoden, nach Trogen, wo schon der alte Bahnhof deutliche Hinweise gibt auf die Künstlerin, um die es hier gehen wird: Sophie Taeuber, geboren 1889 in Davos, aufgewachsen zwischen 1894 und 1908 in Trogen, seit 1922 verheiratet mit dem Bildhauer, Dichter und Maler Hans Arp, Ende 1942 mit ihm vor den Nazis in die Schweiz geflüchtet, und 1943 im Gartenhaus des Künstlerkollegen Max Bill im Schlaf erstickt an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung durch die unsachgemässe Handhabung eines Ofens. Eine äusserst vielseitige Künstlerin: Kunsthandwerkerin, Pädagogin, Tänzerin, Architektin, Pionierin der abstrakten Kunst.
Spazieren mit Sophie
Im Wartsaal des Bahnhof stossen wir auf eine hübsche kleine Broschüre: «Trogen um 1900 mit Sophie». Und auf eine von Gabriela Falkner und Christine Gsell gestaltete Bilderwand. Hier im Bahnhof beginnt «Spazieren mit Sophie», ein 14 Stationen umfassender und über QR-Codes mit reichen Zusatzinformationen versehener Rundgang, der über Texte und Bilder nicht nur Sophie Taeuber selbst lebendig werden lässt, sondern auch ihr Umfeld und ihre Zeit.
In Davos ist der lungenkranke Vater gestorben, die Mutter zieht jetzt zurück in die Heimat, in die Nähe der angesehenen Kantonsschule und der von Sophies Onkel Hans und Tante Mathilde Zellweger-Krüsi geführten Zellweger’schen Kinderkuranstalt. Die Mutter ist eine erstaunliche, kulturell ungemein aufgeschlossene und aktive Frau. In ihrem Haushalt wird nicht nur gestickt und gestrickt, sondern auch musiziert und getanzt. Man spricht Französisch und Englisch, diskutiert über Lektüren und Kunstfragen, und eine begabte Fotografin ist diese Sophie Taeuber-Krüsi auch. Das zeigt die Bilderwand im Bahnhof.
Trogen verdankt viel dem Leinwandgewerbe, das ab etwa 1570 zunehmend die Vieh- und Milchwirtschaft ergänzt. Unter Führung der Familie Zellweger wird der Ort zum bedeutenden Zentrum des Leinwandhandels, er bringt den Zellwegers Reichtum. Wovon die Kirche und die steinernen Paläste am Landsgemeindeplatz zeugen. Zu ihnen gehört das Gemeindehaus, in dem sich auch der Festsaal der Kantonsbibliothek befindet.
Dort kann noch bis zum 28. Juli eine schöne, von den Kuratorinnen Medea Hoch und Gabriele Lutz erarbeitete Ausstellung besichtigt werden, zu der auch eine reich bebilderte Schrift erschienen ist. «Sophie Taeuber: Textilreformerin» zeigt, dass sie, «ausgehend von ihrer textilen Praxis unmittelbarer zu geometrischen Kompositionen gefunden hat wie die meisten Künstlerkollegen», erklärt Gabriele Lutz. Gerade das Kleine, Feine der textilen Kunst zwingt zur Vereinfachung, zur Konzentration. Oder, wie Sophie Taeuber selber 1922 ihren Schülerinnen an der Gewerbeschule Zürich rät: «Unterscheiden Sie stets das Wesentliche vom Unwesentlichen. Der Gegenstand und sein Zweck sind die Hauptsache. Geben Sie diesem Gegenstand eine einfache und zweckmässige Form. Das Ornament darf nicht aufgeklebt erscheinen, sondern muss organisch in der Fläche oder aus dem Gegenstand wachsen.»
Ein faszinierendes kleines Stück Stickerei
Eindrucksvolle Schwarz-Weiss-Fotografien zeigen in der Ausstellung Stickerinnen bei der Arbeit und führen ein in eine Welt, in der die Arbeit am Webstuhl und mit dem Stickrahmen mitsamt langen Arbeitstagen und Kinderarbeit zum Alltag gehörte. In einer Ecke steht eine von Sophie Taeuber entworfene farbige Kissenplatte mit der ihr eigenen Symbolsprache, in den Vitrinen liegen Entwürfe und Stickereien.
Doch unseren Blick fesselt rasch etwas noch viel Feineres, beinahe Unscheinbares: Ein schmales Stück sogenannter Nadelspitze, die, wie Medea Hoch und Gabriele Lutz erklären, «mit der Nähnadel und einem Faden ausgeführt wird und gewöhnlich eine dichtere Textur aufweist als die Klöppelspitze». Wir erkennen zart gearbeitete Schleifen und Kreise, ausserdem, geschickt untergebracht, Sophie Henriette Taeubers Kürzel «sht». Und, worauf die Kantonsbibliothekarin Heidi Eisenhut aufmerksam macht, ein Haus, «das aussieht wie ein Appenzellerhaus».
Trogen wird an die Welt angedockt
Sophie Taeuber hat Grosses vor. In ihr Tagebuch schreibt die ältere Schwester Erika, Sophie habe «bereits im Alter von 12 Jahren den Entschluss gefasst, keinesfalls zu den Mädchen zu gehören, die zu Hause sitzen und strickend u. häkelnd auf einen Mann warten». Ihre Vorbilder und Anregung findet sie in jener zugleich dörflichen wie weltoffenen Welt, in die sie mit dem Umzug nach Trogen geraten ist.
Während wir uns mit Heidi Eisenhut auf den Weg machen, erzählt sie von der Zeit, in der die junge Sophie zusammen mit ihren älteren Geschwistern Paul, Erika und Hans aufwächst. Bevor sie 1908, nach dem Tod der Mutter, wegzieht nach St. Gallen, später nach München und schliesslich nach Zürich, wo sie eine tragende Figur der Dada-Bewegung wird und 1915 Hans Arp kennenlernt.
Es ist eine Epoche der künstlerischen Blüte und des gesellschaftlichen Optimismus – bevor der Erste Weltkrieg auf alles einen tiefen Schatten wirft. «Für den Aufbruch steht auch der Bahnhof selbst», sagt Heidi Eisenhut. «Trogen bekommt um die Jahrhundertwende nicht nur fliessendes Wasser und Elektrizität, sondern auch eine elektrische Bahn nach St. Gallen, zu dieser Zeit ein Zentrum der Stickereiindustrie. Trogen ist jetzt an die Welt angedockt.»
In der Nähe des Landsgemeindeplatzes befinden sich die beiden Häuser, welche die Taeubers bewohnt haben. Das zweite wurde nach den Plänen der Mutter gebaut: Eine Pension für die Schüler der international ausgerichteten Kantonsschule, von den Töchtern des Hauses spöttisch «bébés» genannt.
Übrigens: Am Landsgemeindeplatz findet sich auch das Hotel «Krone», in das nach langem Siechtum durch das Engagement Einheimischer wieder Leben eingekehrt ist. Unten im Bistro findet sich ein Raum, der Sophie Taeuber gewidmet ist. Und: Im Kunstmuseum Appenzell ist bis zum 6. Oktober die Ausstellung «Allianzen» zu sehen, in der Werke von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Max Bill einander gegenübergestellt werden. Denn die Kunstszene, in die Sophie Taeuber spätestens in München vorgedrungen war, zeichnete sich durch ausgeprägte freundschaftliche Verbindungen aus.
Hinweise:
Sophie Taeuber. Textilreformerin
Festsaal der Kantonsbibliothek am Landsgemeindeplatz Trogen, bis 28. Juli, jeweils von Freitag bis Sonntag zwischen 15 und 18 Uhr. Dazu ist im Verlag Scheidegger & Spiess ein Ausstellungskatalog erschienen.
Allianzen. Arp/Taeuber-Arp/Bill, Kunstmuseum Appenzell, bis 6.Oktober
Ausserdem: In Trogen kann man das ganze Jahr über «Warten mit Sophie» im Wartsaal des Bahnhofs und «Spazieren mit Sophie» entlang von 14 mit QR-Codes versehenen Stationen. Weitere Infos unter der Website sophie-taeuber-arp.ch