Die Konferenz wird am 22. Januar in Montreux eröffnet, weil den Veranstaltern entgangen war, dass in Genf zu diesem Datum wegen einer Uhrenmesse alle Hotels ausgebucht sind. Am 24. Januar wird der gesamte Tross in das Genfer „Palais des Nations“, den Zweitsitz der UNO, umziehen. Syriens Präsident Baschar Al-Assad tritt nicht persönlich auf. Er entsendet seinen Aussenminister Walid Muallem.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat an 31 Staaten oder Organisationen Einladungen verschickt. Auf der Liste fehlen allerdings zwei wichtige Akteure: Israel und Iran. Gegen die Teilnahme Israels opponierte eine Reihe arabischer Staaten. Die israelische Regierung selber legt keinen Wert auf einen Sitz am Konferenztisch. Sie hat andere Einflussmittel und möchte vermeiden, dass die widerrechtliche Annexion der syrischen Golanhöhen aufs Tapet gelangt.
Iran - direkte Kriegspartei
Die Iraner hingegen sind an einer international anerkannten Rolle bei der Beilegung des Syrienkonflikts sehr interessiert. Doch die USA, Israel, Saudi-Arabien und Katar wollen der Regierung in Teheran kein Mitspracherecht zugestehen, obwohl die Staatenmehrheit und Ban Ki-Moon die Einbindung Irans in einen syrischen Friedensprozess für unerlässlich halten. Es ist kein Geheimnis, dass iranische Militärs und die von Teheran finanzierten libanesischen Hisbollah Schulter an Schulter mit den syrischen Regierungstruppen kämpfen. Iran ist damit eine direkte Kriegspartei.
Die iranische Führung gibt sich gelassen. „Die Iraner sagten uns, dass sie nach Genf kommen würden, wenn sie wie die anderen Konferenzteilnehmer eine Einladung ohne Vorbedingungen erhalten“, sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow, „wenn dies nicht geschieht, dann gehe aber für sie die Welt nicht unter.“
Exilpolitiker ohne Einfluss
Die Teilnehmerliste zusammengestellt hat der von der UNO und der Arabischen Liga zum gemeinsamen Vermittler ernannte algerische Diplomat Lakhdar Brahimi nach Beratungen mit den USA, Russland und einigen Nahoststaaten. Eingeladen sind natürlich die syrische Regierung und „glaubhafte Vertreter der Opposition“, wie Brahimi sich auszudrücken pflegt. Die syrische Opposition ist allerdings weiterhin zerstritten. Man stellt sich auch die Frage, ob die in aller Welt zerstreuten Exilpolitiker in ihrem Herkunftsland noch irgendwelchen Einfluss haben.
Die von desertierten Offizieren gegründete „Freie Syrische Armee“ befindet sich in Auflösung. Die gefährlichsten Gegner der Regierungstruppen sind heute die von Saudi-Arabien und Katar unterstützten Dschihadisten, die einen heiligen Krieg für die Errichtung eines strengen Gottesstaats sunnitischer Ausrichtung führen. Verhandlungen lehnen diese über die Grenzen eingesickerten ausländischen Freischärler strikt ab. Dies ist aus ihrer Sicht verständlich, denn die Syrienkonferenz hat sich folgendes Ziel gesetzt: Zuerst ein Waffenstillstand, dann Bildung einer breiten Übergangsregierung, die freie Wahlen organisiert, an denen sich alle demokratischen Kräfte des Landes beteiligen können.
Viele Eingeladene
Die Liste der an den Genfer See eingeladenen Staaten ist ein Sammelsurium. An der Spitze stehen die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats: die USA, Russland, Frankreich, Grossbritannien und China. Es folgen die Repräsentanten der Vereinten Nationen, der Arabischen Liga, der Europäischen Union und der Organisation Islamischer Zusammenarbeit. 26 Staaten sind einzeln eingeladen, darunter die Schweiz als Gastgeber, die arabischen Nachbarländer Syriens, die Türkei, Ägypten, Deutschland, Indien, Japan, Brasilien und Südafrika. Bei letzteren Ländern könnte man sagen: Sie haben zwar nichts mit dem Syrienkonflikt zu tun, mischen aber als regionale Mächte in der Weltpolitik mit. Nach welchen Kriterien wurden aber Dänemark, Norwegen, Italien, Spanien, Indonesien, Kanada, Algerien, Marokko und Oman auserwählt?
Im Vorfeld der Syrienkonferenz haben sich die USA und Russland auf drei Ziele geeinigt: 1. Ende der Gewalt, 2. Bewahrung der territorialen Einheit und der Strukturen (darunter der Armee) des Landes, 3. Eliminierung der radikalen islamistischen Gruppen. Mit Punkt 2 ziehen die USA ihre Lehren aus dem im Irak begangenen Fehler, die Armee Saddam Husseins aufzulösen. Die Folgen waren Unsicherheit, Willkür und Massenarbeitslosigkeit.
Ein Ehrenposten für Assad?
Hinsichtlich der Zukunft Assads sind sich die Amerikaner und die Russen laut diplomatischen Quellen etwas näher gekommen. Offiziell vertritt Moskau zwar weiterhin die Meinung, dass Assad der rechtmässige, gewählte Präsident Syriens sei. Dieser legalistische Standpunkt verhindert aber eine Befriedung des Landes. Während mehr als vier Jahrzehnten hat der durch Heiraten mit der steinreichen Unternehmerfamilie Makhlouf verbandelte Assad-Clan nie echte Wahlen zugelassen. Jetzt hält sich das Assad-Makhlouf-Regime durch russische Waffenlieferungen und Kredite an der Macht. Es hat aber nicht mehr die Kraft, das gesamte Land zu beherrschen.
Einige westliche Staaten und die syrische Opposition fordern den Sturz Assads als Vorbedingung für eine politische Lösung. Diese Haltung scheint derzeit unrealistisch. Es gibt aber Anzeichen, wonach Washington und Moskau auf den Kompromiss hinsteuern, Assad mit einem Ehrenposten ohne Befugnisse und ohne Befehlsgewalt über die Armee abzufinden.
40 Prozent der Wohnungen zerstört
Auch unter solchen Umständen wäre die Bildung einer Übergangsregierung und die Abhaltung demokratischer Wahlen eine herkulische Aufgabe. Die seit 1963 alleinherrschende Baath-Partei hat nie ein korrektes Register der Wahlberechtigten erstellt. Auch nach einem Friedensabkommen würde es nicht so bald zu Wahlen kommen. Wie soll die neue Verwaltung Wählerlisten erstellen, wenn über sechs Millionen Syrer im eigenen Land herumirren, mehr als zwei Millionen ins Ausland flohen und 30 bis 40 Prozent der Wohnungen in den Städten zerstört sind?
Mangels eines Gesamtkonzepts wird das Genfer Treffen kaum greifbare Ergebnissen zeitigen, sondern bloss der Beginn langwieriger Verhandlungen sein. Sowohl die USA wie Russland werden versuchen, ihnen ergebene Personen in die geplante Übergangsregierung zu katapultieren. Die Amerikaner haben Erfahrung damit, in den USA lebende oder mit dem US-Establishment vernetzte Exilpolitiker in fremden Ländern an die Macht zu hieven. Beispiele sind Karzai in Afghanistan und Saakaschwili in Georgien. Ihr strategischer Gegenspieler Wladimir Putin wird aber diesmal auf der Hut sein.