Während es die Deutschen nicht einmal zustande bringen, im flachen Rheintal einen Schienenstrang zu bauen, graben die Schweizer drei Tunnels durch die Alpen – mit einer Gesamtlänge von 107 Kilometern.
Jetzt ist „unser Jahrhundertwerk“, wie Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga es nennt, fertig gebaut. Am Freitag wurde es eingeweiht. 23 Milliarden Franken hat es gekostet. Auch für die reiche Schweiz kein Pappenstiel.
In anderen Ländern würde die Vollendung eines solch kolossalen Vorhabens mit riesigem Pomp gefeiert. Die Frecce tricolori würden über das Land pfeifen. Ausländische Staatsoberhäupter würden geladen. Minister würden in Kutschen vorfahren. Volksfeste und Ballone würden steigen, Musikkapellen würden aufspielen, ein Tross ausländischer Journalisten würde geladen.
Und in der Schweiz? Die Bundespräsidentin, in den Tessiner Farben gekleidet, durchschnitt ein rotes Band. Einige Reden dann, und das war’s.
Adolf Ogi, der frühere Bundesrat, der „Vater“ des Bauwerks, wurde nicht geladen. Er sah sich zuhause im Fernsehen die Eröffnung an. Auch der frühere Bundesrat Moritz Leuenberger, ein feuriger Verteidiger der Neat, war nicht dabei.
Da wird ein gigantisches Jahrhundertwerk vollendet – und kaum einer merkt es. Als vor genau vierzig Jahren der Gotthard-Strassentunnel eröffnet wurde, war die ganze Schweiz aus dem Häuschen. Heute ist niemand aus dem Häuschen.
Natürlich ist Corona daran schuld, dass die Einweihung etwas mickerig ausfiel und ziemlich traurig wirkte.
Doch auch ohne Corona: Die Fertigstellung des Ceneri-Tunnels, der letzten Lücke dieses grandiosen Bauwerks, schlug in der Schweiz keine grossen Wellen.
Nach den Feiern zur Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels vor vier Jahren hatte man die Neat abgehakt. Die meisten nahmen die jetzige Eröffnung der 15 Kilometer langen Ceneri-Röhren kaum oder nur so en passant zur Kenntnis. Vielleicht leiden einige nach der Gotthard-Feier an einer Überdosis Neat.
Wir sind ein bescheidenes Volk, und das ist gut so. Wir hassen aufgeplusterte Völker und Politiker. So sind wir über Jahrhunderte hinweg gut gefahren. Gerne stellen wir das Licht unter den Scheffel. Doch vielleicht wäre nach der Fertigstellung der Neat etwas weniger Bescheidenheit angezeigt gewesen.
Sind sich die Schweizerinnen und Schweizer eigentlich bewusst, welch phantastisches Bauwerk sie gebaut haben? Trotz Corona: Hätte man die Einweihung des Ceneri-Tunnels, die Krönung des 23-Milliarden-Bauwerks, nicht etwas festlicher und freudiger feiern können?