Die Schweiz stimmte mehrfach Volksinitiativen zu, die mit zwingendem Völkerrecht, Menschenrechten oder internationalen Abkommen in Konflikt stehen. Die Reihe derartiger Volksentscheide könnte in nächster Zukunft fortgesetzt werden. Der Journal-21-Autor Jörg Thalmann befasst sich seit zwei Jahrzehnten mit dieser staatspolitischen Problematik. Den Stand seiner Überlegungen hat er in einem Memorandum zusammengefasst, das wir einer interessierten Leserschaft hier in voller Länge zugänglich machen.
Thalmann geht aus von der schweizerischen Verfassungsgeschichte. Sie ist geprägt von mehrfachen Anpassungen an jeweils neue Gegebenheiten. Seit 1945 hat sich das politische Umfeld der Schweiz tiefgreifend verändert. Die Welt hat sich globalisiert, Europa ist auf dem Weg der Integration. Alle Staaten sind durch zahlreiche internationale Institutionen und Abkommen miteinander vernetzt. Absolute Souveränität ist nicht mehr möglich. Das Konzept des Nationalstaats ist in Wandlung begriffen – ein konfliktträchtiger Prozess, der starke Widerstände weckt.
In dieser Situation schlägt der Autor eine Verfassungsänderung vor, die für Fälle von problematischen Volksinitiativen ein neues Entscheidungsprozedere einführt: Initiativen, die mit Grundrechten der Schweizerischen Verfassung, mit Menschenrechten, zwingendem Völkerrecht oder internationalen Abkommen in Konflikt geraten, kommen zusammen mit einem obligatorischen Gegenvorschlag zur Abstimmung. Dieser enthält das Anliegen der Initiative, soweit dies ohne Verletzung übergeordneten Rechts möglich ist. Das Volk erhält so eine Alternative und kann in Kenntnis der Sachverhalte und Folgewirkungen auswählen.
Das Memorandum buchstabiert diesen Mechanismus für die verschiedenen denkbaren Fälle durch und zeigt, wo noch weitere Klärungen notwendig sind. Zudem weist es auf problematische Entwicklungen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin und erklärt deren Ursachen.