Die meisten Menschen sind für den Krieg nicht geeignet: Sie gehen zu schnell kaputt. Das gilt sicher auch für amerikanische Soldaten. Ob die GI`s sich im Krieg besser oder schlechter aufführen als Soldaten anderer Nationen, ist schwer zu beurteilen. Da gibt es wohl kaum Statistiken.
Sicher ist aber, dass eben die Behaupung, Mord und Brutalisierung im Krieg seien etwas sehr Unamerikanisches, selbst sehr amerikanisch ist. Sie deutet auf einen naiven Glauben daran hin, dass Menschen amerikanischer Herkunft und Sozialisation in der Regel nur ein vorbildliches ethisches Verhalten im Krieg an den Tag legen können.
Missionarische Überzeugung
Als im vergangenen Januar ein Video publik wurde, in dem zu sehen ist, wie US-Soldaten auf die Leichen ihrer getöteten Feinde urinieren, angeblich Taliban, erklärte General Jim Amos, Kommandant des Marine Corps: „Das auf dem Video gezeigte Verhalten ist gänzlich unvereinbar mit den hohen Verhaltens-Standards und dem Krieger-Ethos, welches wir im Laufe unserer Geschichte bewiesen haben.“
Was da ein wenig zum Vorschein kommt, ist die missionarischen Überzeugung, die USA seien dazu berufen, Ordnung zu schaffen auf dieser Welt, und sie hätten dabei den lieben Gott oder die moralische Rechtfertigung auf ihrer Seite. Es gelte, die Bösen zu bestrafen und den Guten zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Beitrag der USA zum Sturz des Hitler-Faschismus gilt vielen Amerikanern bis heute als Beweis für die Richtigkeit dieses Glaubens.
Zum Begreifen keine Zeit
Die Sache hat aber eine unschöne Kehrseite: Das Sendungsbewusstsein kann blind machen für die Tatsache, dass die Welt nicht schwarz-weiss ist. Sie ist kein Video Game, in dem die Bösen und die Guten nur allzu leicht zu unterscheiden sind.
„Wir haben nicht genug gewusst und wir wissen immer noch zu wenig… Als wir (nach Afghanistan, Red.) kamen, waren wir miserabel informiert und wir hatten nicht das nötige Handwerkszeug, uns zu informieren. Wir sprachen nicht die Landessprache und gaben uns keine Mühe, sie zu lernen….. Wir schickten die Leute für sehr kurze Zeiträume nach Afghanistan, sie sollten in kurzer Zeit komplexe Aufgaben erledigen, egal ob sie dazu geeignet und gewillt waren….Und genauso haben wir es im Irak gemacht. Man kann nicht etwas begreifen, wenn man keine Zeit dazu hat und sich nicht bemüht.“
Kriege unter falschen Voraussetzungen
Der das sagt, heisst Stanley McChrystal. Der Mann muss wissen, wovon er redet, er war bis vor wenigen Monaten Oberkommandierender der Koalitionstruppen in Afghanistan. Und er sagte es nicht beim Bier auf einem Barhocker irgendwo an einem Highway im Mittleren Westen, sondern er sagte es am vergangenen 6. Okober vor dem Council of Foreign Relations, einem der hochkarätigsten politischen Beratungs-Gremien der Regierung in Washington.
Hunderttausende amerikanische Soldaten – und gerade die untersten Dienstgrade – wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder unwissend und mit falschen oder ungenügenden Informationen ausgestattet in Kriege geschickt, die nicht zu gewinnen waren. Und vielleicht waren sie zum Teil deshalb nicht zu gewinnen: wegen eben der falschen Informationen und der Propaganda-Lügen, mit denen die GI’s aufs Schlachtfeld geschickt wurden. Es waren Kriege, die unter falschen Vorausetzungen begonnen wurden.
Der dreckigste Job
Die jungen Soldaten fanden sich in Vietnam, im Irak, in Afghanistan in Situationen wieder, denen sie psychisch nicht gewachsen waren. Der Grund war und ist meist ihr untaugliches ideologisches "Sturm-Gepäck": eine simplistische Darstellung des Konfliktes als ein Kampf zwischen bad guys und good guys nach dem Modell schlechter Far West Movies.
So hat man sie nach Afghanistan geschickt mit dem Märchen, sie hätten die Bevölkerung vor den Terroristen zu schützen und dafür sei das Volk ihnen dankbar. Verschwiegen hat man ihnen, dass der Einsatz in einem Counterinsurgency Conflict der dreckigste Job ist, den ein Soldat leisten kann. Er kämpft gegen Feinde, die er nicht sehen und nicht erkennen kann. Jeder Bauarbeiter auf der Strasse, jede Marktfrau, jeder 12-jährige Knabe kann ein Verbündeter der Aufständischen sein. Jede junge Frau, die in Kandahar ein Essen kocht, kann es für die Taliban kochen, die sich zu später Stunde in ihrer Wohnung versammeln. Und die Taliban sind ihre Brüder, Cousins, ihr Vater und ihr Onkel.
Gnadenlose Repression
Entsprechend gnadenlos ist die Repression. Ich war immer wieder erstaunt darüber, dass das Pentagon zu Beginn des Irak-Krieges Videos verbreiten liess, auf denen zu sehen war, wie amerikanische Patrouillen nachts die Dörfer durchkämmten, die Bewohner aus den Betten holten, den Männern Kapuzen über den Kopf zogen und sie - unter dem Geschrei der Frauen und Kinder – abführten. Die US-Generäle mussten schon sehr von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt sein, um solches Filmmaterial freizugeben.
Spitzel werden bezahlt, damit sie verraten, wo die Aufständischen zu finden sind. Bestätigt sich ein Verdacht, kommen Drohnen zum Einsatz, die angeblich „chirurgisch präzise“ die Bösen von den Guten trennen können. Drohnen, die irgendwo im amerikanischen Westen am Computer gesteuert werden. Auch das ist eine Art von „Krieger-Ethos“, welches kaum geeignet ist, amerikanische Soldaten in den Augen eines paschtunischen Stämmeskriegers sympathisch zu machen.
"Das Volk ist der Vietkong, und der Vietkong ist das Volk"
„Hier gibt es keinen Unterschied zwischen dem Volk und dem Vietkong. Der Vietkong ist das Volk“, hiess es in einem militärischen Rapport in Vietnam. Die Flächenbombardierungen und der Einsatz von Napalm entsprachen dieser Logik. Der Widerspruch zwischen der einfachen schwarz-weissen Welt, die man ihnen versprach, und der komplizierten Welt, die sie erfahren und erleiden müssen: Das ist der Widerspruch, mit dem viele junge amerikanische Soldaten nicht fertig werden. Die Folge ist ein fataler Rückzug ins Innere der Stützpunkte.
Rückzug ist dabei physisch und psychisch gleichermassen zu verstehen. Sie verbringen ihre Freizeit in den Fitness-Räumen, beim Basketballspielen, beim Biertrinken vor dem Fernseher in den schwer gesicherten Festungen. Sie sind frustriert von der schockierenden Realität, dass der Feind das Volk sein kann und das Volk der Feind. Viele GI’s resignieren und hoffen, das Ende ihres Einsatzes lebend und ohne schwere Verwundungen zu erreichen. Es gibt andere, die ausflippen, die ihre Frustrationen und ihre traumatischen Erfahrungen nicht mehr ertragen. Dann kann es zu Ausbrüchen von bestialischer Aggressivität kommen. So wie in der Nacht auf den vergangenen Sonntag, als - möglicherweise nach einem Saufgelage – ein amerikanischer Soldat nachts in Häuser einbrach und 16 Dorfbewohner tötete, darunter Frauen und Kinder.
Die Folgen der Feindbilder
„Wir sind alle mitschuldig an der Entmenschlichung des Feindes.“ - „We ‘re all guilty of dehumanizing the enemy.” So lautet der Titel eines Artikels, der Mitte Januar in der Washington Post erschien. Darin sagt Sebastian Junger, ein junger Amerikaner, der ein Jahr in Afghanistan im Einsatz war, seine Meinung zu dem Video, in dem GI’s auf Leichen pinkeln.
„Als der Krieg gegen den Terror begann, waren diese Marines vielleicht 9 oder 10 Jahre alt. Als Kinder hörten sie die Erwachsenen – und die politischen Leader - in der unmenschlichsten Art über unsere Feinde reden. Das Internet und die Nachrichten-Medien sind voll von Leuten, die unsere Feinde als Tiere betrachten, für die Gesetz und Moral kaum in Betracht kommen…. Sie wurden gefoltert und werden ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit gefangen gehalten. Denn ihre Aussagen wurden durch Folter erreicht und haben vor keinem ordentlichen Gericht Bestand….In den vergangen zehn Jahren haben amerikanische Kinder diese Widersprüche absorbiert und jetzt sind sie Soldaten und kämpfen in unseren Kriegen. Das Video überrascht mich nicht, es macht mich nur unglaublich traurig.“