Zu den üblichen Vorwürfen an die Adresse der Qualitätspresse – zunehmende Boulevardisierung, Kommerzialisierung, Skandalisierung, Emotion statt Information, ein Hang zum Undifferenzierten, eine Bereitschaft, für Parteien, für Interessengruppen zu lobbyieren – gesellen sich weitere happige Befunde, die in der Behauptung kulminieren, es sei eine „Erosion der journalistischen Berufskultur“ zu beobachten.
Da muss Einspruch erhoben werden. Auch wenn es ja leider stimmt, dass die Sparmassnahmen bei grossen Zeitungen einen schmerzlich empfundenen Substanzverlust bewirken, auch wenn es wahr sein mag, dass das Seichte, Unbedarfte, dass Infotainment, sex and crime, das von der Lesequote bestimmte Herumreiten auf skandalträchtigen Themen immer mehr Platz beanspruchen, ist doch das Gegenteil genau so wahr und sichtbar. Es finden sich täglich in unseren Medien die ausführlichen und aufwändigen, mit Information gesättigten Recherchen, die gegen den Strich allgemeinen Wohlgefallens gebürsteten Reportagen, die unangenehmen, unpopulären Meinungsartikel.
Dass sich die Leser verändern, dass sie sich neue Gewohnheiten zulegen, dass sie online gehen, statt mit Papier zu rascheln, kann die Presse als Spiegel der Gesellschaft nicht ignorieren – sie wird sich anpassen müssen. Aber eine Anpassung ohne Widerspruch, ein Journalismus ohne Eigensinn ist gar nicht denkbar. Dass weiss jeder vernünftige Chefredaktor. Noch sieht es nicht danach aus, dass die „journalistische Berufskultur“ erodieren, also sich selber zerstören würde.