Politisch ist die EU, jedenfalls bis jetzt, keine Weltmacht, wirtschaftlich aber schon. Sie gehört weltweit, und damit auch im Grossraum Asien-Pazifik (AP) in die wirtschaftliche Champions League. Wie kürzlich an dieser Stelle in meinen Strategic News aus dem AP gezeigt, bilden lediglich die USA und China die politische AP Champions League; wirtschaftlich spielt die EU ebenfalls in dieser Königsklasse.
Grosse Bedeutung für Europa
Die Zahlen sprechen für sich. Die EU ist hinter den USA Chinas zweiter Handelspartner, die chinesischen Investitionen in der EU steigen im Rekordtempo, und umgekehrt hat sich China bekanntlich als Produktionswerkstätte der übrigen Welt etabliert, was ganz besonders für europäische Firmen gilt.
Doch auch für zahlreiche andere Länder aus dem AP ist die EU insgesamt der grösste oder doch einer der grössten Wirtschaftspartner. Dabei täuscht das statistische Bild, das nach wie vor primär die Zahlen einzelner Nationalstaaten spiegelt. So wird beispielsweise in Australien heute routinemässig von «China unserem grössten Wirtschaftspartner» gesprochen, derweil dies, mit Abstand, weiterhin Europa ist, wenn alle einzelnen EU-Länder zusammengezählt werden. Dies ist legitim, da die EU einen Binnenmarkt darstellt, und kann ebenso legitim auf das gesamte in einer Freihandelszone vereinte Europa ausgedehnt werden, das damit also auch die Schweiz einschliesst.
Umso wichtiger ist es für Europa und die Schweiz, die wirtschaftlichen Einigungsbestrebungen im AP genau zu verfolgen, zumal die globale Wirtschaftsliberalisierung, primär via die Welthandelsorganisation WTO, festgefahren bleibt und die Entwicklung bilateral und immer stärker regional verläuft.
Asiatisch-pazifische Kooperationsstrukturen
Zwei geplante Freihandelszonen stehen sich im AP gegenüber: die rein asiatische RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) und die transpazifisch-asiatische TTP (Trans-Pazific Strategic Economic Partnership). Beide sind in einer ersten Aufbauhase begriffen, stellen aber zweifelsohne die Zukunft dar. Hier werden die wirtschaftlich und politisch entscheidenden Beschlüsse gefasst, die nicht nur das Wohl und im Weh im AP, sondern globale Entwicklungen beeinflussen werden.
Zunächst zur in Europa praktisch unbekannten TTP: Es handelt sich im Moment noch um ein kleines Konstrukt kleinerer, aber sehr exportorientierter Staaten aus Asien (Singapur, Brunei – beide Länder sind durch eine Währungsunion verbunden), dem Pazifik (Neuseeland) und Lateinamerika (Chile). Seit geraumer Zeit verhandeln indessen die USA, Kanada, Australien, Vietnam und neuestens auch Japan, Mexiko und ein paar ASEAN-Länder über einen Beitritt zu diesem Freihandelsabkommen, das neben den klassischen Bereichen der Handelsliberalisierung auch das geistige Eigentum, das öffentliche Beschaffungswesen und die wirtschaftliche Schiedsgerichtsbarkeit beschlägt.
Ganz grob zusammengefasst, wird der TTP von seinen Befürwortern als ideales Gefäss zur Dynamisierung der Wirtschaftsbeziehungen in dieser Zukunftsregion, von seinen Gegnern aber als ein primär gegen China gerichtetes trojanisches Pferd im AP bezeichnet. Tatsächlich ist es weder das eine noch das andere, wohl aber könnte man sich auf mittlere Frist ein Zusammenwachsen mit dem gegenwärtigen Rivalen RCEP vorstellen.
Big Player RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership)
Damit nun zur für Asien zentralen Struktur, der RCEP, welche die zehn Staaten der ASEAN (Indonesien, die Philippinen, Thailand, Malaysia, Singapur, Vietnam, Myanmar, Laos, Kambodscha und Brunei) plus deren sechs engste asiatisch-pazifische Wirtschaftspartner (China, Japan, Indien, Korea, Australien und Neuseeland) umfassen soll. Ausgehend von der ASEAN, die ihrerseits indessen noch ziemlich weit von einem internen Binnenmarkt entfernt ist, sollen die bestehenden bilateralen Freihandelsabkommen der ASEAN auf der einen Seite mit jeweils einem der sechs Partner auf der anderen Seite mittels des Geniestreiches RCEP in eine einheitliche Freihandelszone, die mehr als nur das ist, vereinigt werden. Damit entstünde einer der drei grössten Wirtschaftsblöcke der Welt mit ungeahntem Entwicklungspotential.
Um es kulinarisch auszudrücken, wie das von den Beteiligten oft getan wird: Aus dem bestehenden uneinheitlichen «Asian noodle bowl» von Wirtschaftsabkommen soll ein einheitlicher Zopf geflochten werden. Zweifelsohne Zukunftsmusik, vor welcher wir hier in Europa aber nur auf eigene Gefahr die Ohren verschliessen können. Ein Wirtschaftsblock dieser Grösse wird nämlich seine eigenen internen Produktions- und Wertschöpfungsketten entwickeln.
Zukunftsmusik im AP
Parallel zur wirtschaftlichen Seite innerhalb des RCEP werden auch gewisse politische und panasiatische Ambitionen (unter der Bezeichnung ASEAN plus 6) vorangetrieben. Dies wiederum wird allerdings durch eine zusätzliche politische, ja teilweise sicherheitspolitische geprägte Variante weiter kompliziert und unübersichtlich gemacht: Die 16 RCEP-Länder treffen sich nämlich seit kurzem mit den USA und Russland einmal jährlich im Rahmen des East Asia Summit, in grossen Abständen auch in Form eines Treffens der 18 Verteidigungsminister. Unübersichtlich sind diese Strukturen heute und in der gegenwärtigen Form. Denn auch hier ist eine Vereinfachung, etwa in eine asiatisch-pazifische Konferenz (APC) für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, schon gar nicht in verschiedenen Regionen der Welt, die so unterschiedliche Geographie, Geschichte und Entwicklung aufweisen wie Asien und Europa. Trotzdem sind ernstzunehmende Experten der Meinung, dass im AP Strukturen im Entstehen begriffen sind, wie dies in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa der Fall war mit der EU, dem Europarat und ganz speziell dem Helsinkiprozess, der bislang Unüberbrückbares näher zusammen brachte.
Zum Schluss wieder zurück zur globalen Wirtschaftsgeographie. Die Projekte TTP und RCEP haben zweifelsohne dazu beigetragen, dass wieder vermehrt, seit kurzem ganz konkret, von einem umfassenden Wirtschaftsabkommen EU-Nordamerika (NAFTA: USA, Kanada, Mexiko) die Rede ist. Das allein wäre eine Dimension auf Augenhöhe mit den zwei dargestellten asiatisch-pazifischen Strukturen. Dem müsste sich auch die Schweiz anschliessen. Helvetisches Zaudern wie in der Vergangenheit gegenüber der EU und den USA anlässlich des Anlaufes für ein bilaterales Freihandelsabkommen wären dann endgültig out.
Von Daniel Woker erschien im Journal 21 am 5. Mai der Beitrag Strategic News aus dem Grossraum Asien-Pazifik.