Die letzten Tage waren die besten auf der kleinen toskanischen Insel Giglio. Hunderte Touristen kamen mit der Fähre. Alle wollten zum letzten Mal die Costa Concordia sehen.Tausende Selfies wurden geschossen – mit dem Schiffswrack im Hintergrund.
Bootsvermieter verdienten so viel Geld wie kaum zuvor. Viele Touristen wollten mit kleinen Nussschalen nahe an das Unglücksschiff heran – und sie fotografierten, was das Zeug hält.
Die Hotels „tutto esaurito“ – alles ausgebucht. Nicht nur in Giglio, auch in Porto Santo Stefano, dem Städtchen auf dem Festland, von wo aus die Fähren die Touristen auf die Insel bringen.
Die Restaurants waren überfüllt. Ein Kellner sagte zynisch: „Wieso bringt man dieses Schiff weg, es ist doch eine Touristenattraktion. Italien ist in der Krise, endlich verdienen wir Geld – und jetzt entfernt man uns diese Einnahmequelle“.
Eine letzte Umarmung
Auch einige Überlebende sind in Giglio eingetroffen. Sie wollen den Abtransport mit eigenen Augen sehen. So hoffen sie, ein schreckliches Kapitel in ihrem Leben abschliessen zu können.
Auch Elio Vincenzi war gekommen. Seine Frau Maria Grazia war bei der Katastrophe ertrunken. „Ich bin hergekommen“, sagt er, „um sie ein letztes Mal zu umarmen“.
Der Bürgermeister von Giglio weiss, „unsere Insel wird immer mit diesem Desaster in Verbindung gebracht“. 32 Menschen waren am 13. Januar 2012 ums Leben gekommen, als der Schiffskoloss vor Giglio einen Felsen im Meer rammte. Ein Toter befindet sich wohl noch immer im Schiffsrumpf.
30 Monate lag der 30 Tonnen schwere und fast 300 Meter lange Gigant vor der Insel.
Er sass schon im Rettungsboot und stieg wieder aus
Am Samstag war das Schiff weiter aus dem Wasser gehoben worden. Plötzlich wurde der Schriftzug „Costa Concordia“ sichtbar. Auch die Todesbrücke „Nummer 4“ tauchte jetzt aus dem Wasser auf. Hier versammelten sich die Passagiere und warteten auf die Rettung. Einige liessen Frauen und Kindern den Vortritt zum Einstieg in die Rettungsboote – und ertranken dann.
Emotional ist das Schicksal des 30-jährigen apulischen Musikers Giuseppe di Girolamo. Er sass schon im Rettungsboot, stieg wieder aus und überliess den Platz zwei Kindern. „Sie haben es nötiger als ich“, waren seine letzten Worte, „ich werde ein anderes Boot finden“. Er fand keines.
Girolamo verschwand. Seine Angehörigen hängten Plakate mit seinem Foto auf der Insel auf. „Wer weiss etwas?“ Er gehörte zu den letzten fünf Leichen, die im Schiffsrumpf gefunden wurden.
Im unteren Teil des Rumpfes wurden am Wochenende Kleider, Koffer, Schuhe, Matratzen, Bilder und Andenken entdeckt. Zweieinhalb Jahre lang lagen sie im Wasser.
Vier Kilometer pro Stunde
Am Dienstag wurde der „Blaue Peter“ auf der Kommandobrücke gehisst, die blaue Flagge, die bedeutet: Das Schiff will innerhalb der nächsten 24 Stunden auslaufen. Und das tat es.
Am Mittwoch früh setzte sich der Konvoi in Bewegung. Eigentlich hätte er schon am Montag starten sollen. Kleine technische Arbeiten machten den Aufschub nötig.
Im Schneckentempo von etwa vier Kilometern pro Stunde und einem Tiefgang von 17 Metern gleitet jetzt die Costa Richtung Genua – gezogen von zwei Schleppern namens Blizzard und Resolve Earl. In fünf Tagen soll sie im Hafen von Genua eintreffen. Dort wird sie in zweijähriger Arbeit verschrottet.
An Bord der Costa befinden sich während der Überfahrt zwölf Personen. 14 Schiffe begleiten das Wrack, auch ein Helikopter und ein Boot der Küstenwache ist im Einsatz.
„Ein pharaonisches Spektakel“
Italienische Zeitungen nennen die Bergung und den Abtransport des Schiffs „das grösste Schauspiel der Ingenieurkunst“. Die Zeitung „La Nazione“ spricht gar von einem „pharaonischen Spektakel“.
30 Stahlkästen sind rund um den Rumpf angebracht. Sie sind mit Luft vollgepumpt und bewahren so das Wrack vor dem Sinken.
Der Konvoi fährt am ersten Tag südwestlich Richtung Korsika. Dann wird er eine scharfe Rechtskurve einlegen; anschliessend geht‘s Richtung Norden. Rechts lässt man die Inseln Montecristo, Pianosa, Elba und Capraia liegen. Der dritte, vierte und fünfte Tag werden die gefährlichsten sein. Dann tritt das Schiff ins offene tyrrhenische Meer, in den oberen Teil des Mare Ligure. Dort wären Rettungsaktionen kaum mehr möglich. „Vor den letzten 48 Stunden fürchte ich mich am meisten“, sagt Nick Sloane, der Chef und Architekt der Bergungsaktion. „Eine absolute Garantie, dass alles gut geht, kann ich nicht geben“.
Besseres Wetter
Wenig Aufmerksamkeit schenkte Italien am Wochenende einer Intervention von Ségolène Royale. Sie, die französische Umweltministerin, Ex-Präsidentschaftskandidatin und frühere Lebensgefährtin von Staatspräsident Hollande, wusste sich medienwirksam in Szene zu setzen. Da das Schiff an der korsischen Küste vorbeifährt, verlangte sie eine schriftliche Bestätigung der italienischen Regierung, dass der Treibstoff ganz aus den Behältern der Costa gepumpt worden sei. „Als ob wir nicht auf solche Dinge achteten“, erwiderte Italiens Umweltminister. Er telefonierte mit Madame Royal und versuchte sie zu beruhigen.
Nach einigen Gewittern und stürmischen Tagen hat sich das Wetter beruhigt. „Wir erwarten ein günstiges Wetter-Fenster bis Sonntag“, sagte der Chef-Meteorologe auf der Insel. Hoher Wellengang wäre das letzte, was die Costa Concordia jetzt brauchen könnte. Wird das Schiff unruhig, besteht die Gefahr, dass die Luftbehälter, die den Rumpf tragen, wegbrechen.
13‘000 Kubikmeter Zement
Ist das Schiff einmal weg, kehrt auf Giglio noch keineswegs der Alltag ein. Rund um die Schiffsleiche waren riesige Betonbauten errichtet worden. 400 Spezialisten, unter ihnen 190 Froschmänner, hatten 21 gewaltige Eisenpfähle in den Meeresgrund gerammt. Sechs Unterwasserplattformen, die bis zu tausend Tonnen schwer sind, wurden aufgebaut. 13‘000 Kubikmeter Zement wurden verarbeitet.
Das umgekippte Schiff war im letzten September aufgerichtet und auf eine Art riesigen Unterwassertisch aus Eisen und Beton gehoben worden. All diese Konstruktionen müssen jetzt abgebaut werden. Das wird anderthalb Jahre dauern. Die Froschmänner arbeiten bis in eine Tiefe von 50 Metern.
Schon gibt es Stimmen, die die Betonbauten als Denkmal für die Katastrophe erhalten möchten. Sie seien zudem ein geeigneter Schlupfwinkel für Fische – und damit ein Paradies für Hobby-Taucher. An den Eisenpfählen würden sich zudem Muschelkolonien ansiedeln.
Doch daraus wird nichts. „Alles muss weg“, sagt der Bürgermeister von Giglio. Dann, wenn alles abgebaut ist, versucht man die Costa Concordia zu vergessen, oder zumindest zu verdrängen. Sie war einst das weltweite grösste Kreuzfahrtschiff. Auf ihr fanden rauschende Feste und Maskenbälle statt, so wie in Fellinis 1983 gedrehtem Film „E la nave va“.
Ein Fest auf Ischia
Dem Kapitän dieses Traumschiffs, Francesco Schettino, wird jetzt in Livorno der Prozess gemacht. Er hatte sich offenbar mit Frauen vergnügt, als sein Schiff auf den Fels auflief. Und vor allem hatte er als einer der ersten das gekippte Wrack verlassen und niemandem geholfen.
Während die Costa Concordia endlich den Unglücksort verlässt und die Erinnerungen an die Toten und all das Leid neu auflebt, vergnügt sich Schettino auf Ischia. Er lacht, ist braungebrannt. Die Tageszeitung der Insel „Il Golfo“ veröffentlichte Fotos von einer rauschenden Party.