„Ladies and gentlemen, she’s floating“. Mit diesen Worten wandte sich am vergangenen Montag Nick Sloane an die Journalisten. Sloane, ein 53-jähriger in Südafrika geborener Brite, leitet die Bergungsaktion.
Dreissig Meter legte der 50‘000 Tonnen schwere und 290,2 Meter lange Koloss am Montag zurück. Doch die eigentliche Reise soll am Montag beginnen, vielleicht schon am Samstag.
Zwei Schlepper werden das Wrack nach Genua ziehen, begleitet von Dutzenden kleineren Schiffen, zwei Flugzeugen und einem Helikopter. 4‘880 Menschen konnte der schwimmende Mammut einst aufnehmen.
Prozession im Mittelmeer
Die Römer Zeitung „La Repubblica“ nennt die letzte Reise des einst stolzen Kreuzfahrtschiffes einen „Leichenzug“. Langsam, mit einer Geschwindigkeit von nicht einmal vier Kilometern pro Stunde, soll sich die Flotte durch das tyrrhenische Meer nach Norden vorkämpfen: eine Prozession im Mittelmeer.
Im Bauch des Schiffs befindet sich wohl noch immer einer der 32 Toten, die das Unglück am 13. Januar 2012 gefordert hat. Der 33-jährige Inder Russel Rebello, ein Angestellter der Costa Concordia, liegt irgendwo im Meer – oder eben im Bauch des Schiffes. Er hatte nach dem Unglück Passagieren geholfen, in Rettungsboote zu steigen. Damals sah man ihn zum letzten Mal.
Der Kapitän – wenig einsichtig
Im Gegensatz zu Russel Rebello hat der Kapitän, Francesco Schettino, niemandem geholfen. Er verliess als einer der ersten das Schiff. Ihm wird jetzt in der toskanischen Stadt Grosseto in erster Instanz der Prozess gemacht. Er ist wenig einsichtig.
Schettino ist verantwortlich dafür, dass sein Schiff zu nahe an der Insel Giglio vorbeifuhr, auf einen Felsen auflief und kippte.
Zwanzig Monate lag dann die Costa quer direkt vor dem Hafen von Giglio und dem Hotel Demos. Im September des letzten Jahres war sie in einer 19-stündigen Operation aufgerichtet worden.
„Alles verläuft wie geschmiert“
Jetzt wurden an ihre Aussenseite Stahlbehälter angebracht, die mit Luft vollgepumpt werden. So konnte der Koloss am Montag um zwei Meter gehoben werden. In diesen Tagen werden weitere Luftboxen angebracht, die das Schiff insgesamt um zwölf Meter aufrichten werden. Erst dann ist es bereit, für die Reise nach Genua.
„Bisher verlief alles wie geschmiert“, sagte Nick Sloane. Die Gefahr besteht, dass der Bauch des Schiffs beschädigt ist. Dann würde entweder Wasser in den Rumpf fliessen – und umgekehrt: im Innern des Schiffs befindet sich noch immer Treibstoff und viel verfaultes, verrottetes und toxisches Material, das ins Meer gelangen könnte.
Rost, aber keine Risse
Tests mit Robotern und Unterwasserkameras zeigten bisher, dass keine Beschädigungen vorliegen. Obwohl Teile des Rumpfes rostig sind, wurden keine Risse festgestellt.
Eine Gefahr besteht darin, dass sich die angebrachten Luftboxen auf der Fahrt nach Norden lösen. Dann könnte die Schiffsleiche absinken. Die Folge wäre eine Meeresverschmutzung grösseren Ausmasses.
Die Gefahr hoher Wellen ist in dieser Jahreszeit im tyrrhenischen Meer eher gering. Endlich hat auch in der Toskana der Sommer begonnen. Laut Angaben der Bergungsmannschaft stellen Wellen, die nicht höher als 2,6 Meter sind, kein Risiko dar. In den letzten 20 Jahren wurde in diesem Gebiet im Sommer kein solch hoher Wellengang registriert.
Herzklopfen
Die Reise durch den toskanischen Archipelago, eines der schönsten Meeresgebiete Italiens, führt zunächst Richtung Süden. Vor dem Inselchen Giannutri dreht das 70 Meter hohe Schiff, lässt Montecristo rechts liegen und nimmt Kurs Richtung Korsika. Dann soll die Costa zwischen der korsischen Küste und den Inseln Pianosa und Elba Richtung Norden gezogen werden. Nach den Inseln Caparaia und Gorgona biegt sie leicht nach Osten ab. Von dort aus geht es - an Viareggio und Forte dei Marmi vorbei - Richtung Genua.
Die 370 Kilometer lange Fahrt, die die Bergungsmannschaft mit Herzklopfen begleitet, soll viereinhalb bis fünf Tage dauern. Auch Vertreter der italienischen Umweltbehörde, sowie der WWF und Greenpeace begleiten die Schiffe. Der Schiffsverkehr wird während der letzten Fahrt der Concordia in weiten Teilen des nördlichen Mittelmeers gesperrt oder umgeleitet.
Streit um die Verschrottung
Um den Ort der Verschrottung der Concordia war ein wüstes Hick-Hack zwischen der Region Toskana und der Region Ligurien entstanden. Die Toskana kämpfte dafür, dass das Schiff im toskanischen Hafenstädtchen Piombino zerlegt wird – oder in Livorno.
Sowohl Piombino als als Livorno leiden schwer unter der Krise der Schwerindustrie. Die Arbeitslosigkeit ist enorm. Wäre das Schiff in Piombino verschrottet worden, hätte das Hunderten Menschen für mindestens zwei Jahre Arbeit gebracht. Piombino, von wo aus die Touristen auf die Insel Elba fahren, liegt viel näher bei Giglio. Ein Abschleppmanöver dorthin wäre also weniger risikoreich gewesen.
Wütender Gouverneur
Doch Ministerpräsident Matteo Renzi persönlich entschied sich für das ligurische Genua. Offenbar ist der Hafen in Piombino zu wenig tief für das Costa-Monster. Der Toskaner Renzi wollte sich offenbar auch nicht dem Vorwurf aussetzen, seine Region zu begünstigen.
Enrico Rossi, der Gouverneur der Region Toskana, ist noch immer wütend. Er erschien am vergangenen Montag nicht auf Giglio, als das Schiff für das „refloating“ flott gemacht wurde und beschimpfte den italienischen Umweltminister. Dieser erwiderte, er solle eher der Opfer gedenken als sich zu polemischen Ausfällen hinreissen lassen.
Katastrophentourismus
Die ganze Bergungsaktion der Costa Concordia kostet anderthalb Milliarden Euro. Dazu kommen weitere hundert Millionen für die Verschrottung in Genua.
„Wir wollen, dass das Schiff endlich weg ist“, sagt der Bürgermeister von Giglio. Doch, so zynisch es klingt, nicht alle sind dieser Meinung. Hinter vorgehaltener Hand erklären Hotel- und Restaurantbesitzer, dass der Katastrophentourismus ihnen viel Geld in die Kassen gespült hat. Ein Hotelier spricht von einem Plus von 30 Prozent. Zudem waren an der Bergung Hunderte von Spezialisten beteiligt. Auch sie assen und logierten auf der Insel. Selbst Porto Santo Stefano, das auf dem Festland vis-à-vis von Giglio liegt, profitierte von dem Unglück.
Very British
Doch alle wissen: als Feriendestination eignet sich eine Schiffsleiche vor der Nase wenig.
Hunderte von Einwohner von Giglio haben sich im Hafen versammelt und Nick Sloane zugejubelt. Die Bergung ist eine Weltpremière, eine Meisterleistung erster Güte. Sloane gibt sich very British. Er weiss: Noch ist der Job nicht getan. Noch kann viel geschehen.