"Als bester Kenner des Totalitarismus" wird in der «Weltwoche» der recht unbedeutende Geschichtsforscher Richard Pipes in einem Interview hochgejubelt, "kein Historiker hat sich länger mit Russland beschäftigt" – als wäre Alter ein akademisches Verdienst.
Und zu welchen Ergebnissen ist Pipes beispielsweise bei der Charakterisierung des Führers der bolschewistischen Oktoberrevolution, Lenin, gekommen? "Eine Bekannte von Lenin schilderte ihn als einen «schrecklichen, schrecklichen» Mann." Also wenn das tiefschürfende Geschichtsforschung ist, dann hat der Titularprofessor Mörgeli seine Unistelle tatsächlich zu Unrecht verloren.
Bestätigung gesucht
Weil der Bildungsrucksack der meisten Schreiber der «Weltwoche» doch recht sparsam bepackt ist, suchen sie natürlich Bestätigung der eigenen Vermutungen, keinesfalls kritisch-intellektuelle Auseinandersetzung. Deshalb darf Pipes dann unwidersprochen fortfahren: "Ohne russische Revolution hätte es auch die Nazis nie gegeben, keinen Zweiten Weltkrieg, keinen Holocaust."
Das ist etwa so dumm, wie wenn man sagen würde: Ohne Afrikaner hätte es keine Sklaverei gegeben, keinen Rassismus, keinen amerikanischen Bürgerkrieg. Noch dümmer daran: Das ist ja alles schon längst debattiert und widerlegt worden.
Und Hobsbawm?
Flegelhaft benahm sich die «Weltwoche», weil der wirklich bedeutende Historiker Eric Hobsbawm (1917 – 2012) es wagte, von seiner marxistischen Grundüberzeugung und einer differenzierten Beurteilung des Stalinismus keinen Millimeter abzuweichen. Da schrieb vor einiger Zeit der als Biedermann verkleidete Brandstifter Köppel allen Ernstes, man solle dem weltberühmten Historiker «sofort alle Preise aberkennen, die Pension streichen und die Lehrerlaubnis entziehen».
Liesse man sich auf das unterirdische Argumentationsniveau der «Weltwoche» herab, könnte man in dieser Forderung nach Zerstörung der bürgerlichen, wissenschaftlichen und finanziellen Existenz einwandfrei totalitäre und faschistoide Züge erkennen.
Pech aber auch
Regelmässig widerfährt es der «Weltwoche», dass sie mangels ökonomischer oder historischer Kenntnisse grandios auf die Schnauze fällt. Unvergessen die Jubelnummer «La crise n’existe pas», in der dem Finanzplatz Schweiz im Allgemeinen und der UBS im Speziellen eine grossartige Geschäftspolitik attestiert wurde. Das geschah leider ausgerechnet in der Woche, in der die UBS bei der Schweizer Regierung Nothilfe beantragen musste, weil sie vor dem finanziellen Abgrund stand.
Unbelehrbar wiederholte das Blatt solche Dummheiten, indem es den Sympathieträger Daniel Vasella hinaufjubelte, der sein Salär nun wahrlich verdient habe. Das war blöderweise nur einen Tag vor dem Bekanntwerden seines goldenen Fallschirms in der Höhe von 72 Millionen. Auch den hätte er, wenn man der «Weltwoche»-Logik folgen wollte, sicher verdient. - Schwach von Vasella, dass er inzwischen darauf verzichtet.
Dummheit mit Methode
Es ist ja nichts gegen die Methode einzuwenden, kräftig gegen einen vermuteten Mainstream anzurudern: Die veröffentlichte Meinung findet’s gut, also finden wir’s schlecht. Und umgekehrt. Das könnte belebend, bereichernd und zur Debatte anregend sein. Wenn es nicht so unsäglich dumm wäre.
"Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie ist nicht einmal vergangen." Das ist ein guter Satz von William Faulkner (für «Weltwoche»-Redakteure: ein nicht unkritischer US-amerikanischer Literaturnobelpreisträger). Deshalb wird sie ständig umgeschrieben. Auch das ist erlaubt.
Man sollte die Geschichte und ihre Uminterpretationen aber zumindest kennen, bevor man die alte Kamelle, "sind Sozialisten und Faschisten nicht irgendwie das Gleiche?", hervorkramt. Dazu gab es in Deutschland schon in den 80er Jahren einen Historikerstreit. Inklusive der Behauptung, dass der Holocaust nur eine Reaktion auf die Gulags gewesen und Hitlerdeutschland keinesfalls die Sowjetunion überfallen habe, sondern nur präventiv einem Angriff der UdSSR zuvorgekommen sei.
Zündeln will gelernt sein
Kann man wie Köppel behaupten, "die verwerfliche Ideologie des internationalen Sozialismus" bedeute "eine Vorstufe und Voraussetzung des nationalen Sozialismus hitlerscher Prägung"? Natürlich kann man das, wenn man gleichzeitig erkennen lassen will, dass man weder von Sozialismus noch von Faschismus noch von historischen Debatten zu diesem Thema die geringste Ahnung hat.
Vielleicht interessiert den Kleinbürger Köppel dazu die Meinung des Grossbürgers Thomas Mann (für «Weltwoche»-Redakteure: ein nicht unbedeutender deutscher Literaturnobelpreisträger): "Der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche." Um Himmels willen, dem sollte man sofort alle Preise aberkennen und seine Bücher verbrennen, äh, verbieten. Köppel, übernehmen Sie!