Gabriele Riedle blickt auf ihr jahrzehntelanges Leben als Reporterin aus allen Teilen der Welt zurück. Dieses Leben ist eine Sucht und wie jede Sucht fragwürdig. Sie schreibt darüber ohne Larmoyanz, sondern mit Biss und Witz.
Da ist zu allererst ihre Sprache. Sie ist meisterhaft und entfaltet einen Rhythmus, der den Leser nicht mehr loslässt. Riedle erzählt von ihren Reisen und Erlebnissen, aber stets so, dass sie diese Schilderungen mit ihren Assoziationen und inneren Echos verquickt. Es entsteht dadurch ein eigener Stil, der an eine Suada erinnert, aber jedes Wort ist auf traumhafte Weise treffsicher. Am Anfang hält man es kaum für möglich, dass sie diesen Höhenflug durchhält. Aber ihre Sprachkraft lässt nicht nach, und manche Passagen wird man ebenso zweimal lesen, wie man auch ein gutes Musikstück mehr als einmal hört.
Peter Arnett
Ausgangspunkt und immer wiederkehrendes Thema ist der Tod eines befreundeten Fotografen in der libyschen Küstenstadt Misrata. Er wurde dort auf offener Strasse von einer Mörsergranate zerfetzt. Seine Leiche wurde in sein Heimatland England überführt und dort beigesetzt. Riedle erfuhr davon in den Radionachrichten, die sie in ihrer Berliner Wohnung hörte. In dieser Wohnung ist sie zuhause und fremd zugleich. So geht es ihr auch mit den zahllosen Orten, die sie besucht. Sie kann nicht anders als zu reisen, und zugleich hat sie immer das Gefühl, fremd zu sein in diesem Leben, das sie aber gegen kein anderes eintauschen würde.
Diese Fremdheit schärft den Blick für sich selbst. Sie beschreibt sich, als würde sie sich von aussen beobachten, etwa wenn sie in Kabul völlig zerschlagen und ausgelaugt das Hotel Mustafa erreicht. Dieses «Hotel» ist ein ehemaliges Gefängnis, alles ist vergittert, und ihr «Zimmer» ist natürlich eine ehemalige Gefängniszelle, deren Wände jetzt mit Tüchern verhängt sind.
Im Aufenthaltsraum treffen sich Reporter aus aller Welt bei Tee und Fladenbrot. Unter ihnen auch Peter Arnett, der nicht müde wird, von seinen Heldentaten zu prahlen, wobei sich die anderen Reporter stets an andere Tische verziehen. Riedle ist so unvorsichtig, Arnett gegenüber zu erwähnen, dass sie keinen Schlafsack hat und nachts friert. «Grosszügig» bietet er ihr an, dass sie seinen mit ihm teilen könne. – Dieser Peter Arnett hat es ihr ganz besonders angetan.
Im Dschungel
Aber auch die Chefredakteure in Hamburg und Manhattan, von deren Aufträgen sie abhängig ist. Wieder und wieder schildert sie, wie diese sie ermahnen, «zu schreiben, was ist» und dabei an die Leser zu denken. Allzu klar ist, dass sie mit «den Lesern» nichts anderes als die Auflage meinen, die leider mehr und mehr sinkt und sie irgendwann ihren Job kostet, was Riedle mit Genugtuung konstatiert.
Eine Reise führt sie an den Lake Murray in den Dschungeln von Papua-Neuguinea. Wochenlang kampiert sie zusammen mit einem ebenfalls bekannten und erfolgreichen Fotografen bei einem dort lebenden Stamm von Sammlern und Jägern. Ein Einheimischer manövriert sie tagsüber mit seinem Einbaum zwischen Krokodilen hindurch, «die dort lauerten mit müden Augen und panzerharten Häuten». Nachts hört sie heimlich die Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould. Der Fotograf macht so schöne Bilder, dass sie ihm vorschlägt, diese doch bei «Vogue» zu veröffentlichen. Der merkt die Ironie ebenso wenig wie ihr Chefredakteur in Hamburg, der gleich einen Event veranstalten will, dann aber von besonders woken Zeitgenossen zurückgepfiffen wird, weil es doch nicht angeht, Bilder von einem indigenen Stamm schlicht und einfach auszustellen, auch wenn Vertreter der Indigenen dazu extra eingeflogen werden.
Journalisten und Raubmöven
Ohne in Klischees zu verfallen, vergleicht Riedle die Arbeit der Journalisten vor Ort mit Schwärmen von Raubmöwen, die hinter Trawlern herfliegen, um den Beifang zu ergattern. Der Kapitalismus erzeugt die Konflikte, über die sich trefflich und gewinnbringend berichten lässt. Aber es gibt keine Alternative. Die Versuche, den westlichen Modellen etwas entgegenzusetzen, sei es politisch oder religiös begründet, landen ebenfalls in der Trostlosigkeit.
Riedle urteilt scharf. Sie betrachtet sich selbst voller Ironie, etwa wenn sie wiederholt darauf hinweist, dass sie bis heute ihren Diercke-Atlas von 1973 benutzt, in dem es noch die Sowjetunion gab und ihr Wohnort West-Berlin eine westliche Zone war. Aber an keiner Stelle wird sie zynisch. In ihrem Blick liegt immer auch ein Lächeln.
Gabriele Riedle: In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg. Eine Art Abenteuerroman. Die andere Bibliothek, Berlin 2022, 264 Seiten, 44 Euro