Der neueste pragmatische Vorschlag aus dem EDA zur institutionellen Neugestaltung der bilateralen Beziehungen der Schweiz mit der EU löst geteilte Reaktionen aus: Die einen begrüssen den Fortschritt, die anderen befürchten, unter den Einfluss "fremder Richter" zu geraten. Was zeigt eine nüchterne Betrachtung?
Friedensstiftende Funktion der EU
Seit diesem Montag zählt die EU 28 anstatt bislang 27 Mitglieder. Medienkommentare im In- und Ausland zur Aufnahme von Kroatien sind eher kritisch. Denn Kroatien hat ein spezifisches Problem mit seiner Korruption und liegt generell noch unter dem Niveau, das von einem EU-Mitglied verlangt werden kann und soll. Die Aufnahme ist also problematisch.
Aber es wäre noch problematischer gewesen, Kroatien vor der EU-Türe stehen zu lassen. Damit wäre Europa und der Schweiz auf längere Sicht ein grösserer Schaden zugefügt worden. Denn gerade Ex-Jugoslawien ist das beste aktuelle Beispiel dafür, dass die friedensstiftende Funktion der EU weiterhin voll zum Tragen kommt. Unter dem Druck von Brüssel zur Erfüllung, dann Einhaltung politischer, wirtschaftlicher und ethischer Regeln, welche im EU-Europa gelten, werden verbissene Nationalisten zu Realpolitikern (zunächst in Kroatien, nun in Serbien) und Politgangster zu normalen Politikern (in B:H und Montenegro).
Der europäische Machtfaktor
Die EU selbst aber muss sich noch viel stärker zu einem globalen Machtfaktor entwickeln. Damit ist nicht die Rückkehr zur alten Grossmacht- und Kolonalpolitik einzelner europäischer Länder bis zum 2. Weltkrieg gemeint. Auch nicht eine Politik, wie sie China heute in Afrika und verschiedenen Ländern Südostasiens betreibt. Vielmehr geht es um die einzig mögliche, weil gesamteuropäische Vertretung von Interessen auf Augenhöhe mit anderen globalen Akteuren, den USA, aber auch China und anderen.
Ohne das Gewicht eines solchen europäischen Machtfaktors wird es keinen Freihandelsvertrag (FTA) zwischen den USA und Europa geben. Allein ein solcher Vertrag wird den kommenden wirtschaftlichen Blockbildungen im Grossraum Asien-Pazifik und über den Südpazifik hinaus standhalten können.
Vertane Chance
Dies sind Tatsachen, welchen sich heute auch die schweizerischen Europapolitiker stellen sollten. Um beim Beispiel FTA zu bleiben: Eine realistische Chance der Schweiz, von sich aus mit den USA einen Vertrag abzuschliessen, bestand noch vor 10 Jahren. Sie wurde aber nicht genutzt, weil "Bern" unseren Bauern nicht wehtun wollte. Heute ist diese Chance unwiederbringlich dahin.
Einmal mehr müssen wir uns nun sputen, nicht hinter alle EU-Länder zurückzufallen, denn ohne FTA sind schweizerische Exporteure gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz in den USA chancenlos. Einmal mehr wird offensichtlich, dass uns nicht viel anderes übrig bleibt, als etwas von der EU mit mühseligen Debatten zu übernehmen, das wir als Mitglied mit voller Mitsprache und entsprechend höherer Akzeptanz hierzulande bekommen hätten.
Ganz ähnlich verhält es sich mit den "fremden Richtern". Wie schon seit einiger Zeit offensichtlich war, ist die für die Schweiz überlebenswichtige Fortführung des bilateralen Verhältnisses mit der EU nur um den Preis grundsätzlicher schweizerischer Anerkennung des Europäischen Gerichtshofes zu haben. Seit wir dessen Rechtsprechung anerkennen müssen, ist es zu einem schweizerischen Rechtsanwendungsorgan geworden, aber ohne schweizerische Beteiligung. Wären wir Mitglied, sässen darin auch "unsere" Richter.