Wir sind, so scheint es, von ständig wechselnden Dramen umgeben. Brexit-Drama, Höhlendrama und Koalitionsdrama haben gerade eben Schlagzeilen gemacht. Und da die Aufnahmefähigkeit sowohl der Medien wie ihres Publikums begrenzt ist, wurde während der Klimax dieser Aufregungen alles sonstige „aufregende, erschütternde und traurige Geschehen“ (so die Duden-Definition der umgangssprachlichen Bedeutung von „Drama“) in den Hintergrund verschoben.
Das Wort „Drama“ leidet an Übernutzung. Boulevard-Medien missbrauchen es notorisch als Reizwort, um den Verkauf zu puschen. Für sie ist der Streit eines prominenten Paars stets ein Ehedrama, vergebliches Hoffen auf Regen ein Wetterdrama, das Ausscheiden aus dem Fussballturnier ein WM-Drama. Doch die übermässige Beanspruchung und die damit verbundene schleichende Entwertung können dem Wort offensichtlich nichts anhaben. Es ist in der Sprache des Alltags fest etabliert.
„Drama“ (griechisch für „Handlung“) ist ursprünglich ein Begriff der Theaterwelt und meint die Darstellung einer Handlung auf der Bühne mit verteilten Rollen in Dialogen oder Monologen. Macht man sich diese Herkunft des Worts „Drama“ klar, so erkennt man auch die Position derer, die ein Geschehen als Drama wahrnehmen: Sie sind Zuschauer. Als solche sind sie am aufwühlenden Geschehen stets nur aus sicherer Distanz beteiligt. Das Drama betrifft sie nicht direkt, sondern macht sie allenfalls „betroffen“.
Zuschauer von Unglücksfällen und Schicksalsschlägen anderer zu sein, fühlt sich nicht gut an. Man will sich ja nicht weiden, sondern möchte Anteil nehmen. Doch das verhindert die schiere Menge der schlimmen Vorkommnisse. Bei Routine-Dramen des Boulevards kann man eine bloss ambulante Beteiligung deshalb als erzwungene Notwendigkeit sehen. Wenn aber ein „Drama“ stärker als üblich berührt, wird die eigene Rolle als Zuschauer moralisch problematisch.
Womit wir wieder beim klassischen Drama sind. Die Dramentheorie der Antike hat postuliert, das Geschehen auf der Bühne solle die Zuschauer ins moralische Dilemma des Stücks hineinziehen. Zweck des Schauspiels ist die Katharsis, eine innere Reinigung des Publikums. – Um diesen Zusammenhang nicht völlig aus den Augen zu verlieren, wäre es gut, das Wort „Drama“ zurückhaltender zu gebrauchen. Doch das bleibt wohl ein frommer Wunsch.