„Meh Dräck“ würde Chris von Rohr wohl fordern. Aber wir sind nicht in einer Castingshow, sondern in der Baroque Academy im Rahmen des Menuhin Festivals in Gstaad. Und Maurice Steger drückt sich etwas distinguierter aus. Aber eigentlich meint er das gleiche: diesen besonderen Kick, der nicht in den Noten steht, dieses winzige Quantum Frechheit beim Spielen, dieses Quere, das letztlich die Persönlichkeit ausmacht. „Seid etwas exzentrischer“, fordert er seine Studenten auf.
Das Hörerlebnis, so Steger, ist zuallererst emotional. „Erst kommt die Emotion, dann die technischen Details.“ Weg vom Schönklang ist seine Devise, und er zitiert dabei auch einen Dirigenten, der mit einer jungen hübschen Sängerin mit ebenso junger hübscher Stimme gearbeitet hat. Nichts zu bemäkeln gebe es da, aber „too nice“, allzu nett sei sie halt gewesen. „Meh Dräck“ hätte wohl auch dieser Dirigent gesagt, wenn er Bärndütsch reden würde. Dann wäre die junge Dame noch besser gewesen. Maurice Steger sieht es bei seinen Studenten genauso.
Seit drei Jahren leitet der Flötist Maurice Steger die Baroque Academy, in der hochqualifizierte junge Musiker verschiedenster Nationalität den letzten Schliff bekommen. Dass sie tadellos, fehlerfrei und makellos Flöte spielen können und in einer Musikhochschule eingeschrieben sind, ist eine selbstverständliche Voraussetzung, um hier mitzumachen. Um später auch im Konzert Erfolg zu haben, braucht es aber mehr. Eine Ahnung davon bekommen die 35 jungen Leute hier. Und viele von ihnen sind nicht das erste Mal in der Baroque Academy.
„Es ist schon ziemlich anspruchsvoll“, sagte eine junge Musikerin. „Hier lernt man auch, sich der Konkurrenz zu stellen.“ Denn die anderen sind mindestens so gut wie man selbst, und damit muss man erst mal klarkommen. Und Zuschauer kommen auch. Manch einer der jungen Flötisten dürfte einiges Lampenfieber haben beim Spielen.
Maurice Steger gehört zu den besten Flötisten der Welt und wird am 18. Oktober in Berlin den Echo-Preis als „Instrumentalist des Jahres“ entgegen nehmen können. Für die jungen Leute also eine einmalige Chance, von einem der ganz Grossen ihres Faches lernen zu können.
Nicht zu viel an Verzierungen sollten sie ihrem Spiel beifügen, mahnt er während des Unterrichts und macht einen simplen Vergleich. „Das ist wie in der Küche. Ein italienischer Koch nimmt Tomaten, Salz und Basilikum und macht die beste Tomatensauce daraus. Da braucht es nicht noch zwölf weitere Zutaten“. Das leuchtet ein. Und eine junge Flötistin strahlt über das ganze Gesicht, nachdem sie sich an dieses “Kochrezept“ gehalten hat und nun ihr Stück ganz ohne Schnörkel vorträgt. „Wunderbar!“ lobt Maurice Steger.
„Die Flöte ist vielleicht das ehrlichste und uncharmanteste Instrument“, sagt er. Da kann man nicht mogeln. „Sie ist ein direkter Spiegel des Spielenden“. Den schlechten Ruf, den die Flöte mitunter hat, führt Steger darauf zurück, dass sie für die meisten Menschen das erste – und vielleicht einzige – Instrument ist, auf dem sie je gespielt haben. Mit Vorliebe so um die Weihnachtszeit herum. Und nicht immer mit viel Begeisterung und Können. „Bei der jungen Generation besteht das Vorurteil heute nicht mehr“, sagt Steger, „aber bei den Eltern.“ Der virtuose Gebrauch des Instruments durch ihre Kinder und der wunderbare Klang, der daraus entsteht, hat sicher viele Eltern inzwischen eines Besseren belehrt. Eine Woche dauert die Barocque Academy und am letzten Tag gibt es ein Abschlusskonzert in der Kapelle Gstaad. Diesmal ist es am 5. September.
„Meh Dräck“ musste niemand rufen, als Erwin Schrott sich auf der Bühne des grossen Festzeltes als „Don Giovanni“ austobte. Erwin Schrott gilt derzeit als Inbegriff des Mozart’schen Verführers. Er bringt eine grossartige Stimme und genügend „Dräck“ und Testosteron mit, wenn er auf die Bühne tritt. „Don Giovanni“ – das ist Erwin Schrott.
Es passt, dass es heiss ist an diesem Sommerabend. Schrott ist zum ersten Mal in Gstaad, das Zelt fast vollständig besetzt. Es ist eine halb-szenische Aufführung, vieles ist nur angedeutet, Bühnenbild und Requisten gibt es nicht. Der rumänische Tenor Stefan Pop singt mit und auch die junge Schweizer Nachwuchssängerin Regula Mühlemann. Es spielt das Orchester „La Scintilla“, also die Barockformation des Zürcher Opernhauses, Dirigent ist der Spanier Pablo Heras-Casado, ein Shooting Star der jüngeren Generation.
Nach dreieinhalb Stunden ist das Publikum am Schluss hell begeistert. Die Standing Ovation scheint schier endlos zu sein. Aber auch auf der anderen Seite, also auf der Bühne, herrscht Begeisterung. „Es war auch für uns ein total positives Erlebnis“, sagt Ada Pesch, Konzertmeisterin des Orchesters “La Scintilla“. „Im Zelt statt im Theater zu spielen war weniger schlimm als zunächst befürchtet. Schlimm war allerdings die Hitze für uns, für die Darm-Saiten und für den Lack.“ Musikalisch geprobt hatte man zuvor in Zürich, das Szenische wurde dann noch kurz im Zelt eingeübt. „Erwin Schrott war da sehr aktiv und hat viele Ideen eingebracht“, erzählt Ada Pesch und lacht: „Erwin war tatsächlich Don Giovanni persönlich!“ Und die Arbeit mit Pablo Heras-Casado, die sei sowieso ein Hit gewesen, schwärmt sie.
Es sind solche Produktionen, die Gstaad auch immer wieder zu einem Anziehungspunkt machen. Noch eine Woche zuvor war es Jonas Kaufmann, der Superstar unter den Tenören, der das grosse Zelt zum Brodeln brachte. Eingebettet in die malerische Landschaft des Berner Oberlandes und kombiniert mit Klassik, gespielt von internationalen Spitzenstars, behauptet sich das Menuhin Festival unter der Leitung von Christoph Müller trotz der grossen Konkurrenz von Sommer-Festspielen. Neben dem grossen Zelt liegt der besondere Charme natürlich auch in den Konzerten im intimen Rahmen der Kirchen rings um Gstaad, wo Musiker wie Andras Schiff, Sol Gabetta, Jordi Savall oder Cecilia Bartoli auftreten. Oder eben Maurice Steger, der in der Kirche Zweisimmen Vivaldi gespielt hat. Das Programm, für das er nun den Echo-Preis bekommt. In Gstaad konnte man es live hören.