(Der deutsche Medienprofessor Russ-Mohl unterrichtet an der Universität Lugano. Zuvor lehrte er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er hat mehrere Bücher verfasst und schreibt für grosse deutschsprachige Medien. Der vorliegende, von der Daimler und Benz Stiftung publizierte Text, ist eine aktualisierte und überarbeitete Fassung eines früher gehaltenen Vortrages. – J21.)
Teil 1: Der täglich inszenierte Weltuntergang
Teil 2: Es könnte "zappenduster" werden
Von Stephan-Russ Mohl
Silberstreifen am Horizont
Natürlich finden wir Benchmarks, von denen sich lernen lässt – und einige davon sogar erfreulicherweise in Berlin. Um nicht Fehlurteile aus der Ferne abzugeben, hat mir bei der Evaluierung eine kleine lokale Expertenkommission geholfen. Hier das Resümee:
• Entgegen aller Unkenrufe haben sich durch die Zusammenlegung von Welt, Welt kompakt und Berliner Morgenpost sowie der zugehörigen Websites Synergien realisieren lassen. Die Welt ist sogar vermutlich besser geworden, die Morgenpost dürfte dagegen eher das Stiefkind der Familie geblieben sein, sozusagen ein Zwitter zwischen Cashcow und Sparschwein. Eine meiner Kronzeuginnen beklagt jedenfalls häufige Fehler im Detail: „Der Leser schließt halt von der schlampigen Form auf einen schlampigen Inhalt, wenn er immer wieder über Formfehler im Blatt stolpert.“ Trotzdem: Eine fehlerbehaftete Morgenpost ist sicherlich besser als die Alternative – eine Welt ohne Die Welt als überregionale Stimme aus Berlin. • Im Vergleich mit anderen Regionalzeitungen kann sich der Medienjournalismus, also die Berichterstattung über Medien und übers journalistische Geschäft, von Berliner Zeitung und Tagesspiegel bisher sehen lassen.
• Von der taz könnten andere Medien nach wie vor lernen, wie man Leserbindung intensivieren und Zahlungsbereitschaft mobilisieren kann – und auch, wie eine Redaktion Glaubwürdigkeit gewinnt, indem sie immer wieder schonungslos selbstkritisch eigene Fehler eingesteht und sich mit ihnen auseinandersetzt. Konny Gellenbeck (2013), die bei der taz der Kooperative vorsteht und immer wieder erfolgreich Geld einsammelt, erklärt dazu, „Erklärungen über Marktmechanismen oder Herstellungskosten“ seien „stets das kommunikative Fundament für Aufrufe zu solidarischem Handeln“ gewesen. Ein bisschen weiter in die Ferne schweifen müssen wir auf der Suche nach zwei weiteren Qualitäten, die für die Zukunft des Qualitätsjournalismus absehbar von essenzieller Bedeutung sein werden:
• In der sogenannten Pro-Am-Kooperation, also in der Zusammenarbeit zwischen Professionals und Amateuren, insbesondere beim Crowdsourcing und bei der interaktiven Zusammenarbeit mit den eigenen Publika, ist der Guardian wegweisend. Das bekannteste Beispiel ist wohl, wie die Redaktion die eigenen Leser für eine investigative Recherche zum Spendenskandal mobilisieren konnte, in den zahlreich britische Parlamentarier verwickelt waren.
• Nach meinem Kenntnisstand pflegt kein anderes Blatt die kritische und profunde Berichterstattung über Medien und über Journalismus sowie das Gespräch über Qualitäten und Qualitätsmängel des eigenen Blatts so sehr wie die New York Times. Neben einer gut ausgestatteten und hochkompetenten Medienredaktion tragen ein Ombudsmann, die Chefredaktion, ja sogar der Verleger zu diesem Diskurs immer wieder bei. Dass es sich auszahlt, den hohen Qualitätsanspruch zu kommunizieren, lässt sich an der Zahl der über 640 000 Online-Abos ablesen, welche die Zeitung über kurze Zeit hinweg in den Jahren 2011/12 zu generieren vermochte. (Haughney 2013)
Eine Plattform zum Metadiskurs
Zu einem Lamento gehört es nicht, einen Ausweg zu weisen. Aber die eben genannten Beispiele deuten zumindest die Richtung an, in der sich Auswege finden könnten. Mit einem kleinen Werbeblock erlaube ich mir, an dieser Stelle auf ein Low-Budget-Projekt aufmerksam zu machen, mit dem wir von Lugano aus versuchen, ebenfalls unser Scherflein zur Verbesserung der Lage beizutragen: Wir haben 2004 das European Journalism Observatory gegründet.
Es ist inzwischen eine zehnsprachige Plattform, auf der sich Journalisten, Medienmanager sowie Studierende und Forscher über Trends in den Medien und über Erkenntnisse der Journalismusforschung informieren und austauschen können. Sie wird getragen von einem Netzwerk aus Forschungseinrichtungen. Wir möchten damit zeigen, dass Medienforschung nützlich sein kann und alle informieren, die mehr über Journalismus wissen wollen und deren Wissensdurst die Mainstream-Medien nicht stillen. Wir möchten aber auch den Journalistinnen und Journalisten in Ost- und Südosteuropa in ihrem Kampf um Pressefreiheit und gegen Korruption den Rücken stärken – wobei auch hier gilt: „Wissen ist Macht“, ohne Kenntnis anderer journalistischer Kulturen wird die Professionalisierung ausgebremst, und ohne professionelle Kultur wird es nicht gelingen, wachsendem politischen und ökonomischem Druck standzuhalten. Aber das sind natürlich Tropfen auf den heißen Stein, es ist Don Quijotes Kampf gegen Windmühlenflügel.
Zahlungsbereitschaft durch Aufklärung
Zahlungsbereitschaft für hochwertigen Journalismus wird sich nur durch Aufklärung wiederbeleben lassen. So wie wir gelernt haben, Müll zu sortieren, müssen wir auch lernen, beim Medienangebot die Wertstoffe aus dem Infomüll heraus zu fischen. Dazu brauchen wir angesichts der Infomüll- Berge sorgfältig arbeitende Journalisten. Damit wir ihnen vertrauen können, müssen wir sie angemessen bezahlen – und mit „wir“ meine ich uns, die Mediennutzer, nicht primär die mitunter auch voreilig schuldig gesprochenen Verleger. Dazu könnte auch ein Teil der öffentlich-rechtlichen Gebührengelder gut sein – weniger Gottschalk, nicht ganz so astronomische Summen für Sportrechte, mehr Auslandskorrespondenten. Wir brauchen auch Geld, um Neues auszuprobieren. Die Erfahrung lehrt, dass für solche Zwecke nicht auf Staatsknete zu hoffen ist. Denn zum einen beschädigt Abhängigkeit von staatlicher Förderung die journalistische Unabhängigkeit.
Zum anderen haben kürzlich Rasmus Kleis Nielsen und Geert Linnebank vom Reuters Institute for the Study of Journalism Bemerkenswertes zur Verwendung öffentlicher Mittel herausgefunden. Beim Vergleich von fünf europäischen Ländern (Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien und Großbritannien) sowie den USA kommen sie zu dem Befund, dass trotz der stürmischen Zeiten, die wir durchleben, trotz des rapiden Wandels unserer Medienwelt sich die medienpolitischen Förderinstrumente seit den 80er-Jahren kaum verändert haben. Vor allem die Dinosaurier der Branche profitieren davon – seien das die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, seien das die etablierten Verlage. (Nielsen/ Linnebank 2011)
Beide hängen in allen sechs untersuchten Ländern seit langem am staatlichen Tropf: Die einen erhalten üppige Rundfunkgebühren, die anderen Vergünstigungen beim Postvertrieb sowie Steuererleichterungen oder –befreiungen und in einigen Ländern auch direkte Subventionen.
Selbst in den USA , das in der öffentlichen Diskussion stets als Land angeführt wird, in dem die Medien angeblich „kein“ Geld vom Staat erhalten, fließen jährlich mehr als eine Milliarde Dollar Steuergelder in öffentliche TV- und Radioprogramme und nahezu gleich viel Geld in die Kassen der Zeitungsverlage.
Wie gut das Lobbying der mächtigen Medienhäuser funktioniert, um sich die bestehenden staatlichen Futter- und Fördertöpfe zu erhalten, illustrieren Nielsen und Linnebank am alten, aber immer noch instruktiven Beispiel Margaret Thatchers. Selbst sie habe sich nicht getraut, sich mit den Verlegern in den Clinch zu begeben und ihnen die Steuerprivilegien für britische Zeitungen zu streichen – so entschieden die eiserne Lady sonst Staatsinterventionismus bekämpft und reduziert habe. (Nielsen/Linnebank 2011, 23)
Start-ups, die im Journalismus etwas Neues ausprobieren wollen, haben bisher so gut wie keine Chance, an Fördergelder heranzukommen. Das skurrilste Gesetz, das die Autoren bei ihren Recherchen „entdeckt“ haben, stammt aus Italien. Dort können Journalistenbüros, an denen sich mindestens zwei Parlamentarier (!) beteiligen, Fördermittel kassieren, wenn sie eine Zeitung (! – nicht etwa eine Website …) publizieren – aber auch nur dann, wenn sich das Blatt bereits drei Jahre am Markt behauptet hat (!). (Nielsen/Linnebank 2011, 15)
Auf dem Weg zu mehr journalistischer Innovation werden wir also auch in Europa Stiftungen und Mäzene brauchen, die Anstöße geben. Einmal mehr zeigen amerikanische Beispiele, was sich bewegen ließe – von ProPublica über die Knight Foundation, vom Project for Excellence in Journalism der Pew Foundation bis hin zum Poynter Institute in Florida, der wichtigsten Weiterbildungseinrichtung für amerikanische Journalisten, die von einer Stiftung getragen wird.
Stoßseufzer
Dem Genre treu bleibend, möchte ich mein Lamento eher skeptisch-klagend beschließen, indem ich einen weiteren hochgeschätzten Weggefährten zitiere: Thomas Löffelholz, den langjährigen Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung und der Welt. Weil im hektischen Alltagsgeschäft viele Journalisten ja nicht nur mit Sprache, sondern auch mit Zahlen und Statistiken schlampig umgehen, möchte ich zunächst sein Auswahlkriterium bei der Neueinstellung von Journalisten in Erinnerung rufen. Er hat den Bewerberkreis jeweils drastisch eingeengt, indem er eine gute Mathe-Note zur Einstellungsbedingung gemacht hat.
Thomas Löffelholz (2011) hat mir als Antwort auf die Ankündigung des Lamentos den folgenden Stoßseufzer übermittelt: „Mich deprimiert inzwischen die Entwicklung vieler Medien. Sie werden immer lauter, hysterischer, jubelnder und verdammender, weil man offenbar glaubt, nur so vom Leser/Hörer/Bürger noch wahrgenommen zu werden. Das ist ja noch nicht einmal ganz falsch, aber es ist für unser politisches und demokratisches Leben katastrophal.“ Dem ist im Moment nichts mehr hinzuzufügen.
(…)