Allein seine jüdische Bevölkerung, die achtzig Prozent der acht Millionen Einwohner Israels ausmacht, teilt sich in eine enorme Zahl verschiedener Herkunft, Hautfarbe und religiöser und kultureller Traditionen auf. Es gibt Juden aus allen europäischen Ländern, aus den USA und Kanada, aus Südamerika, Australien und Südafrika. Heute stammt die Mehrheit der jüdischen Einwohner im früher aschkenasisch-westlichen Israel aus vielen islamischen Ländern wie Ägypten, Jemen, Syrien, Iran, Irak, Marokko usw. – das sind die orientalischen Juden.
Verschwundene eigene Sprache
Es gibt auch die schwarzen Juden aus Äthiopien sowie Juden aus Indien und anderen fernöstlichen Ländern. Vereint sind sie durch den jüdischen Glauben, die jüdische Geschichte und häufig das jüdische Schicksal der Verfolgungen. Israels arabische Bevölkerung, zu der Muslime, Christen, Tscherkessen und Drusen gezählt werden, teilt sich ebenso in verschiedene Minderheiten auf. Dazu gibt es die Aramäisch sprechenden Samaritaner, heute etwa 750 Seelen an der Zahl, die im israelischen Holon (nahe Tel Aviv) und in Kiriat Luza am Berg Gerizin in der Westbank wohnen. All diese Volksgruppen sind bekannt. Aber wer hat schon von den „Domari“ gehört?
Es gibt sie, die Zigeuner im Israel, auf der Westbank und auch in Gaza von heute. Rund zweitausend Domari leben heute im Jerusalemer Altstadtquartier „Bab al Huta“, nahe dem Löwentor und umliegenden arabischen Dörfern. Ihre eigene Sprache, das Romani, kennen sie heute kaum noch. Statt traditionell christlich, wie die Roma Ost- und Westeuropas sind die Roma des Orients heute fast ausschliesslich Muslime. Ein „Islam light“ soll es sein und wie bei anderen monotheistischen Religionen, mit einem starken Einschlag uralter animistischer Traditionen.
Seit Jahrhunderten in Jerusalem
Auch die Domari sind in Stämme oder Clans aufgeteilt, deren Namen heute arabisch klingen wie Saleem, Nadeer und Nuri. In den Jahrhunderten ihres Aufenthalts im Nahen Osten, haben sie sich in vielem der arabischen Kultur angeglichen und leben in Grossfamilien, vorwiegend unter einem Dach, meist auf engstem Raum und in grosser Armut. Die heutige Gemeinde der Domari in der Jerusalemer Altstadt besteht aus rund hundertfünfzig Familien, etwa zweitausend Menschen. In kleinerer Anzahl leben sie heute auch in arabischen Vorstädten Jerusalems und in Gaza.
Seit gut vierhundert Jahren gibt es Domari in Jerusalem und dessen Umgebung. Ihren eigenen Mythen gemäss, sollen sie sogar schon vor tausend Jahren im Heiligen Land angekommen sein. In Israel nennen sie sich Domari oder Dom, weltweit nennt man sie Zigeuner oder politisch korrekter Sinti und Roma. „Ich wusste gar nicht, dass es in Israel Zigeuner gibt“ ist die Antwort, die ich ausnahmslos auf die entsprechende Frage an jüdische Israelis erhalte.
Auf der untersten Stufe der sozialen Leiter
Zigeuner haben ihre eigene Kultur und in vielem ihre eigenen religiösen Traditionen. Doch im Allgemeinen haben sie sich an ihre weitere Umgebung angepasst. Die Domari sind heute mehrheitlich Muslime, doch leben sie kein sehr striktes religiöses Leben. Einige sind zum Christentum zurückgekehrt. In der Gesellschaft der Domari im Nahen Osten gibt es wenig Menschen mit formaler Ausbildung. Der von ihnen bis vor relativ kurzer Zeit ausgeübte nomadische Lebensstil liess das nicht zu. Domari Familien hatten durchschnittlich sechs bis acht Kinder, doch ist ihre Geburtenzahl in Israel abnehmend, wie in einer Studie von Eetta Prince-Gibson (Dom Research Center) zu lesen ist.
Auch in Israel/Palästina sind Zigeuner nicht gerade wohlgelitten, schon gar nicht von der heutigen arabischen Gesellschaft. Besonders in den arabischen Dörfern, in denen sie heute leben, existieren ähnliche rassistische Vorurteile, wie wir sie aus Europa gegenüber den Fahrenden auch heute noch kennen. Die jüdische Gesellschaft Israels nimmt die Domari nicht wahr, praktisch niemand weiss um ihre Existenz. Araber nennen die Domari „Nawari“ - „schwarz“ oder „dreckig“ – an den europäischen und heute islamistischen Antisemitismus erinnernd. Wie auch in Europa stehen die Domari (Zigeuner) auf der unterersten Stufe der sozialen Leiter.
Erinnerung an den Holocaust der Zigeuner
Wie die reformjüdische Juristin Anat Hofman, heute sehr bekannt als Aktivistin für Frauenrechte an der Klagemauer Jerusalems, meint, teilt das Volk der Zigeuner in vielem das Schicksal der Juden. Wie diese, wurden sie von den Nationalsozialisten verfolgt und getötet. Etwa 250 000 sind in Vernichtungslagern (vor allem in Auschwitz und Birkenau) umgebracht worden. Für ihren eigenen Holocaust haben Sinti und Roma ein Wort in ihrer eigenen Sprache, dem Romani: „Porrajmos“, in Deutsch „das Verschlingen“.
Die Zigeunergemeinschaft Ostjerusalems gilt als ärmster Teil der palästinensischen Gesellschaft. Die Domari werden von arabischen Palästinensern verachtet und als minderwertige „Rasse“ betrachtet. Der Rassismus aus der arabischen Gesellschaft gegen sie manifestiere im täglichen Umgang. Die Domari haben noch immer jordanische Pässe und die dadurch geschaffene unklare Staatangehörigkeit verurteilt sie zu den niedrigsten Arbeiten, oft bleibt ihnen nur noch das Betteln.
Versprechen von Jerusalems Bürgermeister
Die Zigeuner Israels haben jedoch Sympathisanten in Israel. Die israelische Reiseleiterin Ofra Regev hat die Domari-Gemeinschaft unter ihre Fittiche genommen und arbeitet heute mit ihr im Auftrag der städtischen Verwaltung Jerusalems. Der vor kurzem wiedergewählte Bürgermeister Jerusalems, Nir Barkat, so war in der Presse im November 2012 zu lesen, habe die Domari Jerusalems adoptiert und ihnen Hilfe versprochen. Er wolle sein Bestes tun ihnen zu helfen israelische Bürger zu werden, mit allen Rechten und Pflichten.
Barkat sagte wenig später: „Die Stadt respektiert und schätzt die Zigeunergemeinschaft und deren Repräsentanten. Hand in Hand wollen wir mit ihnen daran arbeiten, ihre Lage zu verbessern. Die Zigeuner seien eine einmalige ethnische Gemeinschaft, die dem kulturellen und sozialen Leben der Stadt beiträgt. Es freut mich die bemerkbare Verbesserung ihrer Lebensqualität in den vergangenen zwei Jahren, als Resultat der intensiven Anstrengungen der Stadtverwaltung, die auch weiter anhalten werde.“
Der Mukhtar (Anführer oder Bürgermeister) der Domari Jerusalems, Abed al-Hakim Salim, dessen Tochter die einzige Rechtsanwältin aus der dortigen Domari-Gemeinschaft ist, sagte im Oktober 2012 einem Journalisten, sein Volk sei mit dem Staat Israel eng verbunden und in der Zukunft würden Mitglieder seiner Gemeinschaft sogar den Dienst in der [israelischen] Armee erwägen.