Der eine betet 25 Mal am Tag, hat Beziehungen zu Rechtsextremen und huldigt Putin. Der andere verharmlost Mussolini und lobt ihn als «historische Figur». Sind Melonis Demokratie-Schalmeien doch nur Fassade?
Die italienische Abgeordnetenkammer hat am Freitag den 42-jährigen Ultrakatholiken Lorenzo Fontana zum Kammerpräsidenten gewählt. Laut der Römer Zeitung «La Repubblica» betet Lorenzo jeden Tag 50 Ave Maria.
Eigentlich ist er ein parlamentarischer Nobody, ein Hinterbänkler. Er war Familienminister und bewegte gar nichts. Aufgefallen ist er kürzlich erst, als er sich im Europa-Parlament auf die Seite von Putin schlug und die Sanktionen gegen Russland verurteilte.
Und natürlich ist er gegen Schwule, homosexuelle Heiraten, Abtreibung und gegen «alles Multikulturelle».
Wenn er zur Messe geht, und das geht er oft, sitzt er in der hintersten Reihe und seine Frau in der vordersten.
Beziehungen zu Rechtsextremen
Lorenzo Fontana ist Mitglied der rechtspopulistischen, oft rassistischen «Lega». Er gilt als der Wasserträger von Matteo Salvini. Und er, der Lega-Chef, der Trauzeuge von Fontana, war es denn auch, der seinen Freund auf das hohe Amt des Kammerpräsidenten gehisst hat.
Wie Meloni und Salvini bewundert er die Französin Marine Le Pen und vor allem den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán. Dank ihm sei die Geburtenrate in Ungarn wieder gestiegen: von 1,3 Kinder pro Frau auf 1,6 Kinder.
Den Brexit findet er toll und pflegt Beziehungen zur deutschen AfD und zur rechtsradikalen griechischen Partei «Goldene Morgenröte».
Der Ultrakatholik
In den ersten Worten nach seiner Wahl dankte er dem Papst. Er richte zuerst einen Gruss an Franziskus, «der für die Mehrheit der italienischen Bürger einen geistigen Bezugspunkt darstellt». Der Papst unternehme «eine beispiellose diplomatische Aktion zugunsten des Friedens».
Dann dankte Fontana auch noch dem sezessionistischen und immer wieder rassistischen Gründer der «Lega Nord», dem inzwischen schwerkranken 81-jährigen Umberto Bossi. Ohne ihn «hätte meine politische Karriere nie begonnen. Ich danke ihm persönlich».
Dem Heiligen Markus gedenken
Wie Meloni und Salvini stört er sich daran, dass in Italien am 25. April der Sieg über die Faschisten gefeiert wird. Stattdessen, schlug er vor, an diesem Tag dem Heiligen Markus zu gedenken.
Italien feiert den 25. April als «Tag der Befreiung». Der Feiertag hat einen ähnlichen Stellenwert wie der Nationalfeiertag, der am 2. Juni stattfindet. Der 25. April symbolisiert den Kampf gegen den Faschismus und Nationalsozialismus.
Der Blabla-Onkel
Die Linke ist wütend und will als Stellvertreter von Lorenzo einen Mann vorschlagen, der genau das Gegenteil von ihm ist. Chancen hat die linke Aktivistin Maria Cecilia Guerra wohl keine.
In breiten römischen Politkreisen gilt Fontana als Blabla-Onkel. Auch seine Antrittsrede als neuer Kammerpräsident strotze vor netten Gemeinplätzen. Sogar Thomas von Aquin musste herhalten. «Das Böse ist nicht das Gegenstück zum Guten, sondern seine Entbehrung. Es wird die Aufgabe von uns Parlamentariern sein, den Bürgern nicht das Gute zu nehmen, sondern mit Demut, Ernsthaftigkeit und Nüchternheit zu kämpfen, um ihr Vertrauen, ihre Hoffnung und ihren Stolz wiederherzustellen», so Fontana.
Der überzeugte Postfaschist
Ein Unglück kommt selten allein. Das erste Unglück war am Tag zuvor geschehen. Am Donnerstag hatte die kleine italienische Kammer Ignazio La Russa zum Senatspräsidenten gewählt. Dieses Amt gilt – nach jenem des Staatspräsidenten – als das zweitwichtigste in Italien.
La Russa, der an der HSG in St. Gallen studiert hat, ist einer der Gründer der postfaschistischen «Fratelli d’Italia», die jetzt von Giorgia Meloni geführt wird.
Die Fratelli d’Italia haben ihre Wurzeln in der neofaschistischen Partei «Movimento Sociale Italiano». «Wir sind alle Erben des Duce», sagte La Russa. Der Faschismus habe auch «seine Lichtblicke» gehabt.
Schlafen zwischen Mussolini-Büsten
Sein Verhältnis zur Geschichte ist seltsam. In seinem Haus zeigt er eine Sammlung von Mussolini-Statuen, Büsten, Fotos, Briefe und Erinnerungsstücke paramilitärischer Organisationen.
La Russa darf man vorwerfen, einer der Wegbereiter der Verharmlosung des italienischen Faschismus zu sein. Immer wieder betont er, dass Mussolini «nicht alles falsch» gemacht hat. Vieles, was er gemacht haben soll, ist jedoch Legende. So war die immer wieder zitierte Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe längst vor seiner Herrschaft eingeleitet worden. Alessandro Zan, ein sozialdemokratischer Abgeordneter nannte La Russa einen «erklärten Faschisten, der zwischen Mussolini-Büsten schläft».
Der faschistische Gruss
Wie kann man bei sich zu Hause eine ganze Menge Devotionalien ausstellen – Gegenstände, die an einen der schrecklichsten Verbrecher des 20. Jahrhunderts erinnern, einer, der Hunderttausende in den Tod geschickt und das Land in die Katastrophe geführt hat?
Auch sein Bruder Romano ist aus diesem Holz geschnitzt. Am 15. September letzten Jahres hob er bei einer Beerdigung eines Rechtsextremen den Arm zum Römischen Gruss.
Zudem beantragte er, wegen der Corona-Pandemie den Händedruck abzuschaffen und ihn durch den «Römischen (faschistischen) Gruss» zu ersetzen.
Zurück zum Scudo Rimano
Auch La Russa stört sich, dass in Italien jährlich der Sieg über die Faschisten gefeiert wird. Er schlug vor, den 25. April zum «Tag des Gedenkens an die Opfer aller Kriege, einschliesslich der Opfer des Coronavirus» zu erklären.
Früher plädierte er einmal dafür, den Euro zu ersetzen durch den Scudo Romano, eine alte römische Währung.
Berlusconis Wut
Der einzige, der sich vehement gegen La Russa stellte, war der 86-jährige Berlusconi. Die beiden verbindet eine tiefe Feindschaft. Diese ist jedoch eher persönlicher denn ideologischer Natur. Berlusconis «Forza Italia»-Partei stimmte denn auch nicht für La Russa. Deshalb fehlten ihm zur Wahl 17 Stimmen. Die Linke war es dann, die ihm die fehlenden Stimmen brachte – keine Meisterleistung der linken Opposition.
La Russa und Meloni hatten 2012 die Berlusconi-Partei verlassen, weil diese einen zu wenig rechtsgerichteten Kurs vertrat.
Genugtuung für Salvini
La Russa und Fontana besetzen nun also die prestigeträchtigen, einflussreichen Posten der Kammerpräsidenten. Für Meloni ist dies immerhin ein erster Erfolg.
Auch für Matteo Salvini, den Lega-Präsidenten, laufen die Dinge jetzt besser. Er, der bei den jüngsten Wahlen eine schreckliche Niederlage erlitten hatte, rappelt sich wieder auf. Die Wahl seines Freundes Fontana ist eine Genugtuung für ihn.
Die alten Geister
Nur: Meloni hat sich im Wahlkampf ein gemässigtes, demokratisches Image zugelegt. Sie hat sich von allem Extremistischen distanziert. Die alten Geister könnten sie jetzt wieder einholen. Indem sie ausgerechnet La Russa und Fontana auf den Schild gehoben hat zeigt, dass ihr gemässigtes Wahlkampf-Image vielleicht eben doch nur Fassade war und dass noch einiges postfaschistisches Blut in ihren Adern strömt. Der linke Abgeordnete Alessandro Zan sagte. «Das ist von Seiten Giorgia Melonis kein Auftakt, der Mut macht.»
Meloni hat Mühe, eine neue Regierung zu bilden. «Fehlstart» heisst es in den sozialen Medien. Die Rechtspopulisten seien «auf dem falschen Fuss erwischt worden», schreibt La Repubblica. Eigentlich müssten Melonis Fratelli d’Italia, Salvinis Lega und Berlusconis Forza Italia zusammenstehen, um eine Regierung zu bilden. Doch in diesen Tagen ist nichts davon zu spüren. «Desta, la maggioranza non c'é», schreiben die Zeitungen.
«Aufgeblasen, überheblich, arrogant»
Vor allem Berlusconi haut auf die Pauke. Die Beinahe-Ministerpräsidentin Meloni sei «aufgeblasen, überheblich, arrogant und beleidigend», schrieb er auf einen Zettel. In einer früheren Version schrieb er, sie sei eine «lächerliche» Person. Den jetzigen Senatspräsidenten La Russa hat er längst in die Hölle geschickt.
Doch Meloni ist auf Berlusconi angewiesen. Allein kann sie nicht regieren. Da ist noch immer der Zwist wegen Berlusconis enger Getreuen Licia Ronzulli. Berlusconi will, dass sie, eine ehemalige Krankenpflegerin und Beschafferin junger Frauen, einen wichtigen Ministerposten erhält, Meloni will nicht. Die beiden Frauen hassen sich.
Nach Angaben italienischer Journalisten toben hinter den Kulissen «schreckliche Kämpfe». All das verspricht nichts Gutes für die neue Regierung.
Wie sagte der abgetretene Ministerpräsident Mario Draghi: «Regierungen kommen, und Regierungen gehen. Und Italien wird überleben.»