«They never come back» ist eine alte Weisheit im Schwergewichtsboxen. In Italien gilt das Gegenteil: «They always come back».
Jüngstes Beispiel: Silvio Berlusconi, der 86-jährige vierfache Ministerpräsident, ist am Donnerstagvormittag ins Italienische Parlament eingezogen, als Senator. Dies, obwohl er als dreister Lügner ertappt wurde, dies, obwohl er wegen Korruption verurteilt wurde und sein Senatorenmandat abgeben musste, dies, obwohl er enge Beziehungen zur Mafia hatte. Nach neun Jahren parlamentarischem Zwangsurlaub ist er wieder da.
Als er sich am Mittwochvormittag vor dem Sitz des Senats in Rom zeigte, jubelten ihm Dutzende Menschen zu. Eine Frau rief: «Silvio, Sie sind der Grösste». Dessen ist sich Berlusconi längst bewusst. Er drehte sich um und grüsste die Frau mit (fast) ausgestrecktem Arm.
Die treue Weggefährtin
Er ist nicht nur wieder da: Er spielt eine aufmüpfige Rolle und mischt sich penetrant in die Regierungsbildung ein. Er weiss: Ohne ihn kann Giorgia Meloni, die Wahlsiegerin, keine Regierung bilden. Und er stellt Forderungen.
Vor allem will er, dass seine Weggefährtin, die heute 47-jährige Licia Ronzulli, ein wichtiges Ministeramt erhält. Ronzulli, Senatorin und Mitglied des Europäischen Parlaments, ist nicht irgendwer. Sie war es, die Berlusconi stets treu ergeben war und die «frivolen Partys» in seiner Villa organisierte – Partys, an denen meist junge Frauen teilnahmen. Ob Ronzulli Berlusconi auch anders diente und näherkam, ist umstritten. Von Beruf war Ronzulli Krankenpflegerin. Berlusconi nannte sie «meine Sekretärin». Sie soll Gesundheitsministerin werden. Es erstaunt, mit welcher Verve sich der Forza Italia-Chef für Ronzulli ins Zeug legt.
In Römer Journalistenkreisen heisst es, Berlusconi habe gedroht, Meloni nicht zu unterstützen, wenn seine Getreue nicht ein wichtiges Regierungsamt erhalte.
Allein kann sie nicht regieren
Etwas kann man Meloni nicht absprechen: Sie ist schlau. Im kleinen Kreis soll sie gesagt haben: Ich will keine faulen Eier in meinem Korb, also: keine Ronzulli in ihrer Regierung.
Anderseits ist die postfaschistische Meloni in einer schwierigen Lage. Sie hat zwar die Wahlen gewonnen, ihre «Fratelli d’Italia» sind mit Abstand stärkste Partei. Doch allein kann sie nicht regieren. Sie braucht die Unterstützung Berlusconis – und vor allem auch jene von Matteo Salvini.
Salvinis unverschämte Forderungen
Er, der Anführer der rechtspopulistischen, teils rassistischen «Lega» gebärdet sich immer dreister. Zwar hat er bei den Wahlen eine katastrophale Schlappe erlitten, doch er weiss: Ohne ihn ist Meloni machtlos.
So stellt er denn unverschämt Forderungen. Vor allem möchte er, der nur noch 8 Prozent der Wählerinnen und Wähler hinter sich weiss, ein ganz wichtiges Amt im künftigen Politbetrieb. Am liebsten würde er den prestigeträchtigen und sehr einflussreichen Posten des Innenministers besetzen. Bereits hatte er angekündigt, er würde dann wieder die italienischen Häfen für Flüchtlinge schliessen. Meloni zögert offenbar, ihn mit diesem Amt zu betrauen.
Und wenn es nicht zum Innenminister reicht, dann vielleicht zum stellvertretenden Ministerpräsidenten?
Dünne Personaldecke
Drei Wochen nach den Wahlen hat Staatspräsident Sergio Mattarella die 46-jährige Meloni noch immer nicht mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Das liegt daran, dass die Wahlsiegerin noch immer auf der Suche nach geeigneten Ministern und Ministerinnen ist. Das Personal, das dafür in Frage kommt, ist dünn gesät.
Zwar wollte sie ursprünglich eine Regierung allein aus Politikern bilden, doch vielleicht muss sie jetzt doch auf Fachkräfte, auf Technokraten zurückgreifen. Wird sie vielleicht einen Technokraten als Finanzminister einsetzen, um Brüssel zu beruhigen?
Alles nur Fassade?
Meloni gibt sich in diesen Tagen besonnen, pragmatisch und clever. Sie versucht, ihr rechtsextremes, rechtspopulistisches Image abzustreifen. Sie hat sich klar auf die Seite der USA und der Nato geschlagen und verurteilt Putin mit scharfen Worten. Auch die Wirtschaft versucht sie mit vernünftigen Parolen zu beruhigen.
Viele fragen sich allerdings in Rom, ob das alles nur Fassade ist und ob sie bald einmal ein anderes Gesicht zeigt. Am vergangenen Wochenende hat sie eine Video-Grussbotschaft der rechtsextremen spanischen VOX-Partei übermittelt, was nicht ganz zu ihrem angeblich neuen Image passt. Beobachter erklären dies damit, dass sie ja ihre rechtsextreme Klientelschaft weiterhin bedienen muss.
Wird sie bald einmal wieder zu ihrer legendären aufbrausenden, lauten, verletzenden, ausgrenzenden Art zurückkehren? Wird sie sich bald einmal wieder wie die Fischverkäufer von Trastevere gebärden? Diese sind für ihr lautes Geschrei bekannt.
Unter Zeitdruck
Am Donnerstagmorgen war das neue, gestutzte italienische Parlament zu seiner ersten Sitzung zusammengetroffen. Da tagen Abgeordnete und Senatoren und wissen noch nicht, wie die neue Regierung aussieht und was sie vorhat. Der Postfaschist Iganzaio La Russa und Bewunderer Mussolinis als «historische Figur» wurde zum Senatspräsidenten gewählt – Meloni konnte sich durchsetzen. Der Senatspräsident ist der zweitwichtigste Mann in der Regierung.
Meloni steht nun unter Druck, bald eine Ministerliste vorzulegen. Diese muss sie dann Staatspräsident Matarella vorlegen. Er kann einzelne Minister ablehnen.
Nicht zu beneiden
Die Ministerliste muss dann von beiden Kammern des italienischen Parlaments gutgeheissen werden. Es ist damit zu rechnen, dass Italien nicht vor Ende dieses Monats eine neue Regierung erhält.
Das Gerangel um die Kabinettsposten geht jedenfalls zur Zeit weiter. Eigentlich ist Meloni nicht zu beneiden. Sie hat die Wahlen klar gewonnen. Doch die Führer der beiden Schrumpfparteien Lega und Forza Italia blasen ihr den Marsch.