Das Massaker in Houleh bei Homs hat stattgefunden. Sogar die syrischen Propagandaorgane räumen dies ein. Allerdings ohne zu sagen, wer genau die Opfer waren und wieviele. Um dies zu erfahren, muss man sich an den Sicherheitsrat wenden, dessen Beobachter in Syrien stehen und in Houleh gewesen sind. Der Sicherheitsrat glaubt, nach den letzten Dartellungen, dass die Todesopfer 108 seien, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Die Verwundeten seien "mehrere Hundert". Es seien auch "schwere physische Übergriffe" gegen die Opfer zu verzeichnen.
Information via New York
Die Beobachter können nicht direkt an die Öffentlichkeit gelangen, denn sie sind keine Journalisten und keine Pressephotographen. Sie geben ihre Berichte zuerst "nach oben" durch - an ihr militärisches Oberkommando, und dieses leitet sie an den Generalsekretär des Sicherheitsrates weiter. Dann wird über sie im Sicherheitsrat gestritten. Es gibt dort Diplomaten und Aussenminister, die das Massaker in seiner ganzen Grausamkeit (und Sinnlosigkeit) wahr haben und publiziert sehen möchten. Es gibt aber auch Diplomaten und Aussenminister, die von ihrer Regierung beauftragt sind, das Massaker möglichst klein zu schreiben, oder sogar soweit möglich in Frage zu stellen.
Damaskus streitet Schuld ab
Wenn es zu der Frage kommt, "wer ist schuld an dem Massaker?" scheiden sich die Geister im Sicherheitsrat noch entscheidender. Dass etwas geschehen ist, geben alle Seiten zu. Doch die offizielle syrische Propaganda sagt, die Schuldigen seien die "vom Ausland gesteuerten Banden", die Damaskus bei jeder Gelegenheit vorschützt.
Die Vertreter Russlands und Chinas im Sicherheitsrat, und ihre Auftraggeber, die Aussenminister, gehen nicht so weit, einfach die syrische Version zu wiederholen. Sie beschränken sich darauf, festzustellen, dass keine absolut stichfesten Beweise vorlägen, dafür, dass Damaskus der einzige Schuldige sei.
"Verschwommene" Schuld?
Wie es der russische Vertreter im Sicherheitsrat sagte, die Vorgänge in Houleh seien "verschwommen". Diese Verschwommenheit nahm er als Vorwand, um seinerseits alle Sanktionen durch die Uno abzulehnen. (Sanktionen durch einzelne Mächte, die USA, Europa, usw. die nicht von der UNO abhängen, gibt es; doch sie genügen nicht, um das Regime zu Fall zu bringen).
Russland und China haben ein Interesse am Fortbestehen des Asad- Regimes, und sie wollen beide vermeiden, dass in Syrien eine Aktion zustande käme, die jener von Libyen gegen Ghaddafi gleichen könnte.
Artilleriebeschuss eingeräumt
Doch worin besteht diese "Verschwommenheit"? Houleh ist mit Artillerie beschossen worden, dies ist klar angesichts der Art der Zerstörungen. Nur die syrische Armee verfügt über Artillerie und andere schwere Waffen (von den Russen geliefert). Die Kämpfer auf Seiten der Opposition haben keine. Dies geben sogar die Freunde und Fürsprecher Syriens in der Uno zu.
Wer mordete aus der Nähe?
Doch es gab offenbar auch Opfer, darunter Kinder und Frauen, die aus der Nähe getötet wurden, mit gezielten Schüssen und Messern, manche nach "schwerem physischem Missbrauch", wie die hygienische Sprache der Diplomaten es formuliert. Auch dies ist unbestritten. Wer waren jedoch diese Mörder? "Dies ist nicht der Stil der heroischen syrischen Armee !" posaunt die syrische Propagandamaschine.
Es waren die "Shabiha" oder Nachtgespenster, erklärt die syrische Opposition. Die Miliz der "Shabiha" ist bekannt. Sie besteht aus alawitischen und anderen Zivilisten, die vom syrischen Staat bewaffnet werden und unter der losen Kontrolle der syrischen Geheimdienste stehen. Schon viele Mord- und Schandtaten sind ihr zu Last gelegt worden.
Keine eindeutigen Beweise
Während und nach dem Beschuss, so die syrischen Oppositionellen, seien diese Milizen in den Flecken Houleh eingedrungen und hätten die dortigen Blut- und Schandtaten vollbracht. "Es könnten jedoch auch die Banden gewesen sein, von denen Damaskus redet", erklären die russischen und chinesischen Diplomaten, die im Sicherheitsrat die Interessen Syriens wahrnehmen. "Einen Beweis, dafür, dass es die einen oder die anderen waren, haben wir nicht gesehen. Also ist nichts erwiesen!"
Die Leichen schweigen
In der Tat haben die Beobachter zwar die Leichen gesehen, und sie konnten auch feststellen, das viele davon Kinder und Frauen waren, die durch Schüsse und Messerstiche ermordet wurden, und dass viele "physisch missbraucht" worden seien. Doch sie waren nicht zugegen, als dies geschah. Es gibt Zeugenaussagen, nach denen die schuldigen "Shabiha" gewesen seien. Doch ob diese als "Beweise" annehmbar seien, kann man bestreiten, und die syrische Propaganda wird dies natürlich tun; die syrischen Geheimdienste werden darüber hinaus bemüht sein, derartige Zeugen, sofort zu "beseitigen", falls sie sie auffinden können.
Die pro-syrischen Vetomächte im Sicherheitsrat können sich darauf beschränken, zu erklären, "Zweifel" bestünden; also könne man das Regime von Damaskus nicht verurteilen.
Die Presse fehlt
Die ganze Tragikommödie im Sicherheitsrat könnte so nicht gespielt werden, wie sie gespielt wird, wenn es in Syrien Journalisten und Pressephotographen gäbe, die einigermassen verlässlich darüber berichten könnten, was wirklich geschieht und wie es dort wirklich zugeht.
Damaskus sorgt dafür, dass es diese nicht gibt. Zwar gibt es einige wenige Auslandsjournalisten, die von Damaskus zugelassen worden sind. Doch sie stehen unter genauer Kontrolle der syrischen Regierungs- und Repressionsorgane, und sie wissen, sie werden ausgewiesen, wenn sie etwas schreiben, das den syrischen Behörden allzusehr missfällt. Sie sind auch in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.
Auf der Gegenseite gibt es gelegentlich Journalisten, die unter Lebensgefahr für sie selbst und für ihre Helfer nach Syrien eingeschmuggelt werden, damit sie sehen was vor sich geht. Einige haben ihr Leben verloren, andere wurden verwundet. Sie können jedoch nur bezeugen, was sie auf Seiten und damit auch weitgehend aus dem Blickwinkel des syrischen Widerstandes sehen und erleben. Sie sind darauf angewiesen, sich von den syrischen Oppositionellen verbergen und schützen zu lassen.
Ein schlechter Ersatz für die Weltpresse
Man kann sagen, die Beobachter der Uno sind ein (teurer und unvollständiger) Ersatz für die fehlenden Journalisten. Doch sie können nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Sie sind darauf beschränkt, ihre Beobachtungen an ihr Kommando zu leiten, welches sie, natürlich bereits gesiebt und zusammengefasst, nach New York an den Generalsekretär der Uno weitergibt. Dieser kann seine Meinung publizieren, und er tut es auch.
Doch den Wortlaut der Berichte publiziert er nicht. Über sie wird dann im Sicherheitsrat gestritten, und es steht den Delegierten der Mitglieder des Rates frei, sie zu beurteilen, wie es ihnen passt oder richtig scheint. Sie halten sich dabei an den politischen Auftrag, den sie von ihren Ministerien erhalten. Wie man sieht, können sie die ihnen vorliegenden Informationen als "verschwommen" beurteilen und daher alle Aktionsvorschläge des Sicherheitsrates ablehnen. Oder sie können sie als "glaubwürdig" einstufen und daher als einen Grund für ein notwendiges Einschreiten ansehen.
Es ist eine Art Gerichtsverhandlung über den angeklagten Staat Syrien, in der jedoch die Richter auch die Funktion von Anwälten ausüben.
Damaskus im Bann der eigenen Geheimpolizei
Wozu nützt das Ganze? Es wird das Verhalten von Damaskus schwerlich ändern. In Syrien ist es weniger die Regierung entscheidend als vielmehr die sogenannten Sicherheitsorgane, das heisst die Folterer der mindestens 13 Geheimpolizeien, die den Lauf der Ereignisse bestimmen. Sie tun, was sie wollen, und was ihnen gut scheint. Sie können dies, weil die Regierung für ihr Überleben völlig von ihnen abhängig ist.
Sie verhalten sich so brutal sie nur können, weil sie wissen, wenn die Regierung zu Fall kommt und sie mit ihr, wird die Bevölkerung sie entweder zur Rechenschaft ziehen, oder Rache an ihnen nehmen. Ihnen geht es um ihre heutigen Machtpositionen, und längerfristig um ihr Überleben und um das ihrer Familien, ja das ihrer Religionsgemeinschaft, der Alawiten, welche zu Recht oder zu Unrecht alle mit ihnen identifiziert werden.
Wer hört auf die Uno?
Ähnlich wie die Information nach New York gefiltert wird, kommen die Weisungen wieder nach Syrien zurück. Auf dem Hinweg: Beobachter, Kommando, Sicherheitsrat und dann erst "interpretiert" an die Öffentlichkeit. Auf dem Rückweg: die Ansicht des Sicherheitsrates (ein Kompromiss zwischen Freunden und Feinden des Regimes) wird der syrischen Regierung übermittelt. Von ihr aus müsste sie die syrischen Sicherheitorgane erreichen und diese müssten sich entscheiden, gemäss den "Weisungen" des Sicherheitsrates zu handeln. Was sie schlicht nicht zu tun gedenken.
Keine andern diplomatischen Mechansimen
Dennoch, leider, ist die diplomatische Aktion im Sicherheitsrat das einzige was überhaupt geschieht. Sie wird damit zu einer Art von Entschudigungsgrund dafür, dass sonst nichts getan wird. Es gibt leider gute Gründe dafür, dass sonst nichts getan wird. Die syrischen Sicherheitsdienste und alawitisch kontrollierten Armee-Einheiten könnten nur mit Gewalt gezwungen werden, von ihrem Tun abzulassen. Sie würden möglicherweise entscheidend geschwächt, wenn ihre bisherigen Helfer und Freunde in der Aussenwelt, Russland, China, Iran, in erster Linie, ihre Hilfe in jeder Hinsicht drosseln würden.
Russlands und Chinas "Zurückhaltung"
Gewalt will niemand anwenden, in erster Linie wohl, weil niemand absehen kann, wohin sie führen würde. Eine grosse Gefahr besteht, dass Gewalt von aussen in Syrien, woher sie auch käme, schwere und kaum mehr kontrollierbare Nahost-Wirren auslösen würde. Nicht einmal den Syrern würde dadurch geholfen sein.
Die Diplomaten setzen daher in der Uno und in der internationalen Diplomatie darauf, die Russen und die Chinesen zu einer Zustimmung zu einer Sicherheitsratsaktion gegen Syrien zu bewegen - im Bereich der Sanktionen zuerst und vielleicht später sogar im Bereich der Gewalt von Aussen.Doch die beiden Vetomächte im Sicherheitsrat sind immernoch weit davon entfernt, sich umstimmen zu lassen.
Iran, eine zunehmend wichtige Stütze für Asads Regime, ist ein besonderer Fall. Teheran wird fast täglich mit der "Möglichkeit von Angriffen" aus dem Westen und aus Israel bedroht. Dass es in dieser Lage seine Hand zur Isolierung von Syrien bieten könnte, ist unvorstellbar.
Die Sicht aus Moskau
Im Falle von Russland sollte man sich an Tschetschenien erinnern. Moskau hat die dortigen "Banden", rücksichtslos niedergekämpft. Warum sollte es Damaskus zureden, dies nicht zu tun, wenn es selbst das Gleiche getan hat? Die Russen möchten Asad an der Macht behalten. Wahrscheinlich sehen sie ein, dass er sich selbst sein Grab schaufelt (genauer gesagt: seine Geheimdienste tun es für ihn), wenn er nur mit Repression abreitet und nicht zugleich versucht, politische Schritte zu tun, um sich bei seinem eigenen Volk und in der Völkergemeinschaft wieder zu legitimieren.
Asad ist auf die russischen Ratschläge eingegangen und hat sogar kürzlich "Wahlen" durchgeführt. Doch sie haben ihm für seine Glaubwürdigkeit wenig gebracht, weil alle Syrer wissen, in Wirklichkeit regieren die Geheimdienste, Wahlen hin oder her !
Eine Geste des Sicherheitsrates
Ein kleiner Erfolg des Sicherheitsrates ist zu verzeichnen, der Rat, das heisst auch die Russen und die Chinesen, hat einer Mitteilung zugestimmt, die besagt, Beschuss aus schweren Waffen in Houleh habe stattgefunden. Dies sei ein Bruch der Verpflichtungen, die Syrien eingegangen sei. Das Communiqué sagt weiter, die Ratsmitglieder verurteilten auch "das Töten von Zivilen aus der Nähe und unter schwerem physischen Missbrauch". Ohne einen dafür Verantwortlichen zu nennen. Es handelt sich, wie ausdrücklich bemerkt wird, um eine "nicht handelnsverbindliche Mitteilung".
Dass dies einen "Wendepunkt" in der syrischen Frage abgäbe, sollte man nicht behaupten. Die Verteidiger Syriens im Sicherheitsrat gaben einfach soweit nach, wie sie es mussten, um ihre Glaubwürdigkeit halbwegs zu bewahren, jedoch ohne den Behauptungen der syrischen Propaganda zu widersprechen, nach denen die Untaten "Banden" zugeschrieben werden müssten.
Es wird weitergehen
Kein Wendepunkt bedeutet leider auch: die Massaker werden andauern und drohen sich weiter auszubreiten. Nur Gewalt von aussen könnte die syrischen Geheimdienste (und auf sie kommt es an ! ) dazu zwingen, ihr Verhalten zu verändern. Gewalt von aussen ist nicht in Sicht, ausser in der Form der mehr oder weniger geheimen Waffenhilfe für die Aufstandsbewegung von Seiten Saudiarabiens und Gesinnungsgenossen. Diese dient mehr dazu, den Bürgerkrieg zu erhalten, als ihn in absehbarer Zeit zu Ende zu bringen.
Armee gegen Volk, wie lange?
Noch ist die syrische Armee in Waffen und Mannschaften den Bewaffneten der Opposition weit überlegen. Doch dass diese Armee die auf äusserste erbitterte wahrscheinliche Mehrheit der ganzen syrischen Bevölkerung auf Dauer dazu zwingen könnte, sich ihr zu ergeben und unterzuordnen, ist schwer zu glauben. Auf die Dauer wird sie verlieren.
Doch wie lange das dauern wird - Monate? Jahre? - kann niemand wirklich voraussagen. Und je länger das politische und militärische Ringen andauert, desto mehr Opfer wird es Syrien kosten. Desto mehr Massaker werden stattfinden. Desto schwieriger wird es auch werden, den syrischen Staat, nach dem auf lange Sicht zu erwartenden Sturz des Regimes Asad, in neuer Form wieder aufzubauen.