Am vergangenen Wochenende wartete der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko mit einer Überraschung auf. Er ernannte den früheren Präsidenten Georgiens, Micheil Saakaschwili, zum Gouverneur des Oblasts (Gebiets) Odessa und verlieh ihm gleichzeitig die ukrainische Staatsbürgerschaft.
Politischer Hasardeur
Das klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte. In seiner Heimat läuft gegen Saakaschwili ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs. Saakaschwili musste 2013 nach zwei Amtsperioden als Präsident zurücktreten, weil er das Land in eine tiefe Krise gestürzt hatte und extrem unpopulär geworden war.
Seinen Aufstieg verdankte der politische Hasardeur vor allem dem früheren US-Präsidenten George W. Bush. Vorher arbeitete der Jurist in einer New Yorker Anwaltskanzlei, bis er 1995 noch unter Bushs Amtvorgänger Bill Clinton in die georgische Hauptstadt Tiflis katapultiert wurde. Dort diente er sich zunächst dem Präsidenten Eduard Schewardnadse an, betrieb dann aber aktiv dessen Sturz. 2004 wurde Schewardnadse von der „Rosen-Revolution“ Saakaschwilis hinweggefegt, der ihm als Staatschef nachfolgte.
George W. Bush-Strasse in Tiflis
Mit der Ukraine verbindet Saakaschwili einiges. Er hatte zur Sowjetzeit einen Teil seiner Studien in Kiew absolviert. Obwohl damals die Unterrichtssprache in der Ukraine Russisch war, lernte er Ukrainisch im täglichen Umgang. Ein weiterer Bezug zur Ukraine liegt darin, dass seine von den USA finanzierte „Rosen-Revolution“ in Georgien zum Muster der „orangen Revolution“ in der Ukraine wurde. Später trat Saakaschwili mehrmals auf dem Maidan in Kiew auf, um Stimmung gegen Russland zu machen.
Die zwei Achsen seiner Aussenpolitik waren der Beitritt Georgiens zur Nato und der EU. Militärisch wurde er von den USA und Israel unterstützt. Diese beiden Staaten lieferten modernes Kriegsgerät, Uniformen und Instruktoren. Saakaschwili bedankte sich, indem er eine Strasse in Tiflis nach George W. Bush benannte und mehrmals zu feierlichen Anlässen nach Israel reiste, wo ihm die Würde eines Ehrendoktors der Universität Haifa verliehen wurde.
Überraschungsangriff
Die Unterstützung der USA und Israel verleitete Saakaschwili aber zur Selbstüberschätzung. In der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008, inmitten einer innenpolitischen Krise, traten die georgischen Streitkräfte zur Rückeroberung der abtrünnigen Provinz Süd-Ossetien an. Russland hatte dort seit 1992 mit Zustimmung der Uno „Friedenskräfte“ stationiert. Die georgische Armee belegte die Stadt Zchinwali mit starkem Infanteriefeuer, während gepanzerte Verbände vorrückten. Die Russen waren offenbar überrascht, denn sie benötigten zwei Tage, um Verstärkung herbeizuschaffen. Dann aber rückte die russische Militärmaschine bis zum Schwarzen Meer vor, während russische Kriegsschiffe die georgischen Häfen blockierten.
Am 16. August wurde unter Vermittlung des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ein Waffenstillstand vereinbart. Die Russen zogen ab. In Genf finden seither Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts statt, die aber ausser einigen menschlichen Erleichterungen nichts brachten.
Oligarchen und Strippenzieher
Über die Kriegsschuld wird mächtig gestritten. Die einen machen das Abenteurertum Saakaschwilis für den Waffengang verantwortlich; die anderen wollen darin die Umsetzung eines bereits 2006 beschlossenen Plans des russischen Generalstabs sehen. Saakaschwili erklärte später, er habe fest mit einem Eingreifen der Nato gerechnet.
Für den georgischen Präsidenten war das militärische Debakel jedenfalls der Anfang vom Ende. Er verlor die Parlamentswahlen und kehrte nach New York zurück – bis zu seiner überraschenden Ernennung zum Gouverneur von Odessa.
Odessa ist die grösste ukrainische Hafenstadt mit mehr als einer Million Einwohnern, die überwiegend russisch sprechen. Von den Kriegswirren ist die Region weitgehend verschont geblieben. Was Saakaschwili dort vollbringen soll, ist unklar. Man liegt aber sicher nicht falsch, dahinter das Wirken lokaler Oligarchen und ausländischer Strippenzieher zu vermuten.