Rechte Parteien und ihre faschistischen Wiedergänger gewinnen mehr und mehr an Einfluss – in Deutschland und in Europa. Finstere Parolen der Vergangenheit melden sich mit ihnen zurück. Dagegen hilft nur der Stolz demokratischer Vernunft.
Der Wumms kommt nicht von Scholz, sondern von rechts. Während die Rechtspopulisten ganz besonders in Deutschland die bürgerlichen Parteien vor sich her treiben, üben sich diese in Beschwörungen, die wie Stossgebete von Sterbenskranken wirken. Es darf doch nicht sein … Gerade jetzt zum Auftakt für die Europawahl appellierten Politiker wie Olaf Scholz und die Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, an die Wähler, sich für die Demokratie zu entscheiden. Gut gemeint.
Wir gegen die anderen
Nicht nur in Deutschland stellt sich die Frage, in wieweit die Abgrenzung gegen rechts gelingen kann. So besteht ein leider nicht undenkbares Szenario darin, dass Björn Höcke nach den Wahlen am 1. September 2024 der nächste Ministerpräsident von Thüringen wird. Die AfD ist dort die stärkte Partei. Die SPD könnte an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Nach einem Gerichtsurteil darf Björn Höcke als Faschist bezeichnet werden. Und es lässt sich hinzufügen, dass er vom Typ her stark an die Hitlerzeit erinnert – um es etwas allgemein auszudrücken.
Und er redet auch so. Seine Beschwörungen deutschen Volkstums sind keine lächerliche nostalgische Folklore. Sie sind Erzählungen von ungeheurer Wucht. Denn sie setzen der demokratischen Orientierung an rationalen Diskursverfahren, gesichert durch demokratisch legitimierte Parlamente und Regierungen, Ansprüche im Namen völkischer Herkunft entgegen. «Wir gegen die anderen», das ist die Parole. Wer fragen würde, wer denn mit «wir» gemeint ist, dem würde geantwortet: «Sie sind wohl nicht von hier.»
Die Wucht der Narrative
Historiker und Politikwissenschaftler analysieren seit geraumer Zeit, wie sich auch in Russland, China, Afrika, aber durchaus auch in eher kleineren Regionen Erzählmuster ausbreiten, die angeblich auf religiösen oder regionalen kulturellen Traditionen beruhen. Diese «Narrative» bilden die Kerne von Identitätserfahrungen, aus denen politische Bewegungen von grosser Radikalität hervorgehen. Und diese politischen Bewegungen sind unbesiegbar. Jeder «Feind» bestätigt sie nur. Und schon gar nicht sind sie offen für rationale Argumente.
Aus deutscher Sicht ist es geradezu erschütternd, dass sich die rechten Bewegungen auf Vorstellungen von völkischen Wurzeln des wahren deutschen Volkes stützen, die seit mindestens 200 Jahren herumgeistern und wieder und wieder als Illusionen und Wunschdenken entlarvt worden sind. Es gibt kein ethnisch einheitliches deutsches Volk und es gibt auch keine einheitliche deutsche Geschichte mit einem roten Faden.
Aber darauf kommt es nicht an. Was zählt, sind die Emotionen in den Narrativen. Die enthalten eine Wucht, die der rationale Diskurs über die Tugenden der Demokratie und über den Beitrag, die die bürgerlichen Parteien dazu geleistet haben, niemals erreichen kann. Denn aus der Sicht der Völkisch-Rechten ist es ja gerade die Rationalität ihrer demokratischen Widersacher, die sie ablehnen und mit ihren völkischen Intuitionen bekämpfen. Das sind zwei völlig verschiedene Ebenen. Nicht umsonst wirken die führenden demokratischen Politiker blass, auch wenn sie versuchen, rhetorisch aufzudrehen.
Der Geist der Demokratie
So lange die Demokraten gegen die Rechten wettern und Demonstranten wacker auf Strassen und Plätze gehen, ist die politische Welt noch halbwegs in Ordnung, denn die Grenzen sind klar markiert. Aber dahinter kichert nicht nur Björn Höcke in seinem Triumph, es schon so weit gebracht zu haben, als Ministerpräsident zumindest nicht undenkbar zu sein. Es lachen sich dazu noch zahlreiche kommunale Politiker der AfD in ihren amtlichen Funktionen, die von den Demokraten nicht einfach umgangen werden können, ins Fäustchen. Und dazu kommt die immer häufiger gestellte Gretchenfrage, ob Anträge, die von rechts kommen oder wenigstens von rechts unterstützt werden, von demokratischen Politikern approbiert werden dürfen.
Die Rechten streuen Sand ins politischen Getriebe. Sie benutzen demokratische Verfahren, um diese zu zerstören. Ihr Grundverständnis, ihr Narrativ, ist nicht demokratisch. Das Getriebe läuft einige Zeit, aber die Zahnräder greifen immer schlechter, bis das Getriebe ausfällt und die Rechten es als unbrauchbar hinter sich lassen können. Hitler wurde auch demokratisch gewählt. Und er verstand es, Sand ins Getriebe zu streuen, bis er das ganze System ohne Widerstand okkupieren konnte. Demokraten wissen das und sind entsprechend gewarnt.
So hilft es nichts, den Rechten politisch bei Forderungen entgegenzukommen, bei denen sie am lautesten schreien. Denn keine Massnahme gegen Ausländer oder gegen die Migration wird die Unersättlichkeit populistischer Abschottungswünsche befriedigen. Und man muss auch sehen, dass die Rechten im Dunstkreis des Faschismus in vielen Ländern Europas sehr weit nach vorne gerückt sind. Da helfen keine Pflästerchen. Vor diesem dunklen Horizont stellt sich eine neue Gretchenfage: «Glaubst Du an den Geist? An den Geist der Demokratie? Wenn das so ist, kannst Du stolz darauf sein. Damit solltest Du mutig angreifen.»
Es kann auch nicht schaden, darauf zu pochen, dass der Fortschritt nicht in der Vergangenheit liegt.