Wer hat Giftgas eingesetzt? Und macht es irgend einen Sinn, dafür völkerrechtswidrig Syrien zu bombardieren? Als hätte die Welt nicht grössere Probleme. Zum Beispiel die giftige Blase, die sich weiterhin im Finanzsystem aufpumpt.
Am 15. September 2008, ja, ist schon fünf Jahre her, brachte der Bankrott der US-Zockerbank Lehman den weltweiten Geldhandel an den Rand einer Kernschmelze. Seither ist viel passiert, allerdings nur Ungutes.
Leere Worte ...
Regierende und Politiker kündigten weltweit ein energisches Durchgreifen an. Eine Kontrolle der virtuellen Geldblase von über 600 Billionen Dollar, aufgepumpt durch Derviate-Spekulationen. Wiedereinführung des Trennbankensystems, also die Separierung von Banken mit Publikumsverkehr und Investmentfinanzhäuser. Besteuerung und Einschränkung des High Frequency Tradings, wo mit Computerkraft in Millisekunden gezockt wird. Deutliche Erhöhung des Eigenkapitals bzw. Reduzierung der Bilanzsumme, um mit geliehenem Geld gehebelten hochriskanten Spekulationen einen Riegel zu schieben. Deckelung der Boni, um die kurzfristige Geldgier von Bankstern zu zügeln. Zerschlagung von Banken, die ein Systemrisiko darstellen und deshalb «too big to fail» sind. Alles Wortblasen.
... und klare Taten
In den meisten Industrieländern hat sich die Bilanzsumme der Banken, in Prozent des Bruttoinlandprodukts gemessen, in den letzten zehn Jahren deutlich vergrössert. Betrug sie beispielsweise in Grossbritannien schon 2002 fast 350 Prozent, ist sie bis 2012 auf knapp 500 Prozent gestiegen. In den wackelnden Eurostaaten Spanien, Italien und Frankreich ist es ähnlich. Weltweit ist das durchschnittliche Eigenkapital von Banken von lächerlichen 2 Prozent auf nicht minder lächerliche 3 Prozent gestiegen. Alleine in Europa müssten die Banken ihre Bilanzen in den nächsten Jahren um 3,2 Billionen Euro reduzieren und 47 Milliarden frisches Kapital aufnehmen, um als stabil gelten zu können.
Trennbankensystem, Transaktionssteuer, Abschmelzen von Boni, Zerschlagung von Zombie-Banken oder systemgefährdenden Riesendinosauriern – Fehlanzeige. Stattdessen hängen die meisten Banken am Tropf von Gratisgeld, das ihnen von den wichtigsten Notenbanken der Welt nachgeschmissen wird. Kein Wunder, machen einige von ihnen wieder Milliardengewinne. Das würde auch jedes Transportunternehmen schaffen, wenn der Treibstoff Benzin gratis wäre. Aber das ist nicht mal das Schlimmste.
Schlimmer geht’s immer
In der vorausschauenden Befürchtung, dass im «worst case», wie ein Banker zu sagen pflegt, Regierungen doch tatsächlich zu Regulierungsmassnahmen greifen könnten, haben Finanzhäuser weltweit ein Parallelsystem von sogenannten Schattenbanken aufgebaut. Dabei handelt es sich um Ableger, in die Bankgeschäfte ausgelagert werden, die aber den Vorteil haben, keine Banklizenz zu brauchen und daher fast keiner Kontrolle zu unterliegen. Früher waren das reine Spekulationsvehikel wie Hedgefonds. Heute bestreiten sie in den USA bereits rund die Hälfte des klassischen Bankenmarktes, wie beispielsweise die Vergabe von Hypothekarkrediten.
Aus Angst vor möglichen Einschränkungen der Zockerei an den Börsen haben Banken weltweit längst sogenannte «Dark Pools» eingeführt, Handelsplattformen für schnelle Nummern von Finanzakrobaten. Dort gibt es keine Offenlegungspflicht für Transaktionen, keine Kontrollen, kaum Regeln. Käufer und Verkäufer handeln anonym, wie in einschlägigen Lokalen für Sexualkontakte, von denen der Namen entlehnt wurde.
Die beiden Begriffe Schattenbanken und «Dark Pools» wurden übrigens nicht von bösartigen Kritikern der Banksterwelt erfunden, sondern sind offizielle Bezeichnungen, die in jedem Lexikon nachgeschlagen werden können.
Reine Ankündigungen
Zumindest mit dem Schattenbankensystem will sich der G-20-Gipfel von heute und morgen offiziell beschäftigen. Als sich immer klarer abzeichnete, dass ein vergleichbar nebensächliches Problem wie der Giftgaseinsatz in Syrien all diese Themen überschatten wird, da knallten die Champagnerkorken in den Chefetagen der Grossbanken. Dabei schwebt die Finanzgiftblase weiterhin über der ganzen Welt, und sie ist seit 2008 deutlich grösser und gefährlicher geworden.
Sollte sich fünf Jahre danach ein Fall Lehman wiederholen, würden zwar ein paar wenige inzwischen installierte Mechanismen eine mögliche Kernschmelze des weltweiten Finanzsystems verlangsamen. Da aber der rotglühende Kern von Zockerei und hochriskanten, gehebelten Spekulationsgeschäften nicht kleiner, sondern grösser geworden ist, ist das Risiko deutlich gewachsen.
Schon lange wird vergeblich zumindest eine Anhebung des Eigenkapitals von Banken auf 15 bis 20 Prozent gefordert. Nicht durch «risikogewichtete» komplizierte und unüberschaubare Schönrechnereien, sondern einfach gemessen an der Bilanzsumme. Mit Angstmacherei und der Behauptung, dass das die Versorgung der Wirtschaft mit Geld gefährden würde, konnte das bislang verhindert werden. Es ist ein Aberwitz: Wer für den Giftgaseinsatz in Syrien verantwortlich ist, bleibt zurzeit ungewiss. Wer für die sich weiter aufpumpende Finanzgilftblase verantwortlich ist – und wer von ihr profitiert – ist offensichtlich. Aber dennoch wird Syrien wohl bombardiert werden. Beim viel grösseren Problem hingegen werden es die Regierenden mal wieder bei Wortblasen bewenden lassen.