Gemeinsam ist allen diesen fünf Orten, dass sie zu aktuellen Brennpunkten weltweiter Demokratie-Entwicklung zählen. In der Ukraine dürfte Putin, vom einflussreichen konservativen Kolumnisten der “New York Times”, David Brooks, als “a KBG-thug on top of a crumbling empire” charakterisiert, höchstens temporär einen gewissen Erfolg haben. Längerfristig könnte sich die Ukraine im besten Falle zum europäischen Rechtsstaat, wahrscheinlicher aber zur Grauzone zwischen dem demokratischen Europa und dem notorisch zwischen Aufklärung und autoritärem Feudalstaat schwankenden Russland werden.
Zerstörerische Kräfte im Mittleren Osten
Syrien ist das momentan dramatischste Beispiel, wie die zwei bekannten, gleichermassen zerstörerischen Kräfte in der arabischen Welt - pervertierter Islam (ISIS) und verhockte Clan-Wirtschaft (Asad-Regime, aber auch das Militärregime in Ägypten sowie letztlich die Ölprinzenfamilien am Golf) - den arabischen Frühling in einem makabren Totentanz zertreten. Schlimm, aber ‘sui generis’.
Der Westen, speziell Europa als Nachbar des Mittleren Ostens, muss einspringen und helfen, wo möglich und vertretbar. Ob dem Frühling doch noch einmal ein arabischer Sommer - in Form der Erstarkung einer dritten Kraft, der Zivilgesellschaft - folgt, wie das in Tunesien nicht ausgeschlossen erscheint, ist wichtig, faszinierend aber stategisch nicht entscheidend.
“Washington consensus vs. Beijing consensus”
Die Verschiebung des Mittelpunktes in der globalen Machtverteilung von Europa und der amerikanischen Ostküste in den Grossraum Asien-Pazifik (AP), vom Nordatlantik in den ‘Indo-Pacific’ (von der amerikanischen Westküste bis nach Indien), ist bereits im vollen Gange. Nicht zufälligerweise sprechen die Theoretiker der internationalen Beziehungen vom alles überschattenden Gegensatzpaar ‘Washington consensus vs. Beijing consensus’, vom Wettkampf zwischen demokratischem Kapitalismus und autokratischem Kapitalismus. Im AP liegen die bevölkerungsreichsten Staaten der Welt und ein guter Teil der globalen Rohstoffreserven. Hier befinden sich die grössten Produktions-, und schon in absehbarer Zukunft auch die weltgrössten Absatzmärkte.
Europa, und damit auch die Schweiz, als Exporteur von Qualitätsprodukten, als Ideengeber und Vorreiter für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, aber auch als Bastion unverzichtbarer Werte für die wir traditionell Weltgeltung beanspruchen, muss direktes und aktives Interesse haben an diesem Wettstreit der Systeme.
Indiens lähmender Gegensatz
Eine Momentaufnahme der Entwicklung von Rechtsstaat und Demokratie im AP zeigt, wie nicht anders zu erwarten, ein komplexes Bild. Indien zunächst, mit einem neuen Präsidenten, welcher angetreten ist, das bevölkerungsreichste Land der Welt endlich von seinem alles lähmenden Gegensatz zu befreien zwischen materiellem Fortschritt für die Einen und auswegslosem Verharren in absoluter Armut für die Anderen. Von den drei Säulen, welche der amerikanische Philosoph Francis Fukuyama, der derzeit führende Theoretiker politischer Systeme, als unverzichtbar definiert hat, erfüllt Indien anderthalb. Das Land ist eine Demokratie und ein halber Rechtsstaat.
Ein grundsätzlich vorhandenes und theoretisch vom Staat unabhängiges Rechtswesen ist in der Praxis so ineffizient und korrupt, dass es seinen Zweck als Korrektiv der Staatsmacht nur unzulänglich - halb eben - erfüllt. Was Indien mit Blick auf die Fukuyama-Triade nicht hat, ist ein starker Staat, welcher demokratisch gefällte und von der Justiz auf Vereinbarkeit mit Grundwerten abgeklopfte Entscheide dann auch umsetzt. Ob Präsident Narendra Modi einst als Reformer oder Versager in die indische Staasgeschichte eingehen wird, hängt primär davon ab, ob es ihm trotz ideologisch gefördertem Aufstieg als extremer Hindu gelingen wird, eine für alle Inder gerechte Staatsmacht zu schaffen.
In China fehlen zwei Säulen
China dient hier als zweites Beispiel von Demokratieentwicklung, mit dem aktuellen Brennpunkt der ‘Regenschirmrevolution’ in Hong Kong. Im Gegensatz zu Indien erfüllt China das Kriterium starker Zentralstaat, die zwei weiteren Säulen Demokratie und Rechtsstaat fehlen aber. Beijing’s Resultatblatt mit Bezug auf die Fukuyama-Triade zeigt also das Resultat ‘eins aus drei.’ Das hat sich in den letzten Wochen in Hong-Kong bestätigt.
Weil das im chinesischen Schaufenster zur Welt nicht anders möglich war, hat Beijing, via die Marionettenregierung in Hong-Kong, zwar Abstand genommen von direkter und blutiger Unterdrückung, hat aber in der Sache nicht um einen Millimeter nachgegeben: Demokratie ist auch in Hong Kong das, was die CPC, die kommunistische Partei Festlandchinas so beschliesst. Das war wohl nicht anders zu erwarten, bedeutet aber doch eine verpasste Gelegenheit für den unter neuen Vorzeichen angetretenen chinesischen Präsidenten Xi Jingping, welcher immer mehr Mao, und nicht Deng Hsiao Peng nachzueifern scheint.
Hongkong als verpasste Gelegenheit für Peking?
Dies wird sich konkret in dreifacher Hinsicht negativ auswirken. Hong Kong als Finanz- und Wirtschaftsmetropole, mit einem bislang als relativ unabhägig angesehenen Rechtssystem, erleidet nicht wieder gutzumachenden Schaden. Auf mittlere Frist werden grosse internationale Konzerne für ihre Kernfunktionen wie R&D, Tresorerie und allfällige Börsengänge auf andere asiatische Metropolen mit grösserer Rechtssicherheit ausweichen, wie beispielsweise Singapur.
China selbst erleidet einen gravierenden Gesichtsverlust dort, wo bislang der wirtschaftlicher Erfolg sein System als attraktiv erscheinen lässt, nämlich in den Wachstumsländern Afrikas und Lateinamerikas. Schliesslich hat Beijing mit dem Abwürgen eines schüchternen Demokratiefühlings in Hong Kong auch bewirkt, dass sich Taiwan, wo robuster, aber demokratischer Parlamentsbetrieb bereits in die politische DNA eingeflossen ist, weiter vom Festland distanziern wird.
Indonesien mit drei ungefestigten Säulen
Angesichts durchzogener Bilanz in Indien und klar negativer in China, erscheint das aktuellste Beispiel von Demokratie-Entwicklung umso bemerkenswerter. Im bevölkerungsmässig dritten Land im AP, Indonesien, wurde eben erstens ein wirklich demokratisch gewählter Präsident eingesetzt, dessen Wahlsieg zweitens vom höchsten Gericht gegen schwerste Druckversuche und Provokationen der unterlegenen, traditionellen Clan-Intressen bestätigt worden ist. Über die letzten Jahre hat Jakarta drittens bewiesen, dass der indonesische Staat sowohl existentielle Bedohungen in Form von Abspaltung (Osttimor) und Autonomie (Aceh) letztlich und einigermassen friedlich verarbeiten, als auch sich gegen die eigenen Islamisten durchsetzen kann.
Das indonesische Resultatblatt zeigt also momentan ‘Drei aus Drei’. Indes sind alle drei ‘Fukuyama-Pfeiler’ noch keineswegs gefestigt. Die Demokratie wurde seit der Wahl von Joko Widodo zum Präsidenten in einem parlamentarischen Handstreich seiner Gegner aus den alten Strukturen wieder teilweise abgeschafft. Die Justiz und überhaupt der gesamte Staatsapparat ist schwer korrupt. Dem Zentralstaat steht die grösste Herausforderung noch bevor, nämlich eine befriedigende Lösung für das Minderheitenproblem in der indonesischen, aber von Melanesiern bevölkerten Provinz West-Papua.
Schliesslich ist die Herausforderung durch den militanten Islam weiterhin virulent; entsprechende Attentate durch ISIS-Heimkehrer, vergleichbar mit der Serie von Bombenanschlägen auf Touristen in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts, können keineswegs ausgeschlossen werden.
ASEAN – ein unabhängiger Machtfaktor?
Präsident ‘Jokowi’ - nach altem malayischem Brauch nur mit einem Namen gerufen - wird sich hier zu behaupten haben. Dasselbe gilt für seine ’gewöhnlichen’ Regierungsgeschäfte, von der Wirtschaftspolitik mit der dringenden Aufgabe zum Abbau der indonesischen Abhängigkeit von internationalen Rohstoffpreisen bis hin zur Aussenpolitik, wo Indonesien naturgemäss die Rolle als ‘Vorort’ der ASEAN (Association of South East Asian Nations) zukommt. Je länger die gegenwärtige indonesische Erfolgs-Story weitergeht und damit die ASEAN um das Inselriesenreich herum an Statur gewinnt, desto eher wird sich der südostasiatische Anspruch vom “…truly Asia” über den Tourismus hinaus auch politisch rechtfertigen lassen.
Die ASEAN könnte so zum relativ unabhängigen Machtfaktor im AP werden. Zwischen den Hauptantagonisten USA und China, und mit einer Gesamtbevölkerung von rund 500 Mio. auch gross genug, um als Markt zu bestehen.
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