Wenige lieben die USA, manche hassen sie, alle wissen, welchen umfassenden Einfluss sie auf uns in Europa haben. Aber kann man dieses vielschichtige, widersprüchliche, schöne, hässliche Land und seine Bevölkerung verstehen? Ja. Dazu muss man nur ein Buch lesen. George Packer hat’s geschrieben, sein Titel: «Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika».
Die vergangenen dreissig Jahre, gespiegelt an einer Handvoll Protagonisten, die Nachzeichnung ihrer Lebensläufe, ihrer Mentalität, ihrer Träume, Lernprozesse, Erlebnisse. Vom Silicon Valley über eine US-Kleinstadt bis Washington. Schwarze, Weisse, Arme, Reiche. Bekannte Menschen wie Oprah Winfrey oder reiche Menschen wie der PayPal-Gründer Peter Thiel. Unbekannte wie die Fabrikarbeiterin Tammy, der gläubige Kleinunternehmer Dean Price. Nicht mehr und nicht weniger als ein epochales Werk mit den Mitteln des Journalismus. Ein Sachbuch über eine Nation in Auflösung, in der den Versprechen von Glück und Wohlstand für alle nicht mehr geglaubt wird. Eine Collage, eine Reportage, eine Komposition aus dem Sound des realen Lebens. Mit journalistischen Mitteln und einer beeindruckenden Gestaltungskraft zu Literatur veredelt, die Realität abbildet, nicht beschreibt.
Packer ist Redaktor bei der US-Zeitschrift «New Yorker», immer noch der Leuchtturm des literarischen Qualitätsjournalismus. Die Begeisterung über Packers Spitzenleistung mischt sich mit der Trauer, dass so etwas im totgesparten deutschsprachigen Journalismus undenkbar wäre.