Man darf sich auch mal selbst zitieren. Im Januar 2012 schrieb ich hier, dass die USA 10 Milliarden Dollar Busse von Schweizer Banken wollen. Nicht schlecht geschätzt. Aber in Wirklichkeit wird’s natürlich noch viel schlimmer.
Abgründige Heuchelei
Die USA sind die grösste Steueroase der Welt, in Florida stehen die grössten Geldwaschmaschinen, in denen echt kriminelles Drogengeld aus ganz Lateinamerika in den US-Finanzkreislauf eingespeist wird. Deutschland steht auf der Liste der Steueroasen der ziemlich kompetenten NGO «Netzwerk Steuergerechtigkeit» weltweit auf Platz neun, noch vor den Bermudas. Während sich Frankreich gerade mal wieder die UBS zur Brust nimmt, kann man nicht nur Schweizer Steuerhinterziehern empfehlen, dort ihr Geld zu verstauen. Natürlich soll das die Schweiz nicht salvieren, nach dem Motto: Die auch, wieso wir nicht? Aber jede moralisch motivierte Verurteilung der Schweiz wird dadurch lachhaft, heuchlerisch, verlogen.
In Wirklichkeit geht es darum, dass immer mehr verlumpende und unter Schulden ächzende Staaten ein neues Steuerrecht einführen. Im Gefolge der USA und ihrem Schnüffelmonster FATCA wollen sie die territoriale Besteuerung durch eine Besteuerung nach Staatsbürgerschaft ersetzen. Der Pass wird zum Angelhaken, an dem jeder zur Verantwortung gezogen wird – unabhängig von Wohn- und Steuersitz, unabhängig vom Ort, an dem er Wertschöpfung betreibt und ordnungsgemäss nach lokalen Fiskalbestimmungen versteuert. Unabhängig von den dort geltenden Gesetzen.
Rechtsimperialismus
So verständlich diese Gier nach möglichst viel Steuersubstrat auch sein mag, sie hat einen kleinen Haken. Es gehört zu den Grundprinzipien der Respektierung von souveränen Staaten, dass auch eine Grossmacht nicht extraterritorial ihre nationalen Gesetze durchsetzen darf. Dem Iran oder Saudi-Arabien ist es unbenommen, innerhalb ihrer Landesgrenzen die Scharia anzuwenden. Es ist aus vielen guten Gründen aufs strikteste zurückzuweisen, dass diese mittelalterliche Gesetzgebung auch in der Schweiz gelten sollte, und sei es auch nur für iranische oder saudi-arabische Staatsbürger mit Wohnsitz in der Eidgenossenschaft.
Hier werden keine Hände abgehakt, keine ungetreuen Ehefrauen zu Tode gesteinigt, und jeder Erwachsene darf sich eine Flasche Wein zu Schweinefleisch gönnen. Jeder darf auch darauf verzichten und in eine Moschee beten gehen, das gehört zur Toleranz. Aber diese Toleranz müsste eigentlich schlagartig aufhören, wenn fremde Staaten die Durchsetzung ihrer Gesetze hierzulande fordern. Gegen Scharia herrscht in der Schweiz Wehrhaftigkeit – gegen die Exekution ausländischer Steuergesetze nicht. Warum?
Schaumschlägerei
Den aufgeklärten Staatsbürger schüttelt es beim Gedanken, dass in der Schweiz bei islamischen Mitbürgern Hände abgehakt werden könnten. Er ist zumindest indifferent, wenn hierzulande ausländische Steuergesetze exekutiert werden. Steuerhinterzieher, asozialer reicher Sack, der seine gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht wahrnehmen will. Diese populistischen Kampfbegriffe vernebeln die Sinne, hinter dieser Schaumschlägerei verschwindet der Angriff auf die Raison d’être des Schweizer Rechtsstaats: In der Schweiz gelten Schweizer Gesetze. Sollten sie in Konflikt mit ausländischen Vorschriften geraten, regeln das souveräne Nationen mit zwischenstaatlichen Verträgen.
Ein souveräner Staat darf sich dabei nicht erpressen lassen. Bei fundamentalen Prinzipien ist kein Platz für Pragmatismus, für sogenannte Realpolitik, Anerkennung von Machtverhältnissen, übergeordnete wirtschaftliche Erwägungen. Denn wichtiger als der Untergang des Finanzplatzes Schweiz, der zu lange nicht erkannt hat, dass eines seiner Geschäftsmodelle, Beihilfe zu Steuerhinterziehung, obsolet geworden ist, ist die Bewahrung des Schweizer Rechtsstaats. Seiner Souveränität. Seiner Nicht-Erpressbarkeit. Gibt er das auf, gibt er sich selbst auf.
Der Fluch der bösen Tat
Als die UBS zur Kasse gebeten wurde, weil ihre Mitarbeiter in den USA Rechtsbruch begangen hatten, hätte es einen einfachen Ausweg aus dem Problem gegeben. Die Bankleitung hätte Verantwortung übernehmen können und die von US-Behörden geforderten Kundenunterlagen höchstpersönlich ausliefern. Damit hätte sie sich in der Schweiz mehrfach strafbar gemacht und wäre dafür zur Verantwortung gezogen worden. Stattdessen machte sich die Schweizer Regierung zum Bankenbüttel und rettete ihrerseits unter Rechtsbruch die Grossbank. Nicht zuletzt, weil sich der Schweizer Staat durch die vorangehende finanzielle Rettung der UBS in Geiselhaft begeben hatte. Der Fluch der bösen Tat. Damit wurde ein Gesetzesverstoss, begangen in den USA, mit einem Rechtsbruch in der Schweiz geheilt – die Türe zur Hölle ohne Rechtsstaat aufgestossen.
Gemeinsam in den Abgrund
Selbst diese Situation wäre noch zu retten gewesen, wenn die Schweizer Regierung anschliessend klargestellt hätte: Wir verteidigen bedingungslos unsere Rechtssouveränität und die alleinige Gültigkeit unserer Gesetze in der Schweiz. Auch wenn das den Untergang des Finanzplatzes Schweiz bedeutet. Denn es gibt wichtigere Werte.
Stattdessen geht der Finanzplatz Schweiz, wie wir ihn kannten, sowieso unter. Staatliche Panzerknackerbanden, wahre Kriminaltouristen aus den USA, Deutschland und bald einmal von überall aus der Welt räumen die Tresore leer. Ausverkauf, alles muss raus. Gerettet wird nichts. Nicht mal die Steuermoral. Und Teile des Publikums applaudieren, während ihr Rechtsstaat zum Teufel geht. Arme Eidgenossen.