Erster und gänzlich unparteiischer Zeuge der Kriege um Gaza ist stets die UNRWA, die „United Nations Relief and Work Agency“ gewesen. Vor allem hat sich die UNRWA als unverzichtbar erwiesen, als es im Gazakrieg von 2008/2009 darum ging, den Menschen im belagerten Gaza allumfassenden Schutz zu gewähren. Berichte, die UNRWA habe im Krieg von 2008/2009 Kämpfern der Hamas Unterschlupf gewährt, hat das israelische Fernsehen vor ein paar Tagen ausdrücklich dementiert.
Dennoch sieht Israel die Tätigkeit dieser UN-Hilfsorganisation skeptisch. Denn diese UN-Institution ist eine ständige Erinnerung daran, daß Israel seinen Staat auf dem Territorium eines anderen Volkes gegründet hat. Im Gazakrieg von 2008/2009 zog der damalige Leiter der UNRWA in Gaza, John Ging, den Zorn Israels auf sich, als er vor einer „humanitären Katastrophe“ warnte und Israel dafür kritisierte, auf Einrichtungen der UNRWA und auf andere, nicht-militärische Ziele geschossen zu haben.
Die UNRWA wurde 1949 von der UNO-Generalversammlung gegründet, um jenen Palästinensern zu helfen, die im ersten Nahostkrieg von 1948/49 vor den israelischen Truppen flohen oder von diesen vertrieben wurden. Die UNRWA ist wohl die einzige UN-Organisation, welche für eine bestimmte nationale Gruppe ins Leben gerufen wurde. Sie betreut etwa fünf Millionen Palästinenser, die in den Lagern von Gaza, dem Libanon, Jordanien, Syrien und im Westjordanland leben. Die UNRWA verteilt Lebensmittel – allein 800'000 Menschen im Gazastreifen werden so am Leben erhalten -, sie unterhält Schulen und Krankenhäuser, sie gewährt Kleinkredite für Existenzgründungen, und sie gibt Hilfe in Notfällen.
Die UNRWA wird vor allem durch Spenden finanziert, die von einzelnen Staaten bereit gestellt werden. Im Jahre 2011 waren die USA die grössten Geber – mit 239 Millionen Dollar. Die EU gab 175 Millionen Dollar. Diese Zuwendungen machten 42 Prozent des Gesamtbudgets von etwa 1,23 Milliarden Dollar aus. Trotz dieses auf den ersten Blick grossen Betrages fühlt sich die UNRWA unterfinanziert. In der Tat klaffte im April 2012 ein Loch im Budget von 69,4 Millionen Dollar.
Die UN bezahlen aus dem laufenden Budget 100 ständige Mitarbeiter. Die UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation bezahlen zehn internationale Posten im Erziehungs- und Gesundheitsbereich.
Generaldirektor der UNRWA ist seit 2010 der Italiener Filippo Grandi. Einer seiner Hauptaufgaben ist der Ausgleich des Budgets. Auch muß er dafür sorgen, daß die UNRWA-Mitarbeiter in den diversen Nahostkonflikten unparteiisch bleiben. Daß eine solche neutrale Haltung angesichts des Elends in der Flüchtlingslagern nicht immer leicht fällt, wissen alle UNRWA-Mitarbeiter.
Als Beispiel für diese Neutralität hier der letzte UNRWA-Bericht über die Situation in Gaza:
UNRWA-Bericht über Gaza vom 16. November 2012
Die Situation
Die israelische Militäroperation geht in den zweiten Tag. In den letzten 24 Stunden hat es ausgedehnte israelische Luftangriffe gegeben. In der Zeit von 01.00 Uhr bis 07.20 Uhr gab es über 60 Angriffe der israelischen Luftwaffe , 100 Raketen wurden abgefeuert, sie wurden von lauten Explosionen begleitet. Eine Bodenoffensive wurde nicht begonnen. UNRWA ist bereit und vorbereitet, wenn die Notwendigkeit entsteht, den Palästinensern zu helfen.
Militante haben das südisraelische Territorium mit intensiven Raketen- und Granatenangriffen belegt. Darunter waren zwei Raketen, die, zum ersten Mal seit dem Golfkrieg, auf das Gebiet von Tel Aviv gerichtet wurden.
Die Strassen von Gaza sind fast leer, nur wenige Menschen und Autos sind zu sehen. Die Menschen reduzieren ihre Ausgänge auf ein Minimum, und wenn immer möglich vermeiden sie Plätze, die immer wieder Ziele von Angriffen gewesen sind. Die Läden sind meistens geschlossen. Nur einige Bäckereien und Lebensmittelgeschäfte werden von Menschen belagert, die sich Vorräte anlegen. Die Wartezeit vor Bäckereien beträgt bis zu einer Stunde. Bis morgen wird klar sein, ob das Schliessen der Läden seinen Grund in der Sicherheitssituation hat oder auf der Tatsache beruht, dass gestern und heute offizielle Feiertage waren. Die Bevölkerung hat grosse Angst vor einer Lebensmittelknappheit, sollte sich die gegenwärtige Situation weiter verschlechtern.
Weil es Berichte gegeben hat, dass einige Gemüsehändler die Situation zu Preiserhöhungen nutzen, hat die Polizei Ladenbesitzer ermahnt, die Preise niedrig zu halten. Berichten zufolge waren die Tunnel an der ägyptischen Grenze in der letzten Nacht geschlossen. Aber grosse Mengen von Mehl, 200'000 Liter Diesel und 100'000 Liter Industrieöl für das Elektrizitätswerk in Gaza sind heute für die de facto offiziellen Läden durch die Tunnel gekommen.
Berichte über grossangelegte Bevölkerungsbewegungen hat es nicht gegeben, und bis jetzt besteht keine Notwendigkeit für die Bereitstellung humanitärer Hilfe. Bis jetzt haben Menschen, die vor den Bomben fliehen, die Gelegenheit, bei Freunden und Verwandten unterzukommen. Dislokation von Menschen hat meistens ihren Grund in Schäden an Häusern und Wohnungen, die durch nahe gelegene Luftangriffe verursacht wurden. ...
Die Reaktion der UNRWA
Wenn sich die Situation verschärft, ist die UNRWA in der Lage zu reagieren. Wie in der Vergangenheit ist es wahrscheinlich, das Menschen, die ihre Bleibe verlassen müssen, Zuflucht in UNRWA-Schulen überall im Gazastreifen suchen. ...
Angesichts der Sicherheitssituation werden UNRWA-Gesundheitszentren ab morgen früh bereit stehen. Gesundheitsteams können Notfallhilfe geben und vorübergehende mobile Kliniken bereitstellen, sollte eine große Anzahl von Menschen ihre Häuser verlassen müssen. Die Gesundheitszentren der UNRWA haben genügend Medikamente und Impfstoffe vorrätig. ...
UNRWA verteilt Lebensmittel an mehr als 800'000 Menschen. ... Lebensmittelvorräte sind derzeit ausreichend. Aber alle (zusätzlichen) Lebensmittel, die in einer Notsituation an eine aus ihren Häusern vertriebene Bevölkerung verteilt würden, müssten sofort ersetzt werden. ...
UNRWA beklagt zudem eine Lücke an finanziellen Zuwendungen von 4,3 Millionen Dollar. Diese werden bis zur nächsten Woche benötigt, um die Vorbereitungen für die Verteilung von Lebensmitteln von Januar bis März 2013 sicherzustellen.
Sicherheit
Die Sicherheitssituation in Gaza ist kritisch. Verbreitete israelische Luftangriffe gegen Gaza und weit verbreitete Granatenangriffe von Gaza auf israelisches Territorium fordern palästinensische und israelische Opfer unter der Zivilbevölkerung. Erstmals seit dem Golfkrieg wurden Raketen auf Tel Aviv gefeuert. Es gab einen dreistündigen Waffenstillstand während des Besuches des ägyptischen Premierministers Hisham Qandi. ...
UNRWA-Verluste
In der Zeit, welche dieser Bericht abdeckt, gab es keine UNRWA-Verluste. Allerdings wurde ein UNRWA-Lehrer am 15.November durch einen israelischen Luftangriff getötet. Ein achtjähriger UNRWA-Schüler, Fares al-Basuni, wurde in der Nähe seines Hauses in Beit Hanoun getötet.
Einrichtungen der UNRWA
Am 14.November um 21.25 traf ein israelischer Luftangriff ein offenes Gebiet nordöstlich von Rafah, wobei das Al-Naser Gesundheitszentrum leicht beschädigt wurde.
Am 14.November um 17.45 traf ein israelischer Luftangriff ein offenes Feld südwestlich des Lagers Nuseirat, wobei geringer Schaden an der UNRWA-Vorschule entstand.
Am 14.November um 21.15 Uhr traf ein israelischer Luftangriff nordöstlich von Nuseirat, wobei ein UNRWA-Fahrzeug beschädigt wurde.
Am 16.November um 04.05 traf ein israelischer Luftangriff ein offenes Gebiet, wobei am japanischen UNRWA-Gesundheitszentrum in Khan Yunis Kollateralschaden entstand.
Am 16.November um 05.40 Uhr richtete ein israelischer Luftangriff, der auf ein Gebäude der Zivilverwaltung des Innenministeriums gezielt war, Schaden an der UNRWA-Mädchenschule in Zeitun an.
Grenzübergänge
Der Grenzübergang bei Rafah (nach Ägypten) war offen wie immer.
Karem Shalom (ebenfalls nach Ägypten) war am 15.November wegen der Sicherheitssituation geschlossen. Am 16. November war Karem Shalom, wie gewöhnlich, geschlossen (Freitag, muslimischer Feiertag).
Der Grenzübergang bei Erez (nach Israel im Norden) war bis 13.00 Uhr offen für jene, die zu Fuss gehen wollten. Die lokalen Behörden in Gaza erlaubten es ausländischen Arbeitern nicht, Gaza zu verlassen.