Dass Syriens Präsident Bashar Asad die Zusagen nicht einhalten werde, die er gegenüber dem Uno-Sondergesandten, Kofi Annan, eingegangen war, wurde von vielen Beobachtern erwartet. Was man nicht voraussehen konnte, war nur, auf welche Art und Weise er sich aus der Schlinge ziehen würde, in die er sich mit der Zusage gebracht hatte.
"Missverstandener" Annan Plan
Jetzt wissen wir, wie er das bewerkstelligt hat: Der syrische Aussenminister hat erklärt, die gegebene Zusage zum Sechs-Punkte-Dokument des Uno-Sondergesandten sei "missverstanden" worden. Sie gelte nur, wenn die Aufständischen ihre Waffen niederlegten und an die syrischen Behörden auslieferten und wenn Syrien schriftliche Zusagen dafür erhalte, dass Saudi-Arabien und Qatar keine Gelder und Waffen (mehr) an sie lieferten.
Ausserdem werde die Polizei natürlich in den Gebieten und Stadtteilen "bleiben", in denen die Aufständischen vorübergehend Macht ausgeübt hätten. Unter "bleiben" hat man ohne Zweifel auch "wiedereinziehen" oder "zurückkehren" zu verstehen, insofern als diese Polizei aus den betreffenden Gebieten vertrieben worden ist oder geflohen war.
"Versöhnunug" - erst nach Kapitulation
In anderen Worten: Bashar Asad fordert die völlige und vollständige Kapitulation der Aufständischen. Erst wenn sie erreicht wäre, wäre er bereit, auf die fünf weiteren Punkte des Plans des Uno-Vermittlers einzugehen, die den Abzug der Armee aus den Ortschaften, Gespräche über eine politische Lösung, Befreiung der Gefangenen, Zulassung von friedlichen Demonstrationen und künftige Wahlen umfassen sollten.
Nach der Kapitulation seiner Gegner wäre der syrische Präsident natürlich frei, diese verbleibenden Punkte nach eigenem Ermessen und Befinden auszulegen und anzugehen, ohne die Meinungen seiner besiegten Gegner in Betracht ziehen zu müssen. Mit anderen Worten, er könnte sein bisheriges Regime ungestört weiter führen.
Kein Waffenstillstand ohne territoriale Basis
Es war von vornherein klar, dass das Asad-Regime einen echten Waffenstillstand mit den Aufständischen, die es "terroristische Banden" nennt, nicht eingehen konnte. Denn das hätte bedeutet, dass gewisse Territorien in Händen dieser "Banden" geblieben wären. Ein Waffenstillstand ohne mindestens zwei Territorien, auf denen die beiden Parteien stehen und die sie gegeneinander abgrenzen, ist undenkbar.
Jede Anerkennung, dass Teile syrischen Gebietes den "Banden" nach der Einnahme in gewisser Weise zustehen, wäre jedoch für Damaskus der Anfang vom Ende gewesen. Der Schritt hätte sichtbar gemacht, dass Asad nicht mehr der Präsident Syriens ist, sondern nur noch der gewalttätige Machthaber in jenen Bereichen des Landes, in denen er sich gegen die "Banden" zu halten vermochte. Deshalb konnte das Regime einen Waffenstillstand unmöglich zulassen, ohne seinen eigenen Zusammenbruch zu bestätigen.
Zeitgewinn für die Repression
Mit der Erklärung des "Missverständnisses" liegt der Vermittlungsversuch der Uno ebenso in Scherben wie der vorausgegangene der Arabischen Liga. Bashar Asad hat Zeit gewonnen und diese verwendet, um die Gewaltanwendung gegen sein eigenes Volk weiter zu steigern. Er liess zu, dass Hunderte syrischer Zivilisten zusätzlich getötet und einige Orte und Stadteile mehr mit Artillerie zerstört wurden.
Die Armee versucht weiter, all jene Gebiete, in denen die syrischen Sicherheitskräfte auf Widerstand von Seiten der Bevölkerung und der Überläufer aus der Armee gestossen sind, mit aller Gewalt und unter Anwendung schwerer Waffen zurückzuerobern. Dabei schreckt sie auch nicht vor derer gänzlichen Zerstörung zurück.
Es bleiben Wirtschaftskrieg und Guerilla
Der Zusammenbruch der diplomatischen Bemühungen lässt zwei Massnahmen gegen das Regime Asads übrig: den wirtschaftlichen Boykott Syriens, den die USA erklärt haben und international möglichst weit auszubreiten versuchen - und die mehr oder weniger heimliche Bewaffnung und Unterstützung der Aufständischen mit Geld, welche Saudi- Arabien und Qatar sowie, diskreter, einige der europäischen Mächte der "Freien Syrischen Armee" (FSA) zukommen lassen.
Das heisst fatalerweise: Der Krieg gegen Asad und seine Armee wird fortdauern. Er wird sich entweder immer weiter ausbreiten, bis das Regime stürzt. Oder aber der Aufstand wird von Asads Armee endgültig niedergeschlagen werden. Es wird ein Guerilla-Krieg sein und ein Wirtschaftskrieg, in dem der syrische Präsident nicht alleine stehen wird. Die Iraner und die Hizbullah im Libanon sind seine aktivisten Verbündeten. Und die Russen und die Chinesen sind seine wichtigsten Stützen im politischen und im wirtschaftlichen Bereich. Der Krieg droht lange zu dauern.